Moses eröffnete das Lied Haasinu mit den Worten1: "Wenn ich den Namen G-ttes ausrufe, schreibt unserem G-tt Größe zu." Der Talmud2 sagt, dass dieser Vers uns lehrt, dass wir einen Segensspruch sagen sollen, bevor wir Tora studieren. Dann lautet die Bedeutung des Verses so: "Bevor wir Tora studieren – und somit den Namen G-ttes ausrufen, nachdem doch die gesamte Tora als eine ganze Sammlung von Namen G-ttes3 betrachtet wird, sollen wir G-tt Größe zuschreiben, indem wir die Segenssprüche sagen, um die Größe der Tora zu würdigen.

Es gibt drei getrennte Segenssprüche, die wir über beim Studieren der Tora sagen, bevor wir mit dem Studium beginnen, die während den Morgengebeten rezitiert werden und die in ihrem Gebetsbuch zu finden sind. Zusätzlich zu diesen Segenssprüchen, gibt es noch zwei weitere Segenssprüche, die wir sagen, wenn wir mit einer Alija geehrt werden. Der erste Segensspruch wird vor der Alija gesagt (es handelt sich dabei um denselben Segensspruch wie der dritte Segensspruch, den wir schon davor, im Rahmen der morgendlichen Segenssprüche, gesagt haben) und der zweite wird hinterher gesagt.

Dieser Artikel wird sich vor allem mit den drei Segenssprüchen, die wir morgens, vor dem Tora-Lernen sagen, befassen.

Aus der Tora oder aus rabbinischer Quelle?

Der Ramban (Nachmanides) schließt diese Mizwa in seiner Liste der 613 Mizwot mit ein.4 Der Rambam (Maimonides) jedoch zählt diese Mizwa nicht zu den 613 Mizwot. Seiner Ansicht nach stammen die Segenssprüche über die Tora daher aus rabbinischer Quelle.5

In der Praxis wirkt sich der Unterschied zwischen diesen beiden Ansichten nur in Fällen aus, wenn wir unsicher sind, ob wir diese Segenssprüche bereits gesagt haben. Gemäß Ramban sollten wir die Segenssprüche wiederholen, da betreffend der Tora-Gebote bei bestehendem Zweifel, ob wir unsere Pflicht bereits erfüllt haben, wir es sicherheitshalber nochmals tun. Dem Rambam zufolge sollten wir sie nicht wiederholen, wie es bei Geboten aus rabbinischer Quelle die Regel ist.6

Wie und wann sollen wir die Segenssprüche sagen?

  • Die Segenssprüche können gleich am Morgen gesagt werden, nachdem wir uns die Hände gewaschen haben und bevor wir die Tora studieren.
  • Es ist Brauch, diese Segenssprüche im Stehen zu sagen, doch ist das nicht obligatorisch.7
  • Gemäß einigen Meinungen, sollen wir uns bemühen, die Segenssprüche über die Tora zu sagen, bevor wir irgendeine Mizwa ausführen wie z.B. vor dem Schütteln des Lulaw, dem Anlegen der Tefillin.8

Die Bedeutung der Segenssprüche

  • Im zweiten Segensspruch beten wir darum, dass unsere Nachkommen "Deinen Namen kennen sollen." Denn der Zweck des Tora-Studiums ist, G-tt zu kennen.9
  • Wenn wir die Worteascher bachar banu mikol ha'amim ("der uns aus allen Nationen heraus ausgewählt hat") im dritten Segensspruch sagen, sollen wir uns auf die Tatsache konzentrieren, dass G-tt uns am Berg Sinai aus allen heidnischen Nationen heraus ausgewählt und uns Seine Heilige Tora gegeben hat.10
  • Der dritte Segensspruch wird in der Gegenwart (im Präsens) ausgedrückt – Noten haTora ("der uns Seine Tora gibt") – um anzugeben, dass Er uns Seine Tora jeden Tag gibt und es uns ermöglicht, sie zu verstehen und neue Erkenntnisse in ihr zu entdecken.11

