Der Midrasch bringt mehrere Gründe für den plötzlichen Tod der Söhne Arons, Nadaw und Awijhu:1 Sie betraten das Allerheiligste; ihnen fehlten die Gewänder (die ein Kohen tragen musste, wenn er seinen Tempeldienst verrichtete); sie hatten keine Kinder; sie waren nicht verheiratet. Inwiefern hängen all diese Gründe miteinander zusammen?

Auch der Vers an sich, der von dem Tod der Söhne Arons erzählt, bedarf einer Erklärung. Es steht geschrieben: Nach dem Tod der Söhne Arons, die vor G-tt traten und starben.2 Weshalb erwähnt die Thora ein zweites Mal, dass sie gestorben sind?

Und wie kann es überhaupt sein, dass zwei so große Zadikim, wie Nadaw und Awijhu, sich so schwer versündigten, dass G-tt sie mit dem Tod bestrafte?

Starkes Verlangen

All dies wird im Lichte der Lehre der Chassidut verständlich. Ihr zufolge starben Nadaw und Awijhu, gerade weil sie so große Zadikim waren!3

In ihrem Herzen brannte eine so starke Liebe zu G-tt, bis sie Klot HaNefesch erlitten: Die Seele entwich zwanghaft dem Körper, der sie begrenzte, um G-tt anzuhängen.

Dies beweist einerseits, auf welch hohem spirituellen Niveau sie sich befanden und wie stark die G-ttesliebe in ihnen brannte; doch andererseits ist dies auch von Nachteil und zählt sogar als Sünde. Die Sehnsucht und das Verlangen zur G-ttesnähe, bis zum Erleiden von Klot HaNefesch, ist in G-ttes Augen nicht wohlgefällig. Denn G-ttes Absicht bei der Erschaffung der materiellen Welt ist es, dass sie für Ihn eine würdige Stätte wird.4 Deshalb steckt G-tt die Seele in einen materiellen Körper, um Mitzwot mit materiellen Gegenständen zu vollbringen. Auf diese Weise wird unsere Welt ein heiliger Ort für G-tt.

Unsere Mission

Dies ist auch der Sinn des jüdischen Menschen auf Erden: Er muss in diese Welt Heiligkeit bringen, um daraus eine würdige Stätte für G-tt zu machen. Klot HaNefesch jedoch ist ein Entfliehen dieser Aufgabe. Dies widerspricht der Mission, die G-tt dem Menschen auferlegt hat. Deshalb gilt das starke Verlangen von Nadaw und Awijhu nach G-ttesnähe als Sünde.

Nun wird auch der obenerwähnte Vers verständlich: Nach dem Tod der Söhne Arons, die vor G-tt traten und starben. Das Wort „starben“ handelt nicht von dem Grund des Todes (dies wird schon bei „nach dem Tod“ angesprochen), sondern handelt von der Sünde an sich: die Sünde der Söhne Arons lag darin, dass ihr Verlangen nach der G-ttesnähe so groß war, bis sie daran „starben“ – Klot HaNefesch erlitten.

Wieder runterkommen

Dies lässt uns auch den Zusammenhang aller erwähnten Gründe im Midrasch über den Tod von Nadaw und Awijhu verstehen: Sie betraten das Allerheiligste – sie kamen G-tt zu nahe; ihnen fehlten die Gewänder – „Gewänder“ symbolisieren die Mitzwot, welche als „Gewänder für die Seele“ gelten (das Thorastudium gilt hingegen als Nahrung für die Seele).5 Nadaw und Awijhu vernachlässigten die materiellen Mitzwot, da sie so vertieft in der Spiritualität waren. Auch die Tatsache, dass sie keine Kinder hatten und nicht verheiratet waren, zeigt ihre Isolierung von der materiellen Welt auf.

Der Tod Nadaws und Awijhus birgt eine große Lektion in sich: Jeder Jude hat Zeiten, an denen er sich stark mit G-tt verbunden fühlt. Viele erleben das zu Jom Kippur, andere nach einem innigen Gebet oder einer Thorastunde, welche die Seele erquicken lässt. Man fühlt das G-ttliche und will nicht ablassen. Doch sinnvoll wäre es, diese empfundene G-ttesnähe nicht auf seelischer Ebene zu belassen oder gar im Geiste zu vertiefen, sondern sie soll eine Umsetzung in unserer Welt finden. Man muss diese spirituelle Energie auffangen und sie in Taten fließen lassen – Mitzwot und Wohltätigkeit. Dadurch heiligt man die materielle Welt und erfüllt seine Mission auf Erden, „aus dieser Welt für G-tt eine würdige Stätte zu machen!“

(Likutej Sichot, Band 3, Seite 987)