Die Tora ist real, solide und die unveränderliche Verkörperung der Wahrheit. Aber sie betritt auch die Ebene der Fantasie. Wie ist beides zugleich möglich? Nun, auch die Fantasie ist eine Form der Wirklichkeit. Wir haben den Begriff allerdings verdreht und meinen damit meist abstruse Geschichten, die sich nie ereignen können. Aber das ist nicht die wahre Aufgabe Fantasie. Sie soll nämlich über die Grenzen unserer physischen Sinne hinaussehen und uns zeigen, was wir hier auf Erden alles erreichen können. (Das gelingt manchmal sogar den abstrusen Geschichten.)
Beobachten wir zum Beispiel einen Mediziner in seinem Labor. Er stellt sich eine Zelle vor, vor allem eine Krebszelle – und eine neue Methode, sie zu bekämpfen. Bisher hat man Tumore mit dem Skalpell entfernt oder mit Chemikalien vernichtet. Er überlegt, ob man ihnen nicht die Blutversorgung entziehen kann; dann müssten sie wegen Nährstoffmangel sterben! Jahrelang verfolgt er seine Theorie, und eines Tages hat er Erfolg. Er hat nicht nur eine neue Therapie entdeckt, sondern den Kampf gegen den Krebs grundlegend verändert und andere Wissenschaftler so beeinflusst, dass auch sie die Grenzen ihrer Forschungen erweitern können. Der Mediziner, der das erreicht hat, ist ein Jude und der Sohn eines Rabbis. Ist das Zufall? Wenn man die Wirkung seiner Arbeit betrachtet, ist sie das Ergebnis zweier starker Kräfte, die im Mittelpunkt des jüdischen Denkens stehen: der originellen Idee, an die er glaubte, obwohl er damit allein stand, und seiner überaus harten Arbeit.
Diese Woche lesen wir von den unzähligen Einzelheiten, die für den Bau des Heiligtums wichtig waren. Nehmen Sie Ihre Tora, und lesen Sie Teruma. Fragen Sie sich: Wie konnte ein Volk, das durch die Wüste wanderte, wenig materiellen Reichtum besaß und sich nirgendwo niederlassen durfte, die Vorstellung und den Willen aufbringen, ein derart kompliziertes und teures Projekt anzupacken?
Die Zutaten ziehen sich über Seiten hin: Gold, Silber, Messing, Onyx, Akazienholz, Leinen, Seehundfelle ... Und es gab keinen Baumarkt, um die Bögen und Säulen und Sockel zu kaufen!
Wie war das möglich? Durch Fantasie, Glaube und harte Arbeit. Und dann das Ergebnis: Ein Ort, der alles übertraf, was die meisten Menschen damals für möglich hielten, „der Platz, den Er als Wohnung für Seinen Namen auserwählt hat“. Das scheint unmöglich zu sein. Wie kann G-ttes Essenz, die jede Materie vernichten kann, sich auf unserer materiellen Welt manifestieren? Weil G-tt die Welt zwar mit Grenzen geschaffen hat, er selbst aber nicht an diese Grenzen gebunden ist. Und er lehrt uns, seinem Beispiel zu folgen. Auch wir sind Schöpfer, wenn auch innerhalb bestimmter Grenzen – der Grenzen unserer Vorstellungskraft.
Was wäre, wenn wir diese Grenzen mit neuen Augen betrachten und uns vorstellen würden, dass wir G-ttes Willen durch die Mizwot ausdrücken und neue Wege zum Frieden und zur Freude gehen können? Was wäre, wenn Sie sich vorstellen würden, dass Sie mehr sind als der Mensch, den Sie bisher im Spiegel sahen, und dass Sie die Fantasie und die Realität haben, um mehr zu erreichen? Was wäre dann?
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