Im Wochenabschnitt Wajeschew versammeln sich die Brüder Josefs in Dotan und warten auf ihn. Sie sind eifersüchtig auf Josef, den Träumer, auf Josef mit dem bunten Mantel, auf Jakobs Liebling. Darum verschwören sie sich gegen ihn. Sie wollen ihn in eine Grube werfen, ihm den Mantel rauben und dem Vater erzählen, ein wildes Tier habe ihren Bruder getötet.

Aber dann merken sie, wie schrecklich solche Gedanken sind. Sie lachen über ihre Torheit und empfangen Josef mit offenen Armen.

Nein, so geht die Geschichte nicht aus. Sie tun, was sie geplant haben, und die Folgen sind unerwartet und verwickelt. Wäre es besser gewesen, wenn sie klüger und vor allem moralischer gehandelt hätten? Sie waren schließlich die Söhne Jakobs, des Ahnen der zwölf Stämme Israels! Waren sie nicht mit Heiligkeit gesegnet?

Doch, und das ist ein Teil der Botschaft. Selbst Mosche, der spirituellste unserer Vorfahren, erzürnte manchmal G–tt. Und diese Männer, die in einer noch früheren, rohen und wilden Kultur lebten und von Gefahren und Verrat umgeben waren, waren natürlich noch anfälliger für die Sünden der Welt.

Die Tora handelt von Menschen, die auf ihre eigene Weise vor den gleichen Herausforderungen stehen wie wir. Die Tora spricht zu Menschen wie wir, zu Menschen die materialistisch denken und anfällig für Zorn, Verleumdung und andere Sünden sind. Was könnten wir sonst aus der Tora lernen?

Wir machen oft Witze über all die beliebten Geschichten, in denen unerträglich nette Leute vorkommen, die immer ein gutes Beispiel sind. Dieser Spott ist berechtigt; denn solche Geschichten haben nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Schauen Sie sich um: Wie viele “nette” und “böse” Menschen sehen Sie? Sie sehen Menschen, die heute großzügig und höflich sind, aber morgen nach der Katze treten und ihre Mutter ärgern. Kurz gesagt: Wir alle sind eben menschlich.

Die Menschen sündigen und bereuen; sie tun einander weh und versöhnen sich. Davon berichtet die Tora, und darum ist sie eine so große Lehrerin. Bestimmt hätten sich nicht so viele Generationen in dieses Buch vertieft, wenn darin nur unerfüllbare Forderungen nach Heiligkeit stünden. Die Tora fasziniert Fünfjährige ebenso wie Neunzigjährige, weil wir sie auf vielen Ebenen deuten können. Sie spricht von Menschen, die wir kennen, und ist uns daher eine Hilfe, solange wir leben.

Gibt es einen Grund, die Tora zu studieren? Ja, denn sie handelt von Ihnen, und kein anderes Buch kann sich mit ihr vergleichen.