Die Details

  • Obwohl es nicht erlaubt ist, die Tora laut zu studieren, bevor wir diese Segenssprüche sagen, ist es erlaubt, an Ideen aus der Tora zu denken. Auf ähnliche Weise ist es erlaubt, bevor wir die Segenssprüche über die Tora gesagt haben, eine halachische Entscheidung auszustellen, jedoch ohne dabei eine Erklärung, abzugeben, da diese Erlaubnis nur die Gedanken und nicht das Sprechen mit einschließt.12 Wer eine Tora-Lektion am Radio oder übers Internet hören will, sollte sicherstellen, dass er an jenem Tag zuvor die Segenssprüche über die Tora gesagt hat.13
  • Gemäß einigen halachischen Ansichten, sollten wir nicht beten, bevor wir diese Segenssprüche gesagt haben, da die Gebete viele Verse aus der Tora enthalten.14 Andere sind der Meinung, dass wir die Tora-Verse, die Teil des Gebetes sind, sagen dürfen, noch bevor wir diese Segenssprüche rezitiert haben.15 Doch um allen Meinungen gerecht zu werden wäre es auf jeden Fall besser, die Segenssprüche über die Tora vor dem Gebet zu sagen. Hören wir jedoch Keduscha, noch bevor wir diese Segenssprüche sagen konnten, so ist es uns erlaubt, zu antworten.
  • Riskieren wir durch das Rezitieren der Segenssprüche über die Tora den letzten Termin fürs Schma Jisrael-Gebet zu verpassen (für genauere Angaben über dieses Ultimatum klicken Sie bitte hier), dann sollen wir das Sagen dieser Segenssprüche bis nach der Vollendung des Schemas hinausschieben. Hier gilt jedoch die Absicht, nur gerade die Mizwa des Rezitieren des Schma Jisraels zu erfüllen und nicht die Mizwa des Tora-Lernens.16
  • Wir sollen unmittelbar nachdem wir diese Segenssprüche gesagt haben, Tora studieren.17 Es ist Brauch, den Segen der Kohanim und den Abschnitt der Mischna zu sagen, der mit den Worten beginnt: Elu Dwarim, wie wir das in den Gebetsbüchern finden.
  • Der erste Segensspruch, den wir über das Scma Jisrael sagen (Ahawat Olam oder Ahawa Rabba) wird ebenfalls als ein Segensspruch über die Tora angesehen, da in ihm ein Gebet enthalten ist, dass wir in unserem Tora-Studium Erfolg haben sollen. Vergessen wir also die Segenssprüche über die Tora zu sagen und erinnern uns erst nachdem wir die Segenssprüche über das Schma Jisrael gesagt haben, sollten wir jene Segenssprüche nicht mehr sagen, da wir unsere Pflicht mit diesem Segensspruch über das Schma Jisrael bereits erfüllt haben. In diesem Fall sollten wir uns bemühen, gleich nach dem Beten, Tora zu lernen. Doch selbst wenn wir nicht sofort Tora studieren, können wir unsere Pflicht als erfüllt betrachten, da das Lesen des Schma Jisrael selbst als Tora-Lernen betrachtet werden kann.18
  • Diese Segenssprüche müssen nur einmal am Tag gesagt werden, selbst wenn wir einen längeren Mittagsschlaf gehalten haben.19
  • Wenn wir uns abends schlafen legen und mitten in der Nacht aufwachen und Tora lernen möchten, so müssen wir die Segenssprüche über die Tora sagen, bevor wir das tun.
    Nach einem sehr kurzen Schlaf, zu dem wir uns nicht wirklich schlafen legten, können wir nach dem Aufwachen Tora studieren auch ohne die Segenssprüche über die Tora sagen zu müssen. Wir sollen diese erst sagen, wenn wir vom Hauptschlaf erwachen.20
  • Wenn wir die ganze Nacht wach bleiben, wie z.B. zu Schawuot, gibt es eine halachische Diskussion, ob wir jetzt am Morgen die Segenssprüche über die Tora sagen sollen. Die akzeptierte Ansicht besagt, dass wir diese dann bei Tagesanbruch sagen sollen.21 Wollen wir jedoch allen Meinungen gerecht werden, so bitten wir jemanden, der in jener Nacht geschlafen hat, seine Tora-Segenssprüche laut zu sagen. Damit befreien wir ihn ebenfalls von dieser Pflicht.22
  • Die Frauen sollten ebenfalls diese Segenssprüche jeden Tag sagen, da sie gebeten werden, diejenigen Aspekte der Tora zu studieren, die sich auf die Mizwot beziehen, zu denen sie verpflichtet sind, sowie Gebete zu rezitieren, die, wie wir oben gesehen haben, viele Tora-Verse enthalten.23

Die Konsequenz des (vorsätzlichen) Vernachlässigen des Rezitieren dieser Segenssprüche

Der Talmud24 sagt, dass der Grund, warum das Land Israels nach der Zerstörung des Ersten Tempels völlig öde war, damit zusammenhing, dass die Juden keine Segenssprüche über die Tora sagten. Oder in den Worten des Propheten Jeremias25: "Warum ist das Land zerstört und verdorrt wie eine Wüste, ohne dass es jemand durchquert? ...Weil sie Mein Gesetz (meine Tora) verlassen haben." Die Kommentatoren erklären, dass ihnen die Tora nicht so wichtig war und sie daher nicht darauf achteten, die entsprechenden Segenssprüche vor dem Lernen zu sagen. Sie studierten die Tora nicht um der Tora selbst willen oder aus altruistischen Gründen, sondern eher aus Gründen der Selbstverherrlichung.26

Der Bach (Rabbi Joel Sirkisch aus Krakau, 1561-1640) versucht uns hier eine Erklärung für diese scheinbar disproportional harte Strafe zu geben27: Diese Segenssprüche bringen unseren Wunsch zum Ausdruck, unsere Seelen und die ganze Welt mit der wesenseignen Heiligkeit der Tora zu verbinden. Wenn wir die Tora aus persönlichem Gewinnstreben studieren, haben wir dabei nicht das Herunterbringen der Schechina (der G-ttlichen Gegenwart) in diese Welt bewerkstelligt. Die physische Zerstörung war daher nur eine Widerspiegelung der spirituellen Öde.

Zusätzlich sagt Ravina,28 dass der Grund, warum Tora-Gelehrte manchmal Kinder haben, die keine Tora-Gelehrten sind, davon kommt, dass die Eltern das Rezitieren dieser Segenssprüche vernachlässigt haben. Diese Segenssprüche beinhalten unter anderem ein Gebet, dass unsere Nachkommen Tora studieren und G-ttes Namen kennen sollen. Wenn wir nicht für dieses Resultat beten, wird es sich auch nicht in die Wirklichkeit umsetzen.29

Aus diesen schlimmen Strafen können wir schließen, diese Segenssprüche mit der angemessenen Konzentration und zur richtigen Zeit zu sagen, ist eine Segula (spirituell besonders günstige Tat), um Kinder, spätere Tora-Gelehrte, zu bekommen, die auch die Schechina in diese Welt zurückbringen - mit der baldigen Ankunft Moschiachs.