Den Schabbat vor Beginn jedes neuen jüdischen Monats prägt ein besonderes Gebet: die Segnung des Neumonds in Gegenwart der Thorarolle. Doch bei einem Schabbat des Jahres findet diese Zeremonie nicht statt, nämlich am Schabbat vor dem Neumond des Tischrej; dies ist der letzte Schabbat vor Rosch Haschana. Laut einer Überlieferung des Baal Schem Tow1 ist G-tt es selbst, Der den Monat Tischrej segnet. Und wie lautet der Segen für den Tischrej?
Er erscheint zu Beginn unseres Wochenabschnitts, welcher immer am letzten Schabbat des Jahres rezitiert wird. Dort verkündet G-tt dem jüdischen Volk: Ihr steht heute alle. Das Wort „heute“ bezieht sich auf den Tag des Gerichts, Rosch Haschana.2 Und vor diesem großen Tag „steht ihr“ – ihr steht aufrecht und selbstbewusst. Und mit dieser Haltung tretet ihr vor Gericht – und gewinnt!
Nicht niederreißen
Der zu Beginn unseres Wochenabschnitts verwendete hebräische Ausdruck ניצבים drückt ein „Stehen in Stärke und Robustheit“ aus. Der Talmud verwendet diesen Ausdruck um die Standfestigkeit eines Königs zu demonstrieren: „Der König steht ... Er spricht und versetzt Berge.“3 Mit dieser Kraft segnet uns G-tt vor dem Neujahr, „der Kraft Berge zu versetzen“!
Dem Juden können manche Probleme im Leben wie unüberwindbare Hürden vorkommen. In seinem Dienst an G-tt wird er so heftig von inneren Trieben gestört, dass sie ihm wie unausweichliche Berge erscheinen. Deshalb erhält er die Kraft Berge zu versetzen! Der Talmud verwendet bewusst den Ausdruck „versetzen“ und nicht „niederreißen“. Denn „versetzen“ bedeutet etwas an einem Ort zu entfernen und es an einem anderen wieder einzusetzen. Der Jude hat die Kraft jede lästige Störung „seines inneren Widersachers“ auszureißen und sie sogar für den Dienst an G-tt, im Bereich des Guten und Heiligen, wieder einzusetzen. Nehmen wir die Kraft der Gewohnheit als Beispiel. Beim aktiven Dienst an G-tt (dem Erfüllen der Gebote) ist sie sehr schlecht und absolut zu vermeiden, da der Jude die Gebote nie aus Gewohnheit erfüllen sollte. Aber beim passiven Dienst (dem Vermeiden von Verboten) wirkt sie sehr nützlich, wie z.B. sich abzugewöhnen über andere schlecht zu sprechen usw.
„Ihr alle“
Um aber den Segen G-ttes Ihr steht kräftig zu erhalten, muss zuerst die Bedingung ihr alle erfüllt werden, nämlich das tiefe Gefühl der Verbundenheit und des Zusammenhalts. Nur wenn das jüdische Volk vereint ist, zeigt es sich als würdig den Segen G-ttes zu empfangen. Zwar herrschen Unterschiede im Volk, wie die Thora weiter erklärt – eure Häupter, eure Stämme, eure Ältesten und eure Beamten ... eure Frauen, eure Kinder bis zu deinem Holzhauer und deinem Wasserschöpfer –, dennoch ist jeder ein unentbehrlicher Teil seines Volkes mit einer ihm bestimmten Aufgabe. Und an uns liegt es trotz dieser Unterschiede einen festen Bund zu schließen – uns zu vereinigen.
Wie erreicht man diese Vereinigung? Dabei lautet unser gemeinsamer Nenner „G-tt“, wie es auch in dem ersten Vers unserer Thoralesung gedeutet wird: Ihr steht heute alle vor dem Ewigen, eurem G-tt. G-tt wählte uns alle zu Seinem Volk und steckte in jeden Juden einen g-ttlichen Funken. Die Seele des einen ist genauso ein Teil G-ttes wie die seines Nächsten. Das Erkennen unserer gegenseitigen Verbundenheit lässt uns G-ttes Segen empfangen.
Ab heute
Obwohl dieser Segen dem jüdischen Volk zu Rosch Haschana gegeben wird, ist der Ausdruck „heute“ aber auch wortwörtlich zu verstehen, nämlich „heute“, in jenem Moment, in dem diese Worte aus der Thora verlesen werden, an diesem Schabbat! Und so lehren unsere Meister: „Jeder, der aus der Thora liest, G-tt liest mit ihm mit.“4 Beim Rezitieren dieses Wochenabschnitts aus der Thora also spricht G-tt auch zu uns den Segen: Ihr steht alle heute vor G-tt ... !
Nun aber erwarten wir den größten Segen von G-tt, nämlich die vollkommene Erlösung, und dann wird das kommende Jahr gewiss das beste aller Zeiten, und das wollen wir jetzt gleich!
(Thorat Menachem des Jahres 5750, Band 4, Seite 290)
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