1. Im heutigen Wochenabschnitt steht: „über jedes Vergehen und jeden Verlust, von dem gesagt wird, dass er dies ist, bis zu den Herren wird gebracht das Wort von beiden... doppelt wird er zahlen seinem Nächsten“. Die Gemara sagt, dass sich dieser Vers auf einem Wächter bezieht, der erklärt, das ihn anvertraute Gut wäre verloren gegangen, und der dann für den Schaden nicht aufkommen muss. Wenn er ein unbezahlter Wächter war, gilt dies wenn das Gut gestohlen wurde oder abhanden ging, im Falle eines bezahlten Wächters nur dann, wenn er mit Gewalt gezwungen wurde, das Gut auszuliefern. Wenn der Wächter seine Behauptung beschwört, aber sich später herausstellt, dass er sich vergangen, falsch geschworen und das Gut veruntreut hat, so gilt das Gesetz „bis zu den Herren wird gebracht das Wort von beiden... doppelt wird er zahlen seinem Nächsten“.
Es wurde schon oft darüber gesprochen, dass sich alle Begebenheiten der offenbarten Tora, auf spiritueller Ebene wieder finden, und noch stärker, dass weil diese Dinge auf einer geistigen Ebene wirken, sie danach in der offenbarten Tora auftauchen. Auch das Gesetz der Veruntreuung, des Missbrauchs eines anvertrauten Gutes, des falschen Schwurs und des Urteils „bis zu den Herren wird gebracht das Wort von beiden...“ kehrt auf geistiger Ebene wieder.
2. Seine Heiligkeit, unser Herr, Lehrer und Meister (Anm. d. Übers.: abgekürzt „Admor“), der Zemach Zedek, seine Seele ist in Eden, deutet in einem Vortrag den Vers „über jedes Vergehen…“ in Hinblick auf die geistige Arbeit in der Seele des Menschen. Relevante Teile dieses Vortrags mit einzelnen Anmerkungen werden wir hier bringen, so gut es eben geht:
Jeder Jude hütet ein ihm von G“tt anvertrautes Gut – die Seele – und er muss dafür sorgen, dass sie unversehrt bleibt und nicht etwa, G“tt behüte, Schaden nimmt. Doch damit nicht genug, er soll die Seele noch höher heben, als sie es vor ihrem Abstieg war, da ja der Abstieg der Seele nur erfolgt, weil er für ihren weiteren Aufstieg nötig ist.
Das Hüten der Seele durch einen Juden ist auch mit einem Schwur verbunden, wie unsere Meister seligen Andenkens sagen, dass jede Seele herabsteigen muss, sie den Schwur ablegt „sei ein Gerechter und sei kein Übeltäter“. „Über jedes Vergehen…“, wenn er sich am anvertrauten Gut vergeht und seinen Schwur bricht – wie kommt es dazu? Der Vers führt aus – „Stier und Esel, Lamm und Kleid“, dies sind einzelne Sorten in der Tierseele, welche zu „jedem Vergehen“ führen, bis die g“ttliche Seele. G“tt behüte – verloren geht, bis zu dem Punkt, an „welchem er sagt, er ist das“, d.h. an dem er von „er“ sagt, er wäre „das“.
„Das“ – im echten Sinn – bezieht sich auf Heiligkeit und G“ttlichkeit. Von niemand kann man sagen er wäre „das“, nur von G“tt und zwar aus zwei Gründen:
a) „Das“ kann nur G“tt meinen, denn kein Geschöpf ruht in sich, sondern es wird andauernd von g“ttlicher Lebenskraft gespeist. Es kann also nicht „das“ sein, da es G“tt ist, der es ständig aus dem Nichts hervorhebt. So schriebt der Rambam: „es gibt keine wahre Existenz außer Ihm“.
b) „das“ meint auch, dass es dort ist, d.h. dass es dort ist, wann und wo man auch sei – und das trifft nur auf G“ttlichkeit zu, denn jedes Geschöpf ist in Zeit und Raum begrenzt und nicht überall. Deshalb kann man es nicht mit „das“ bezeichnen. Der Name G“ttes hingegen, wird von allen im Munde geführt, denn G“tt ist allgegenwärtig und kein Ort ist leer von ihm. Deshalb kann er, und nur er, wirklich als „das“ bezeichnet werden.
