Unser Wochenabschnitt erzählt uns von der Lebensgeschichte Josefs, welcher als Sklave nach Ägypten verkauft wurde, und von all seiner Mühsal, durch welche er schließlich zur rechten Hand des Pharaos wurde. Bei näherer Betrachtung seines Schicksals erkennen wir plötzlich, dass die Geschichte Josefs eigentlich die Geschichte des jüdischen Volkes in der Galut widerspiegelt.

Josef, ein siebenjähriger Junge, der Lieblingssohn Jakows, wurde plötzlich seinem Haus entrissen, seiner Familie und Heimat, und als Sklave in ein fremdes Land verkauft. Der junge Knabe geriet in eine harte und grausame Welt, wobei das allergrößte Übel darin bestand, dass er an seinem elenden Schicksal keinerlei Schuld hatte.

Jemand anderen hätte diese Misere verbittert und verzweifelt; er wäre am Boden zerstört. Josef jedoch begriff, dass er auch mit dieser Lage klar kommen muss. Als Knecht des Potifar verrichtete er seine Aufgabe auf die bestmögliche Weise, bis seinetwegen sein Herr Potifar in all seinen Belangen gesegnet wurde. Denn auf diese Weise verhält sich der jüdische Mensch – in jeder Situation bemüht er sich seine Aufgabe auf die bestmögliche Weise zu erfüllen.

Starker Glaube

Wie hatte ihm Potifar seine hingebungsvolle Arbeit vergolten? – Er warf Josef in den Kerker! Und warum das? – Weil er seinem Herrn gegenüber loyal blieb und ihn nicht betrügen wollte: Siehe, mein Herr vertraut mir alles an ... Wie kann ich diese große Übeltat begehen?

Josef wird erneut mit der nackten Wahrheit konfrontiert, dass sein Fleiß, Anstand und seine Ehrlichkeit ihm nicht nur nicht Gutes bescheren, sondern sogar das Gegenteil – er landet dafür im Kerker. Doch auch dieser Umstand lässt ihn nicht in Verzweiflung versinken und seinen Lebensweg verändern. Selbst während seines Gefängnisaufenthalts hält Josef an seiner Lebenseinstellung fest und vollbringt die ihm auferlegten Aufgaben in Hingabe und auf die bestmögliche Weise, damit erneut ein Zustand entsteht, in welchem all sein Handeln von G-tt gesegnet ist. Denn auf diese Weise verhält sich der jüdische Mensch – selbst die Undankbarkeit und die Sittenverderbtheit der Menschen um ihn schwächen nicht seinen Glauben an G-tt und die hingebungsvolle Erfüllung seiner Aufgabe auf Erden.

Undankbarkeit

Im Gefängnis trifft Josef eines Tages die zwei eingesperrten Fürsten an, die voller Trauer sind. Josef begreift, dass sie etwas sehr bekümmert. Obwohl er Grund genug hat sich ihres Leides zu erfreuen, da einer von ihnen den unschuldigen Josef in den Kerker warf, denkt er nicht an Rache oder ist schadenfroh. Sobald Josef Menschen antrifft, die keinen Ausweg aus ihrer Notlage sehen, bietet er ihnen seine Hilfe an. Tatsächlich kann er ihnen beistehen, indem er ihre Träume deutet.

In dieser Situation erlaubt sich Josef eine kleine Bitte an einen der Fürsten zu stellen: Sei mir bitte gnädig, und erwähne mich vor dem Pharao. Josef bittet nicht um Geld oder irgendeinem Nutzen als Gegenleistung für die Deutung der Träume. In seinem starken Glauben an Gerechtigkeit und Anstand bittet er lediglich dem Pharao von seiner Lage zu erzählen, nicht mehr als das, und auch das erst nachdem der Fürst die Bewahrheitung der Traumdeutung erfährt. Und wie verhält sich der Fürst? – Und der Mundschenk erwähnte Josef nicht und vergaß ihn.

Gut um Böse

Josef begreift, dass die Welt voller Lügen ist und sich darin nicht einmal ein Funke von Anstand verbirgt. Als er schließlich zum Vizekönig ernannt wird und alle Macht in Händen hält, hat er die Gelegenheit sich bei all jenen zu rächen, die ihm Schlechtes getan haben. Doch ein Mann wie Josef würde sich nie auf diese Weise verhalten. Er bleibt derselbe anständige Josef und investiert all seine Kräfte in die Regierung des Landes und dessen Rettung aus der Hungersnot.

Das ist im Wesentlichen die Geschichte des jüdischen Volkes während der Galut im Laufe der Generationen.

(Sichot Kodesch, Hitwaadut Wajeschew, Jahrgang 5728)