In unser multinationalen Gesellschaft sind Übersetzungen ein Teil des Lebens. Im Idealfall ermöglichen sie es Völkern mit völlig unterschiedlichen Denkweisen, sich zu verständigen. Aber sind Übersetzungen immer korrekt?

Die Parascha Dwarim am Anfang des fünften und letzten Tora-Buches berichtet, wie Mosche zum jüdischen Volk spricht und ihm erklärt, was die Tora im Leben der Menschen und für das Land Israel bedeutet. Die Weisen sagen, er habe nicht nur hebräisch gesprochen, sondern die Tora auch in die 70 Sprachen der ursprünglich 70 Völker der Welt übersetzt.

Dadurch öffnete er die Tür für künftige Übersetzungen, zum Beispiel in unserer Zeit, welche die Tora sehr verschiedenen Völkern vermitteln: Männern und Frauen mit unterschiedlicher Lebensweise und unterschiedlichen Fragen. Die Tora hat Antworten für alle, aber sie müssen so übersetzt werden, dass man sie versteht.

Das ist ein heikler und manchmal gefährlicher Vorgang. Ein falscher Satz kann einen Menschen in eine falsche Richtung führen, mit ernsten Folgen. Darum waren die Weisen sehr besorgt, als die Tora zur Zeit des zweiten Tempels ins Griechische übersetzt wurde. Der syrisch-griechische König war fasziniert von der Tora und befahl den Weisen, sie zu übersetzen. Da er fürchtete, sie würden etwas verfälschen, ließ er 72 Weise in einzelne Kabinen setzen, damit jeder seine eigene Fassung schreiben musste. Wie durch ein Wunder stimmten ihre Übersetzungen miteinander überein, selbst bei heiklen Passagen, die man leicht missverstehen konnte.

Dennoch meinten die späteren Weisen, der Tag der Tora-Übersetzung ins Griechische sei „für das jüdische Volk ebenso schwierig gewesen wie der Tag, an dem das goldene Kalb gemacht wurde, denn die Tora lässt sich nicht leicht übersetzen“. Was ist damit gemeint?

Wegen der Verehrung des goldenen Kalbes zerbrach Mosche die Tafeln des Gesetzes am 17. Tammus. Zum Gedenken daran, haben wir kürzlich gefastet und damit Die Drei Wochen eingeleitet, deren Höhepunkt das Fasten am neunten Aw darstellt, als beide Tempel zerstört wurden.

Die Weisen waren besorgt, die Tora könne falsch übersetzt werden. In gewissem Sinne war das goldene Kalb eine solche Fehlübersetzung. Das Volk wollte etwas Spirituelles in unserer materiellen Welt haben. Eine richtige Übersetzung wäre das Heiligtum, also der Tempel gewesen.

Nachmanides meinte, das goldene Kalb sei als Ersatz für Mosche gedacht gewesen. Dessen Aufgabe war es, das Volk mit G-tt zu verbinden. Das goldene Kalb war eine falsche Übersetzung dieser Rolle, denn es war ein Idol, welches das Volk von G-tt trennte.

Letztlich hatte die Übersetzung der Tora ins Griechische jedoch eine positive Wirkung: Sie informierte alle Völker über den einen G-tt. Zudem war Mosches Übersetzung der Tora in 70 Sprachen der Schlüssel zur Vermittlung der Tora in unserer Zeit an alle Juden der Welt.

Diese Verbreitung der Tora wird eines Tages bewirken, dass der traurige neunte Aw zu einem fröhlichen Fest wird, weil der Tempel zu Jerusalem neu gebaut wird. Dies wird die wahre Übersetzung sein, weil sie Kummer in Freude übersetzen wird.