Diese Woche müssen wir eine Behauptung widerlegen, die in unserer Kultur häufig zu hören ist und sogar als eine der wichtigsten Überzeugungen einer freien Gesellschaft gilt: die Behauptung, wir könnten alles erreichen, wenn wir nur daran glauben.

Selbst wenn wir voraussetzen, daß die Menschen nur das haben wollen, was im Rahmen der g-ttlichen Gesetze liegt, ist diese Idee töricht, gefährlich und böse. Gewiß, wird uns entgegnet - niemand glaubt, daß er mit den Armen schlagen und zum Neptun fliegen kann. Aber was ist dann gemeint? Daß jeder Präsident von Microsoft werden kann, wenn er es nur inbrünstig genug wünscht? Daß man sein Aussehen verbessern, sein Vermögen vergrößern, seinen IQ erhöhen kann? Genauer betrachtet hängen an dieser Behauptung so viele Fragezeichen, daß man einen Fußballplatz damit pflastern könnte.

Die Wahrheit ist, daß wir nicht wissen, was wir erreichen können. Das soll uns nicht davon abhalten, hohe Ziele zu setzen. Aber es sollte uns hier auf G-ttes Erde demütig machen. Wir leben nicht in einem Selbsthilfebuch. Wir leben in einem großen, geheimnisvollen Roman. (Wenn wir die Welt allein durch den Willen beeinflussen könnten, würden wir in einem Gruselroman leben. Aber es spuken ohnehin schon genug gefährliche Ideen in den Köpfen der Menschen.)

Es ist gut, daß wir nicht wissen, was im Buch des Lebens über uns geschrieben steht. Denn genau darum geht es im Leben: daß wir immer nach Höherem streben. Hätte der Schöpfer etwas anderes gewollt, bekämen wir an jedem Rosch Haschana einen Kalender, in dem steht, was uns im nächsten Jahr erwartet.


Der Tora-Abschnitt, den wir diese Woche lesen, ist Tezawe. Dort finden wir Anweisungen für den Bau und die Benutzung des Altars im Heiligtum. Da das physische Heiligtum nicht mehr existiert (außer in Form der Klagemauer), scheint dieser Text keine Bedeutung mehr für uns zu haben.

Aber das Heiligtum existiert immer noch, und in dieser Realität schreiben wir die Kapitel unseres Romans. Es existiert in unserem Verlangen, den Tempel neu zu bauen - als Ort des G-ttesdienstes in unseren Herzen. Noch größer als der materielle Tempel ist jener Tempel, den wir auf diese Weise aufbauen.

Können wir alles tun, was wir wollen? Natürlich nicht. Können wir nach und nach die Tiefe und Breite unserer inneren Fähigkeiten entdecken? Ganz gewiß. Und dieser Entdeckung verdanken wir die Freude am Leben.