Eine der seltsamsten, schwer auszuführenden Mizwot ist jene, die uns beauftragt, eine bestimmte Erinnerung von unserem nationalen Gedächtnis-Datenkatalog zu entfernen.
“Löscht die Erinnerung an Amalek aus!”1
Wir kennen Gebote, die verlangen, sich nicht lange mit einer bestimmten Erinnerung zu beschäftigen. Betreiben wir aber keine Science-Fiction oder futuristische medizinische Forschung, so ist es uns unmöglich, eine Erinnerung völlig zu löschen.2
Wie bei vielen schwierigen biblischen Passagen hilft Raschi uns auch dieses Mal mit seiner Erklärung: Das Gebot, die Erinnerung an Amalek auszulöschen, beinhaltet, dass wir deren Ochsen und Schafe eliminieren, “so dass der Name Amalek noch nicht einmal in Bezug auf ein Tier erwähnt wird, wenn wir sagen ‘Dieses Tier gehörte Amalek.’”
Raschi sagt damit: Eine Erinnerung an einen Menschen wird dadurch ausgelöscht, indem alle Andenken, die diese Erinnerung aktivieren, beseitigt werden. Im Fall von Amalek sind es seine Tiere, die uns an dessen vorherigen Besitzer erinnern.
Der erste Schritt zur Beseitigung einer Abhängigkeit besteht in der Beseitigung all seiner Auslöser, wie z.B. Alkohol, Zigaretten, Computer, Kreditkarten. Nur dann bleibt zu hoffen, dieses destruktive Verhalten zu überwinden.
Gleiches gilt auch für die Überwindung des Schmerzes einer gescheiterten Beziehung oder eines traumatischen Erlebnisses. Halten wir uns z.B. von der Person, dem Platz, der Sache fern, die uns das Leid brachte, dann ist das oft der erste Schritt zur Heilung.
Aus den Augen, aus dem Sinn - stimmt wirklich, und aus dem Sinn bedeutet wirklich auch aus dem Gedächtnis.
Gefahrenzonen
In der chassidischen Literatur verkörpert Amalek nicht nur ein früher gegebenes antagonistisches Volk, sondern auch einen dauerhaften geistigen Feind, der immer noch innerliche Störfeuer repräsentiert.
Vielleicht ist Amalek als die “Stimme der Vernunft” zu erkennen, oder als zynische Tendenz, die sich vor allem während inspirierender Momente meldet. Die Verse über Amalek besagen: “Er fand euch zufällig auf dem Weg” ascher korcha baDerech, was auch “er hat euch abgekühlt” bedeuten kann. Wie eine Klimaanlage, die auf Höchsteinstellung steht, hat sich Amalek darauf spezialisiert, jedwede “exzessive” spirituelle Heißblütigkeit oder Hingabe, die zu einem bedeutsameren Lebensstil führen könnte, abzukühlen.
Jede Rechtfertigung von Sünden und jeder Zweifel bezüglich des Glaubens und guter Taten, beruhen auf Amalek's Kälte.
Also, wie "löschen" wir "die Erinnerung" an Amalek innerlich aus?
Wenn wir Raschi’s Formel folgen, dann müssen wir zuerst die Zustände, die ihm zu existieren und seinen Einfluss zu verstärken erlauben, identifizieren.
Neben spezifischen persönlichen Auslösern gibt es auch einige allgemeine Schwachpunkte, die in dem Vers über Amalek's Taten beschrieben werden:
“Erinnert euch daran, was Amalek euch auf dem Weg angetan hat, als ihr Ägypten verlassen habt ...”
Wörtlich verstanden bezieht sich dieser Vers auf die spezifischen Herausforderungen des Reisens, wenn wir an Orte kommen, wo uns keiner kennt. Besonders bei Alleinreisenden können Unabhängigkeitsgefühle, Freiheit und Anonymität die eigene Urteilskraft trüben.
“Auf dem Weg” kann sich auch auf Momente der Instabilität in unserem Leben beziehen, oder wenn wir uns in zeitlich begrenzten Situationen befinden. Dann sind wir der Versuchung ausgesetzt, zu sagen “Wenn sich alles etwas beruhigt und normalisiert und eine permanente Stelle erarbeitet hat, dann wird alles anders. Dann werde ich anders.”
“Und er schlug diejenigen, die hinten waren, alle Schwächlichen am Ende”. Das bezieht sich auf Momente in unserem Leben, wenn wir zurückfallen, wenn wir emotional, spirituell und moralisch am schwächsten sind. “Wer sieht meine Fehler?” können wir uns in solch verzweifelten Momenten fragen. “Ich bin ganz allein auf meiner anstrengenden Wanderung auf dem staubigen, schwierigen Lebensweg.”
Du bist nicht ganz allein. Du kannst dich auf Amalek verlassen! Er wird in deinen verletzlichsten Augenblicken bei dir sein und dich auf deinem Weg nach unten unterstützen, auf der Einbahnstraße zur Verzweiflung - so sieht sie zumindest aus.
“Als ihr schwach und erschöpft ward”. Hier wird noch eine gute Gelegenheit zur Ausnutzung beschrieben. Körperliche Schwäche und Erschöpfung führen dazu, dass wir uns weniger im Zaum haben. Somit sind wir weniger fähig, vernünftige Entscheidungen zu treffen.3
Daher ist es wichtig, dass wir die Erinnerung an Amalek und seine Hinderung gegenüber bedeutsamem Leben dadurch auslöschen, dass wir Bedingungen und Möglichkeiten, die ihm seine Existenz erlauben, eliminieren.
Um es mit den Worten eines Psychologen, der sich über Abhängigkeiten äußert, zu sagen: “Wir müssen unsere Gefahrenzonen erkennen. ... Eine Gefahrenzone kann eine bestimmte Tageszeit oder die eigene Reaktion auf bestimmte Umstände sein. Es gibt Zeiten, wo wir eher dazu neigen, auf unsere alten Gewohnheiten zurückzufallen. Wenn wir diese Zeiten und Umstände erkennen, können wir etwas tun, das mit der Abhängigkeit, die wir hinter uns lassen möchten, unvereinbar ist.”4
Was habe ich davon?
Es stimmt, dass die beste Art, eine schlechte Angewohnheit zu überwinden, in einer inneren Transformation besteht. In den Kreisen der Abhängigkeitsüberwindung nennen sie es “psychischen Wandel”, wo wir die praktische, moralische oder spirituelle Zerstörung, die die schlechte Angewohnheit hervorruft, erkennen und daran arbeiten. Ein anderer Schritt muss allerdings davor kommen: Wir müssen alle Auslöser vermeiden. Die Assoziationen, die durch bestimmte Bilder, Geräusche und Gerüche ausgelöst werden, sollten auf jeden Fall eliminiert werden.
Denn wie es im Talmud heißt,5 “Es ist nicht die Maus, die stiehlt, sondern das Mausloch, durch das die Maus ins Haus kommt!” Wir können die Mäuse loswerden, indem wir die Mauslöcher verschließen!
(Dieser Artikel basiert auf Likute Sichot, Bd. 14, S. 86.)
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