3. Die einzelnen Abstufungen der Tierseele werden vom Vers in vier Sorten eingeteilt: Stier, Esel, Lamm und Kleid. Seine Heiligkeit, der Admor Zemach Zedek, erklärt in der Abhandlung diese Sorten wie folgt: der Stier bezieht sich auf den Stier, der schon früher Schaden angerichtet hat; der Esel, von dem man sagt, dass er selbst im Tamus, dem heißesten Monat kalt ist bleibt; das Kleid – mit Kleid und Gewand betrügen Verräter; Lamm – ein verlorenes Lamm ist Israel.
Man muss sich vor allen Sorten der Tierseele hüten, da sie alle – G“tt verhüte – zum Verlust der g“ttlichen Seele führen können. Aber jede Zeit hat ihre schlechte Seite und ganz besonders auf sie muss man sich einrichten. Deshalb werden wir uns hauptsächlich mit dem „Lamm“ beschäftigen, welches besonders unsere Generation angeht.
4. Auf dem Vers „Israel ist ein verlorenes Lamm“ fragt man folgendes: Israel bezeichnet doch einen Vorteil und ein verlorenes Lamm einen Nachteil, warum wird also ausgerechnet Israel mit dem verlorenen Lamm verglichen? Doch das ist eben genau die Frage, die der Prophet hier stellt. Wie ist es möglich, dass Juden, die mit dem Titel „Israel“, welcher bedeutet „du kämpftest mit Engeln und Menschen und hattest Bestand“ bezeichnet werden, nun wie ein verlorenes Lamm umherirren? Wie kann es sein, dass ein Jude, dem die Kraft innewohnt nicht nur Menschen, sondern selbst Engel zu beherrschen, nun ohne Kraft jedem hinterherläuft, wie ein verirrtes Lamm?
Dies war auch die Anschuldigung Hamans, des Anklägers im Himmel, gegen Achaschwerosch – G“tt, dem Ende (hebr. Acharith) und Anfang (Reschith) gehören: „es gibt da ein Volk, verstreut und zerteilt zwischen den Nationen… und die Weisungen des Königs befolgen sie nicht“. „Es gibt da ein Volk“ – ein Volk, dessen Wesen ist – Eins. Sie haben die Kraft überall Eins zu verbreiten, bis hin zur Erde, wie es steht „eine Nation der Erde“. Und nicht geachtet ihrer Größe, sind sie verstreut und zerteilt unter den Nationen, sie lassen sich von jedem beeinflussen und befolgen daher nicht die Weisungen des Königs – des Königs der Welt.
5. Die richtige Ordnung ist, dass ein Jude der geistige (und die Geistigkeit ist die wahre Existenz) Führer seiner Stadt samt ihrer Umgebung, dem ganzen Land ist. Und stattdessen verliert er sich. Nicht nur, dass er seine Umgebung nicht beeinflusst, sondern er selbst wird zum Beeinflussten und äfft den Stuss (hebr. Pervertierung, Unsinn) des Landes, der Umgebung und der Stadt nach. Anstatt dass er mit jeder Tat auf seine Umgebung einwirkt, in dem er beweist, dass der Schulchan Aruch sein Schiedsrichter ist, anstatt dessen ist die Meinung seines Nachbarn, welche entscheidet und der zufolge er sein Verhalten im Haus ausrichtet.
6. „Ein verlorenes Lamm ist Israel“ bedeutet, dass es an Festigkeit fehlt. Selbst bei der Erziehung der Kinder, die doch Hoffnung und Fundament jedes Hauses und des ganzen jüdischen Volkes sind, selbst dort fehlt die Festigkeit.
Selbst von den Juden im schwersten Exil wird berichtet, dass sie sich in dreierlei Hinsicht auszeichneten, darin dass sie ihre Namen, ihre Sprache und ihre Kleidung nicht änderten. In unserer Zeit jedoch mangelt es an Festigkeit. Und man sucht Ausflüchte und erklärt, dass man es dem Kind nicht ansehen solle, dass er ein Jude ist.
