Wenn Sie wissen wollen, was Behörden machen, dann schauen Sie ihnen zu, wenn sie nichts machen, rät der Richter O’Rourke. Wenn Sie wissen wollen, was die Menschen vom Leben halten, beobachten Sie sie, wenn jemand stirbt.

Viele tun so, als sei nichts. Sie kleiden den Verstorbenen in einen Anzug oder in ein Ballkleid, kämmen sein Haar und tragen Make-up auf. „Wir sind hier, um sein Leben zu feiern“, versichern sie, während der Elefant im Zimmer mit seinem großen Kopf wackelt.

Sie erzählen einander Geschichten (nein, das habe ich mir nicht ausgedacht) über die köstliche Hühnersuppe der Toten oder geloben feierlich, die Villa im Tessin zu behalten, „weil Papa sie so liebte“. Dieses Vertuschen des Todes ist mehr als Unwissenheit; es zeugt von einer tiefen, verdrängten Furcht vor dem Unbekannten.

Der Tod trennt und führt zusammen. Das ist einmalig. Wann sonst lassen wir alles stehen und liegen, um rechtzeitig „da“ zu sein – bei der Beerdigung?

Und wenn wir rechtzeitig da sind, in einem Zimmer, das oft mit Krankheit und immer mit Sorge gefüllt ist, gibt es, falls wir Glück haben, auch Worte, Blicke, Kommunikation. Diese Eindrücke bleiben den Söhnen und Töchtern ein Leben lang. Jaakow segnete seine Kinder auf dem Sterbebett, und Rembrandt, von dieser Szene gefesselt, bannte sie auf Leinwand.

„Begrabt mich nicht in Ägypten“, bittet Jaakow. Und sie hören zu. „Begrabt mich bei meinen Eltern.“ Sie hören zu. „Ich erzähle euch vom Ende aller Tage.“ Sie lauschen, aber er sagt nichts mehr. „Ich segne euch.“ Sie hören zu, und wir tun es ihnen nach.

Der Baal Schem Tow war fünf Jahre alt, als sein Vater und seine Mutter kurz hintereinander starben. „Fürchte niemanden außer dem Allm-chtigen“, sagte sein Vater zu ihm und hinterließ ihm ein Vermächtnis der Liebe, das der Sohn an viele Menschen weitergab.

Eine alte Frau, die ich kannte, wurde mit Krebs diagnostiziert, und man gab ihr nur noch wenige Monate zu leben. Sie war weder bestürzt noch deprimiert. „Ich hatte ein gutes Leben“, sagte sie, „und ich bin alt. Ich bin glücklich. Meine Enkel sprachen nicht jiddisch, aber meine Urenkel tun es.“ Sie war kein Scholom-Alechem-Fan – als Kind hatte sie Emile Zola gelesen. Sie sprach ziemlich gut Englisch, also war Kommunikation kein Problem für sie. Und die Kluft zwischen den Generationen war für sie nicht groß, denn sie wusste ja, dass sie die Welt mit ihren Enkeln teilte. Aber man schmeckt die Welt mit seiner Muttersprache, und wer sein Kind in dieser Sprache aufzieht, zeigt, dass er die Kultur liebt, die diese Sprache hervorgebracht hat.

Sie wollte ihre Nachkommen mit einer bestimmten Welt vertraut machen. Diese Welt, die Hitler und Stalin zerstört hatten, sollte die Girsa Dejankesa (das Hauptaugenmerk) ihrer Enkel sein. Für unsere Kinder tun wir alles. Wenn Sie wissen wollen, wovon ein Mann träumt und wo er lebt, sind seine Urlaubsreisen und sein Aktiendepot unwichtig. Schauen Sie, was er sich für seine Kinder wünscht.

Dies ist die Moral der Parascha von Jaakows und Josefs Tod, die seltsamerweise Wajechi heißt, „Leben“. Aber so seltsam ist das gar nicht.

Der Tod ist ein Fenster in eine Welt, die Lebende nicht sehen können. Er ist ein Fenster zur Seele des Sterbenden, das uns mit Aufrichtigkeit blendet. Warum sonst legen wir auf dem Sterbebett Geständnisse ab und ehren die Wünsche des Sterbenden? Angesichts des Endes spielen wir kein Theater mehr.

Der Tod ist ein Augenblick der Wahrheit, den nur die harte Realität der Trennung heraufbeschwören kann. Dieser Moment verbindet Menschen und Welten. Der Tod ist die endgültige Trennung. Wer „hinübergeht“, verlässt uns. Das führt uns zusammen. Wenn jemand stirbt, sind die Menschen am wahrhaftigsten, am lebendigsten, sowohl der Sterbende als auch die Hinterbliebenen. Plötzlich fallen Masken. Das ist oft schmerzlich, aber letzten Endes tröstlich. Der Vater stirbt, und auf einmal ist der 60-jährige Sohn kein Kind mehr, sondern eine verwirrte Waise, plötzlich erwachsen. Und in dieser Leere, in diesem lebendigsten Augenblick, wird ein Glied in der Kette geschmiedet.

Dieser Prozess erschöpft uns. Darum endet die Parascha mit „Chasak, Chasak wenisChasek“: Seid stark, seid stark und werdet gestärkt.