Jankele wähnte sich im Glück. Anstatt dieses Jahr ins Ferienlager zu fahren, ließen die Eltern ihn seine Cousins in Israel besuchen. Er landete am Dienstag und bereits am Mittwochmorgen stand er zum ersten Mal im Leben an der Kotel HaMarawi (Klagemauer). Jeder um ihn herum war am Beten. Jankele war so aufgeregt, dass er sich kaum auf seinen Siddur konzentrieren konnte.

Plötzlich spürte er, wie ihn jemand auf die Schulter klopfte.

"Das erste Mal hier, was?" fragte ein Mann mit weißem Bart und freundlichem Gesicht. Jankele nickte.

"Zu aufgeregt, um zu beten?" fragte der Mann weiter. Er lächelte freundlich und tätschelte Jankele auf den Kopf. "Du siehst wie ein Jeschiwa Student aus." Jankele nickte wieder.

"Also, welche Parascha lesen wir diese Woche?" fragte der alte Mann.

"Waetchanan," gab Jankele schüchtern zur Antwort.

"Aha!" rief der alte Mann aus. "Und gerade in ihr findest du eine wichtige Lehre über das Beten. Womit beginnt denn die Parascha?"

Inzwischen fühlte Jankele sich wohl in der Gesellschaft des alten Mannes. "Israelis scheinen gerne mit jedem, dem sie begegnen, ein Gespräch anzufangen," dachte er und erinnerte sich an das lange Gespräch mit dem Taxifahrer auf der Fahrt vom Flughafen. Er war neugierig darauf zu erfahren, was der alte Mann zu sagen hatte.

"Die Parascha beginnt damit, wie Mosche Rabbeinu zu G-tt betet und Ihn darum bittet, nach Israel zu gelangen zu dürfen," antwortete Jankele.

"Und, akzeptierte G-tt seine Gebete?" fragte der alte Mann weiter.

"Nein. Er sagte Moses sogar, er solle aufhören deswegen zu beten. Mein Lehrer sagte aber, dass Moses dennoch weiter betete."

"Aha! Kluger Lehrer. Und warum setzte Moses seine diesbezüglichen Gebete fort?"

Jankele war perplex. "Nun," fing er zögerlich an zu antworten, "wenn mein Vater zu etwas Nein sagt, was ich wirklich haben möchte, frage ich auch einfach weiter."

"Und wieder, und wieder," unterbrach ihn der alte Mann, "wenn wir etwas sehr stark begehren, bleiben wir hartnäckig, stimmt's? Dennoch, wenn dein Vater immer wieder Nein zu dir sagt, hörst du schließlich auf zu fragen. Warum? Weil du um etwas bittest, was du für dich selber haben möchtest. Doch lasse mich dir verraten, dass Mosche Rabbeinu alles andere als eigennützig war; er wollte nichts für sich selber. Er war nur um sein Volk besorgt."

"Wollte er etwa nach Eretz Israel gelangen, um die köstlichen Früchte des Landes genießen oder dessen prachtvolle Landschaften sehen zu können? Nein! Moses hatte nur eine Sache im Kopf - und zwar die Mission, die G-tt ihm zu erfüllen aufgetragen hat."

Der alte Mann hielt für einen Moment inne, doch dann fuhr er fort.

"Mosche Rabbeinu erhielt von G-tt den Auftrag, das jüdische Volk aus Ägypten herauszuführen, es auf den Empfang der Tora vorzubereiten und es schließlich nach Eretz Israel zu bringen. Stelle dir nur einmal vor, mein Junge, wenn G-tt Moses Gebete erhört hätte, wäre die Ge'ula Schelema, die endgültige Erlösung, schon längst Wirklichkeit geworden!"

Der alte Mann deutete mit seinem Finger auf Jankele. "Dies ist es, wofür ein Jude beten sollte. Du und ich, sowie jeder andere auch, sollte nicht damit aufhören, für die Ge'ula Schelema zu beten, so wie es auch Moses tat. Und sehr bald wird dann G-tt unsere Gebete endlich erhören."

(Übersetzt aus "Please Tell Me What the Rebbe Said, Vol. I", basierend auf Sefer HaSichot 5752, S. 728ff.)