In den ersten Versen der dieswöchige Sidra Wajera wird geschildert, wie Abraham, der Stammvater der Juden, sich von den Nachwehen seiner Beschneidung erholte - der Beschneidung, die seinen Bund mit G-tt bekundete und die für alle Geschlechter die "besondere Beziehung" von Abrahams Nachkommen mit G-tt zum Ausdruck bringt.

Das jüdische Volk, dessen Volk-Werden in G-ttes Bund mit Abraham seinen Ursprung fand, ist niemals eine "Nation" im landläufigen Sinne dieses Wortes gewesen. Nachdem unserem Volke die elementaren Bedingungen und Faktoren fehlen, die zur Gestaltung einer "Nation" unerlässlich sind, stellen wir ein soziologisches "Rätsel" dar. Im Gegensatz zu den Angehörigen anderer Nationen, die alle zusammen ein Land bewohnen, sind die Juden in der Diaspora über die ganze Welt verstreut, sie leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen und sprechen die verschiedensten Sprachen. Und doch - sie sind alle Juden. Obgleich es gewisse jüdische Charaktermerkmale gibt, die ihnen gemeinsam sind, ist nicht zu verkennen, dass diese Charaktermerkmale allein und für sich noch nicht einen Juden ausmachen. Ungeachtet dessen, dass wir auf totaler Verpflichtung, auf der Einhaltung aller 613 Gebote und Verbote bestehen, ist ein Jude, der unwissend, ein Agnostiker oder gar ein Atheist ist, dennoch und nichtsdestoweniger ein Jude und wird im jüdischen Gesetz als solcher angesehen.

Kurzum - jemand, der als Jude geboren ist, selbst wenn er sich nach außen hin jedes Merkmales, dass er noch zu unserem Volke gehört, entledigt hat, ist trotzdem ein Jude. Die Frage drängt sich auf: Was ist es, das ihn zu einem Juden stempelt, während sein nichtjüdischer Nachbar, der vielleicht ein viel besserer Mensch ist, keiner ist? Kraft wessen ist er jüdisch, welche Eigenschaft ist es, die ihn mit seinem G-tt und seinem Volke verbindet? Worin besteht dieser "Identitätsfaktor", der so mächtig ist, dass ein Jude sich seiner nie entledigen und auf ihn nie verzichten kann, wie sehr er dies auch immer versuchen möchte?

Die Antwort darauf ist, dass die jüdische Identität von allen persönlichen Ansichten und Überzeugungen, von gutem Charakter und von moralischem Verhalten unabhängig ist. G-ttes Bund, Seine Wahlbestimmung Seines Volkes steht weit über und jenseits blosser freundschaftlicher Beziehung. Diese Dinge sind nicht vergleichbar mit gleichgesinnten Personen, die sich gegenseitig interessant finden und daher eine Freundschaft schliessen. Eine solche Freundschaft, die doch immer auf mancherlei Bedingungen und Voraussetzungen fusst, kann Änderungen unterworfen sein. Tatsächlich liegt gerade in dieser Vernunftmässigkeit der Freundschaft ihre hauptsächliche Schwäche, denn sobald der Grund für sie fortfällt, hört die freundschaftliche Verbindung auf. Ausserdem wird hierin nicht das ganze innere Wesen des Freundes hineinbezogen, sondern nur eine Reihe von Aspekten seiner Persönlichkeit.

G-ttes Liebe zu Abraham und sein Bund mit ihm und seinen Nachkommen hingegen erwuchsen nicht aus Abrahams äußerlichem Charakter und seinen guten Eigenschaften. Sie sind vielmehr mit der "wesentlichen Liebe"eines Vaters zu seinem Sohne vergleichbar, einer Liebe, die im Vater nicht durch die guten Eigenschaften des Sohnes hervorgerufen wird, sondern die deshalb existiert. weil er im Sohne einen Teil seines eigenen Selbst sieht. Eine solche Liebe wird durch den Ablauf der Zeit nicht verringert noch durch irgendwelche veränderten Umstände. Genauso hängt G-ttes Liebe zum jüdischen Volke nicht davon ab, ob der Jude dieser Liebe würdig ist; vielmehr ist sie ein Teil seiner selbst, ob es ihm recht ist oder nicht. Dieses Band ist so stark, dass der Jude selbst seine Bindung an sein Volk weder ableugnen noch verheimlichen kann. Sollte er dies auch nur versuchen, dann werden die Hitlers dieser Welt ihn schnell wieder daran erinnern, wie die Geschichte so oft gezeigt hat.

Die jüdische Identität ist weit mehr als ein Kulturphänomen oder eine "Landsmannschaft". Sie ist ein Tatsache, nicht eine Ansichtssache, nicht abhängig von "Neigungen" oder "Gefühlen".

Zusammenfassende Übersicht:

G-ttes Bund mit Abraham und seinen Nachkommen, in der Form der Beschneidung, hat jeden Juden ein für allemal zum Juden gestempelt. Die Zugehörigkeit zum jüdischen Volke ist in keiner Weise mit irgendeiner anderen "Nationalität" vergleichbar.