Es soll aber so sein, dass man, wenn man ein jüdisches Kind auf der Strasse sieht, schon von weiten erkennt, dass dort ein Jude geht denn Israel, das ist eine Auszeichnung. Stattdessen schämt man sich sogar noch dessen, und sucht es mit allen Mitteln zu verbergen.
7. Laut dem kann man auch erklären, was die Gemara bei den Gesetzen der Verluste fragt, nämlich warum die Tora ausdrücklich das Lamm erwähnt. Bei Stier, Esel und Gewand kann die Gemara jeweils eine Besonderheit finden, die erklärt wie man das verlorene Gut zurückbringt, nicht jedoch beim Lamm und redet von einem schweren Fall.
Entsprechend dem, was früher gesagt wurde, kann man dies – in Kürze – im Dienste des Menschen erklären. a) der Stier stieß; b) der Esel bleibt auch im Monat Tamus von der Sonne – G“tt – unbeeinflusst; c) das Gewand birgt den Verrat, dem Verrat an Tora und Mizwot. Bei jenen dreien ist es neu und erstaunlich, dass sie umkehren und geheilt werden können. Aber bei einem verlorenem Lamm, welches zwischen den Nationen umherirrt – ist es denn nicht selbstverständlich, dass man es zu seinem Eigentümer zurückbringt? Darauf sagt die Gemara, dass eben dies ein schwerer Fall ist. Denn es ist am schwersten die verirrten Lämmer zur Umkehr zu bringen, wie man daran erkennt, dass die Anordnung „es schäme sich der Mensch nicht vor den Spöttern“ die Grundlage vom Tur (Anm. d. Übers.: grundlegendes halachisches Werk) und von allen vier Teilen des Schulchan Aruch ist. Denn wenn man sich vor den Spöttern schämt, wie kann man dann umkehren und jemals zum Schulchan Aruch gelangen? Um uns zu sagen, dass dies aber doch möglich ist, darum erwähnt die Tora den Fall des verlorenen Lammes und belegt damit, dass nichts stärker ist, als der Wille zur Umkehr.
8. Der Vers fährt fort und erklärt Urteil und Ratschluss bei Fällen des Missbrauches von anvertrautem Gut, nämlich dass man bei Stier und Esel, Gewand und selbst beim Lamm den Fall bis zu den Herren – den Richtern – bringen muss. Dies bezieht sich auf den ersten Richter, unseren Meister Mosche und seine Fortsetzungen in jeder Generation und Generation, denn jene verleihen die Kraft zu wahrer Umkehr – „zwei wird er seinem Nächsten – G“tt – zahlen“. Denn Umkehr bedeutet, dass man G“tt das doppelte zahlt, so wie es im Sendbrief der Umkehr steht: „wenn man gewohnt war, eine Seite zu lesen, lese man zwei Seiten…“.
Und dadurch wird ihn G“tt Maß für Maß erstatten so dass selbst seine schlechten Taten werden ihn als Verdienst angerechnet und auch die Tierseele beim G“ttesdienst behilflich ist.
Im Einzelnen: jener Teil der Tierseele, die durch den schadenden Stier bezeichnet wird, wird zu „viel Erträge sind in der Kraft des Stieres“. Vom Esel wird „Jisachar, ein starker Esel“ – dem Dienst mit der Selbstaufgabe eines Lastesels. „Ein verlorenes Lamm ist Israel“, oder wie es auch steht „Ich ging fehl wie ein verlorenes Schaf“, ohne Tatkraft und Selbstwertgefühl – wird endlich „rufe deinen Knecht und ziehe mich Dir nach“, d.h. die Hingabe zu G“tt, jenseits von Sinn und Verstand. Das bedeutet im Allgemeinen, dass auch die Tierseele beim G“ttesdienst hilft, so wie unsere Meister seligen Andenken erklären „Liebe den Ewigen, deinen Herren mit ganzen Herzen – mit beiden Neigungen der Seele“
ב"ה
Die Umkehr der Lämmer
Likkutej Sichot, Band 1, Seite 155-158
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