Am Beginn des Leseabschnitts »Mischpatim « heißt es: »Und dies sind die Rechtssätze [Mischpatim], die du vor sie legen sollst«. Der Schluß dieses Satzes wirft Fragen auf: Wer ist da mit dem Wort »sie« gemeint? Und was heißt »vor sie legen«?

Verschiedene Erklärungen wurden dafür gegeben: Eine besagt, dass die jüdischen Rabbinatsgerichte gemeint sind. Wer einen Rechtsstreit mit einem jüdischen Mitmenschen hat, soll sich zur Klärung an ein solches Gericht, nicht an eine andere Autorität wenden.

Eine andere Erklärung besagt, dass beim Lehren der Tora auch die Begründungen für die diversen Regelungen den Schülern soweit als möglich nähergebracht werden sollen.

Eine dritte – chassidische – Erklärung legt das Wort »sie« als das jüdische Volk selbst aus. Soll heißen, bis vor die innerste Essenz der Seele soll das Gebot dringen, nicht nur äußerlich erlernt werden.

Der Lubawitscher Rebbe hat die verschiedenen Erklärungsansätze näher analysiert: Zunächst fällt auf, dass nicht von Geboten im Allgemeinen, sondern von »Mischpatim« die Rede ist. »Mischpatim« sind solche Gesetze, deren Inhalt uns so weit logisch erscheint, dass wir auch durch eigenen Verstand auf derartige Regelungen gekommen wären. Es kann zum Beispiel durchaus menschlicher Einsicht entspringen, das Stehlen, Blutvergießen u.Ä. zu verbieten. Ausgerechnet diese »Mischpatim «, die ohnehin so klar und logisch sind, sollen wir tief in unsere Seele dringen lassen?

Einen Hinweis finden wir im unscheinbaren Wörtchen »und«, das den Satz einleitet. Dieses »und« verknüpft den Text mit dem, was zuvor gelernt wurde, und das war die Gabe der Tora am Berg Sinai. Auch die »Mischpatim«, die logischen Rechtssätze, die der menschliche Verstand ganz gut begreifen kann, sollen wir nicht weniger als alles andere als von G-tt gegeben annehmen. Wir führen ein »Mischpat« nicht deshalb aus, weil es uns einleuchtet, sondern weil G-tt es in der Tora so geboten hat. Das erreichen wir nicht durch bloßes äußerliches Tun, sondern dazu braucht es auch die richtige Einstellung.

Gerade erst diese innere Bindung an die Gesetze als Gebote G-ttes schafft wahres Verständnis. Die Gebote, und unter ihnen auch die so logischen »Mischpatim«, sind zwar mithilfe des Intellekts zu erfüllen (siehe die zweite der angeführten Erklärungen), doch nicht bloß wegen unseres Intellekts. Denn schließlich reicht der Sinn eines Gebots weit über unseren menschlichen Verstand hinaus. Wer die Gebote nur deshalb erfüllt, weil sie logisch erscheinen, begibt sich tatsächlich in größte Gefahr vom Weg der Tora abzuweichen. Die Ausübung einer Mizwa hingegen, die von der Absicht getragen ist, G-ttes Gebot zu erfüllen, schafft eine lebensspendende Verbindung zwischen der Seele und ihrem Schöpfer.