Der Wochenabschnitt »Bamidbar« wird immer vor Schawuot gelesen. Die einfache Begründung dafür lautet, dass der Abschnitt davor (»Bechukotai«) sehr heftige Verwarnungen enthält; da man diese nicht direkt vor dem Feiertag Schawuot verlesen will, achtet man darauf, einen Abschnitt dazwischen einzufügen.
Doch gibt es auch einen tieferen Zusammenhang zwischen der Lesung »Bamidbar« und Schawuot.
Im Abschnitt Bamidbar geht es um eine umfangreiche Zählung des jüdischen Volkes. Es ist dies nicht die einzige Volkszählung in der Tora: Die erste fand nach dem Auszug aus Ägypten statt, die zweite nach dem Goldenen Kalb bzw. vor dem Bau des Heiligtums, und nun haben wir die dritte Zählung kurz nach der Fertigstellung des Heiligtums. - Warum eigentlich wurde so oft gezählt?
Ein häufig zitierter Kommentar besagt, dass G-tt das jüdische Volk als Ausdruck einer besonderen Liebe immer wieder zählte. Denn wenn einem etwas besonders wertvoll ist, holt man es immer wieder hervor, um es zu zählen. Also erkennen wir daran die große Zuneigung G-ttes zum jüdischen Volk.
Wenn Objekte gezählt werden, steht ihre Gleichwertigkeit im Vordergrund: Ob groß oder klein, ob bedeutend oder unwichtig – jedes Objekt zählt eine Einheit. So betont auch die Zählung des Volkes Israel das, was in jedem jüdischen Menschen gleichermaßen vorhanden ist – und das sind weder der Verstand, noch Charaktereigenschaften oder moralisches Niveau, sondern das ist die innerste Essenz: die jüdische Seele.
Warum aber mussten es genau diese drei Zählungen sein? Bei näherer Betrachtung können wir drei verschiedene Entwicklungsstufen zum Zeitpunkt dieser Zählungen erkennen:
Beim ersten Mal – frisch aus Ägypten befreit – war die Verbindung des Volkes zu G-tt so weit erweckt, dass das Volk vertrauensvoll G-tt sogar in eine unwirtliche Wüste folgte.
Beim zweiten Mal reichte die Verbindung insoferne tiefer, als beim Bau des Heiligtums auch der Verstand und die Begabungen der Leute mit einflossen. Doch immer noch kam der Anstoß für das Unternehmen nicht vom Volk, sondern von G-tt, der den Auftrag für den Bau gegegeben hatte.
Erst beim dritten Mal war das Volk mit einer wirklich aktiven Rolle beteiligt, denn der Betrieb des Heiligtums erforderte aktives und bewusstes Handeln.
Nun ist auch der Zusammenhang mit Schawuot zu verstehen: Schawuot, der Tag der Gabe der Tora, erweckt die innige Beziehung zu G-tt, die wir am Berg Sinai erfahren hatten, jedes Jahr auf's Neue wieder. Als Vorbereitung dafür ist die Lesung über die dritte Zählung, die uns daran erinnert, dass wir in dieser Beziehung einen aktiven Part spielen, genau der richtige Text.
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