Unser Wochenabschnitt beginnt mit den Worten: Ihr steht heute alle vor G-tt, eure Häupter . . . bis zu deinem Wasserschöpfer, um mit G-tt einen Bund einzugehen.1
Die Thorakommentatoren erklären,2 dass dieser Bund ein Vertrag der gegenseitigen Bürge im Volk war. Nun bürgten die Juden gegenseitig füreinander. So legt der Talmud fest: „Alle Juden bürgen einer für den anderen.“3
Hinter dieser Festlegung steckt viel mehr, als man annehmen könnte. Die Aussage, ein Jude kann für jeden anderen Juden bürgen, bedeutet doch, dass wenn einem Juden etwas fehlt, der andere ihm diesen Mangel füllen kann. Wie ist das zu verstehen? Kann wirklich jeder Jude für seinen Nächsten bürgen, also jeden Mangel jedes Juden füllen?!
Wer bürgt für den Reichen?
Wenn sich jemand Geld ausborgt und sein Freund für ihn bürgt, dass er die Schuld zurückzahlt, sollte der Schuldner dies nicht tun können, muss der Bürge größere finanzielle Mittel vorweisen, als der Schuldner selbst.
Ein Armer könnte z.B. niemals für einen Reichen bürgen. Der Geldverleiher würde nicht auf den Reichen vertrauen, dem er Geld borgt und möchte eine Bürge für ihn. Der Bürge müsste weitaus mehr Vermögen haben, als der Reiche, um das Darlehen bezahlen zu können. Der Arme wäre als Bürge also nutzlos.
Im jüdischen Volk gibt es viele Stufen, wie der Vers sagt: Häupter, Stämme, Ältesten bis zu den einfachen Holzhauern und Wasserschöpfern. Die Thora spricht hier nicht nur gesellschaftliche Klassen an, sondern auch verschiedene seelische Stufen. Wie ist es dann möglich, dass jeder Jude für seinen Nächsten bürgen kann, sogar einer der Einfachsten für einen der Größten?
Kopf- und Fußverhältnis
Die Erklärung dazu finden wir in dem Kommentar von Rabbi Schneor Salman von Liadi zu diesem Vers. Er erläutert, dass ganz Israel einem Körper mit all seinen Gliedern gleicht.4
Obwohl der Kopf auf einer weit höheren Stufe steht als der Fuß, ist es falsch zu behaupten, dass der Fuß nur von dem Kopf bekommt, ihm aber nichts gibt. Dem Kopf nützen all seine Vorteile nicht, wenn er von einem Platz einen anderen erreichen möchte. Dazu benötigt er die Fähigkeit der Füße, auch wenn ihre Stufe weit unter der des Kopfes ist. Selbst der einfache Fuß also kann sogar dem Kopf etwas geben. Und da nur er diesen Beitrag leisten kann, steht der Fuß darin sogar auf einer höheren Stufe als der Kopf.
So handelt es sich mit jedem Körperglied. Jedes hat etwas Besonderes, das die anderen nicht haben. Angesichts dieses Vorteils steht er über alle anderen Glieder und kann ihnen das geben, was sie selbst nicht haben.
Darin liegt die Bedeutung der Aussage „Alle Juden bürgen einer für den anderen“: Obwohl es verschiedene Stufen im jüdischen Volk gibt, hat auch der Einfachste im Volk einen gewissen Vorteil, den nicht einmal das Oberhaupt hat. Jeder Jude hat etwas für ihn ausschließlich Besonderes und darin steht er über dem ganzen Volk. Deshalb kann jeder Jude für sein ganzes Volk bürgen, denn angesichts seiner einzigartigen Besonderheit ist er „so reich“, dass er für alle anderen bürgen kann.
Vorbereitungen für Rosch HaSchana
Unseren Wochenabschnitt „Nizawim“ liest man immer vor Rosch HaSchana, denn er ist eine Vorbereitung für Rosch HaSchana. Die wichtigste Voraussetzung, die wir brauchen, um zu Rosch HaSchana vor G-tt stehen zu können, ist klar und deutlich Einheit unter uns. Und mit Einheit ist nicht gemeint, dass Leute sich zusammentun, die an sich miteinander nichts zu tun haben, sondern echte Einheit, wie ein Körper seine Glieder vereint.
Diese Einheit ist die Voraussetzung für ein gutes und gesegnetes Jahr, für jeden Einzelnen, ganz Israel und die ganze Welt; und die beste Vorbereitung für die vollkommene Erlösung.
(Likutej Sichot, Band 4, Seite 1139)
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