Nachdem Balak, König von Moaw, entsetzt feststellen musste, dass das jüdische Volk die Könige Og und Sichon besiegt hatte und auf natürlichem Wege nicht zu schlagen war, bestellte er den bösen Propheten Bileam zu sich. Er sollte das jüdische Volk verfluchen und es so zu Fall bringen.

Daraufhin erhielt Bileam mehrere Prophezeiungen von G-tt, die er Balak kundtun sollte. In der ersten Prophezeiung sagte Bileam, das jüdische Volk könne nicht verflucht werden, da es G-tt sehr lieb hat: Wie kann ich fluchen, wen G-tt nicht flucht.1 Bei seiner zweiten Prophezeiung fügte Bileam hinzu, dass wegen seiner herausragenden Rechte das jüdische Volk sogar einen besonderen Segen verdiene: Sieh, zu segnen habe ich Befehl.2

Bileam zählte diese Rechte auf. Eines davon lautete: Ein Volk, wie eine Löwin erhebt es sich und wie ein Löwe richtet es sich auf.3 Raschi erklärt darauf wie folgt: „Sobald die Juden in der Früh erwachen, überwinden sie sich wie eine Löwin, um die Mitzwot zu ergreifen – das Zizit-Gewand anzuziehen, das Schma Israel4 zu lesen und Tefillin zu legen.“

Besondere Zuneigung

Aus dem Kommentar Raschis geht hervor, dass der Grund für die besondere Zuneigung G-ttes zu den Juden darin liegt, weil sie wie eine Löwin die Mitzwot ergreifen. Dieses Recht ist ausschlaggebend für den Verdienst eines besonderen Segens. Das heißt, den Juden gebührt ein besonderer Segen, weil sie sich nicht mit dem Erfüllen der Mitzwot auf einfache Weise zufrieden geben, sondern sich bemühen, die Mitzwot zu „ergreifen“.

Was bedeutet „ergreifen“? Wenn man eine Sache ergreift, zeigt das, wie sehr man diese Sache begehrt und sie haben möchte. Dinge, die man nicht so gerne hat, geht man langsam und ruhig an, doch etwas sehr Liebevolles ergreift man hastig.

Darin liegt die Bedeutung, dass das jüdische Volk sich anstrengt, die „Mitzwot zu ergreifen“: Die Juden lieben die Mitzwot so sehr, sodass sie gleich beim Erwachen in der Früh über die Mitzwot herfallen und sie „ergreifen“ – sie ziehen gleich das Zizit-Gewand an, lesen das Schma Israel, legen die Tefillin usw.

Sich vergessen

Tiefer betrachtet ist „ergreifen“ ein Akt, der über jegliche Überlegungen geht. Im G-ttesdienst nennt man dieses Agieren „Messirut Nefesch“ – völlige Hingabe zu G-tt, die weder dem Gefühl, noch dem Verstand unterliegt, sondern nur dem Willen G-ttes. Denn der Jude ist bereit, sich G-tt hinzugeben, ohne Überlegungen über seinen Nutzen daraus anzustellen. Er kommt aus sich heraus, vergisst sich völlig und denkt nur an G-tt. Dadurch verleiht ein Dienst in Messirut Nefesch dem Juden irrsinnige Kraft.

Somit steckt hinter der Festlegung, dass Juden die „Mitzwot ergreifen“, noch viel mehr: Juden erfüllen die Mitzwot aus Messirut Nefesch! Das ist ihr besonderes Recht, das sie vor jedem Fluch schützt und ihnen den großen Segen G-ttes beschert.

Damals und heute

Ein Agieren in Messirut Nefesch gehörte schon seit jeher zum G-ttesdienst des Juden. Zur Zeit der religiösen Unterdrückung in der Sowjetunion forderte der sechste Lubawitscher Rebbe, Rabbi Josef Itzchak Schneerson, beinhart Messirut Nefesch von seinen Anhängern. Viele gingen auch in den Tod, um den jüdischen Funken dort am Leben zu erhalten. Er sagte: „Teure Juden! Ergreift euch Messirut Nefesch! Ergreift davon so viel ihr könnt, denn die Zeit von Messirut Nefesch geht vorbei. Bald bricht die Zeit der Religionsfreiheit an und dann werdet ihr Messirut Nefesch suchen, aber nicht finden.“5

Messirut Nefesch ist die edelste Stufe im G-ttesdienst und sie gehört zu den hervorragendsten Rechten des jüdischen Volkes, die Bileam in seiner Prophezeiung andeutete. Auch heutzutage, in einer Zeit der Religionsfreiheit, kann man G-tt in Messirut Nefesch dienen, indem man sich auch nur ein wenig vergisst, um die Mitzwot (besser) zu erfüllen.

Wegen dem G-ttesdienst in Messirut Nefesch von allen Juden in allen Generationen, werden wir uns auch schließlich die unverzügliche Erlösung verdienen!

(Likutej Sichot, Band 33, Seite 149)