Unser Wochenabschnitt erzählt uns über die wichtige Mission, die Awraham in die Hände seines Knechtes gelegt hatte, für Itzchak eine Frau zu finden. Der Knecht Elieser musste einen Schwur ablegen, dass er für Itzchak eine Frau ausschließlich in Awrahams Geburtsort suchen werde. Dafür sollte er seine Hand unter Awrahams Hüfte legen.1 Die Halacha (das jüdische Gesetz) besagt nämlich, dass derjenige, der einen Schwur ablegt, einen heiligen Gegenstand (z.B. Thorarolle, Tefillin) in der Hand halten muss.2 Und Awrahams einziger heilige „Gegenstand“ war seine eigene Brit Mila.

Im Talmud steht jedoch geschrieben, dass die Vorväter bereits alle Mitzwot erfüllten, noch bevor sie das Volk Israel am Berg Sinai erhalten hatte.3 Wie kann es dann sein, dass Awraham keine andere Mitzwa hatte, die er für den Schwur verwenden konnte, außer seiner Brit Mila!?

Worauf wartete Awraham?

Bezüglich der Brit Mila von Awraham an sich stellt sich eine weitere Frage: Weshalb wartete er damit so lange und erfüllte diese wichtige Mitzwa erst im Alter von 99, als G-tt ihm dies gebot? Er wusste doch bereits von dieser Mitzwa, denn die Vorväter erfüllten ja alle Mitzwot, noch bevor sie dem Volk Israel gegeben wurden.

Die Lehre der Chassidut4 erklärt,5 dass es einen großen Unterschied zwischen den Mitzwot der Vorväter und den Mitzwot ab dem Erhalten der Thora gibt. Die Mitzwot der Vorväter hatten nicht die Fähigkeit, die irdische Materie zu heiligen. Als sie eine Mitzwa erfüllten und dabei materielle Gegenstände verwendeten, drang die Heiligkeit der Mitzwa nicht in die Gegenstände ein. Sie blieben nach der Mitzwa gänzlich profan und müssten nicht einmal in der Genisa (Aufbewahrungsort für heilige Texte usw.) entsorgt werden. Ein materieller Gegenstand konnte nicht heilig werden, denn die g-ttliche Heiligkeit und die irdische Materie waren absolute Gegensätze.

Die Fähigkeit, Heiligkeit in die Materie zu bringen, erhielt das Volk Israel am Berg Sinai, als es die Thora empfing. Von diesem Zeitpunkt an konnte jeder Gegenstand, mit dem man eine Mitzwa vollbrachte, geheiligt werden und der Gegenstand an sich blieb auch weiterhin heilig!

Die Grenzen des Menschen

Warum konnten dies die Vorväter nicht? – weil sie die Mitzwot aus eigener Initiative erfüllten (denn verpflichtend wurden sie erst ab dem Thoraerhalt), aus eigener Kraft und wie heilig ein Mensch auch sein mag, bleibt er ein Mensch mit begrenzten Fähigkeiten. Und ein Mensch kann diese zwei absoluten Gegensätze – Heiligkeit und Materie – nicht miteinander verbinden, bis sogar die Materie an sich heilig bleibt.

Wir hingegen erfüllen die Mitzwot mit der Kraft G-ttes, mit der Kraft des g-ttlichen Befehls und für G-tt gibt es keine Einschränkungen. Deshalb ist es uns möglich, durch die Mitzwot Heiligkeit in die Materie zu bringen.

Es gab jedoch eine einzige Mitzwa, welche die Vorväter wegen dem g-ttlichen Befehl vollbrachten – die Brit Mila. Diese Mitzwa erfüllten sie nicht aus eigener Kraft, sondern mit der Kraft des g-ttlichen Befehls.

Unser Vorteil

Dies ist der Grund dafür, weshalb Awraham mit der Brit Mila wartete, bis sie ihm G-tt befohlen hatte, denn er wollte diese wichtige Mitzwa, dem Bund am Fleisch, mit der Kraft G-ttes erfüllen, damit sich die Heiligkeit dauerhaft mit seinem Körper verbindet.

Deshalb konnte Awraham für den Schwur nur seine Brit Mila verwenden, denn es gab keinen anderen „Gegenstand“, der heilig war. Alle anderen Mitzwot, die Awraham vollbrachte, vermochten es nicht die Materie zu heiligen, außer der Brit Mila.

Daraus wird unser Vorteil gegenüber unseren Vorvätern ersichtlich: Obwohl sie so heilige Menschen waren, bewirken wir heute durch die Mitzwot viel mehr, als sie damals bewirken konnten. In unseren Mitzwot steckt die g-ttgegebene Kraft, die Welt in ihrem Wesen zu verändern, indem wir sie heiligen. Und zur vollkommenen Erlösung werden wir dies auch mit den eigenen Augen sehen können.

(Likutej Sichot, Band 1, Seite 38)