Eine Legende über einen angesehenen griechischen Philosophen, der von seinen Schülern bei einer unmoralischen Tat erwischt wurde. Wütend konfrontierten sie ihn: "Ausgerechnet Du – der uns in Fragen philosophischer Ethik und Moral erzieht – wie kannst du nur?!"

Seine Antwort war: "Liebe Studenten, ich lehre euch auch die Grundlagen der Trigonometrie. Sehe ich deshalb wie ein Dreieck aus?"

Warum ist es so anstößig, wenn wir herausfinden, dass unsere Vorbilder oder geistlichen Führer sich in unmoralischer Art und Weise aufführen? Im Grunde genommen sind sie doch auch nur Menschen, anfällig dafür, Fehler zu machen. Und doch – der Zwiespalt zwischen ihrer vorgeblichen Selbstverwirklichung und ihrem lasterhaften Benehmen passt uns gar nicht.

Spirituelle Ausrichtung kann sehr erfreulich und aufregend sein; ein persönliches Laster aufzugeben, ist weniger glanzvoll und überhaupt nicht erfreulich. Es ist verführerisch, die Selbstzufriedenheit durch Nachsicht bei unmoralischem Verhalten wachsen zu lassen, anstatt es bis zum Ende zu bekämpfen. Und spirituelles Vorwärtskommen wirkt nicht, wenn es nicht gepaart mit ernsthafter Impulskontrolle und Selbstdisziplin ist, - also einer Art innerem Opfer, das weder leicht noch für die Öffentlichkeit sichtbar ist. Der Geist mag von innerer Erhabenheit träumen, während unsere Beine im Schlamm feststecken.

Spirituelle Ausrichtung kann sehr erfreulich und aufregend sein; ein persönliches Laster aufzugeben, ist weniger glanzvoll und überhaupt nicht erfreulichChassidische Lehren enthüllen die Pathologie einer "Spiritualität ohne Opfer" durch eine faszinierende halachische Analyse. Es dreht sich um das Thema des koscheren Korns.

G-tt weist uns an, am zweiten Pessach-Tag, dem 16. Nissan, ein "Omer" zu bringen, eine Gerstengabe. Bis zur Darbringung des Gerstenopfers am Altar ist jegliche Gerste, die im vergangenen Jahr gepflanzt wurde, beginnend am 16. Nissan des vorigen Jahres, zum Verzehr verboten. "Du sollst kein Brot essen, getrocknetes Getreidemehl oder getrocknetes Korn aus der neuen Ernte, bis du deinem G-tt das Opfer gebracht hast." (Lev. 23:14)

Das verbotene "neue" Korn, das seit dem letzten Nissan angepflanzt wurde, und vor dem diesjährigen Omer-Opfer dargebracht wird, nennt sich chadasch (neu). Nach Darbringung des Omer-Opfers wird alles Korn, was vor diesem Tag Wurzeln schlug, jaschan (alt) genannt und kann verzehrt werden.1

Korn wurde auch für verschiedene Nahrungsopfer im Heiligen Tempel, unabhängig oder zusätzlich zu Tieropfern, dargebracht. Aber es gab eine höhere Beschränkung für jenes Korn, das für die Nahrungsopfer benutzt wurde, als für das Korn zum allgemeinen Verzehr. Um für ein Nahrungsopfer im Tempel tauglich zu sein, musste das Korn von der neuen Ernte bis Schawuot warten. An diesem Tag wurde ein doppeltes Brotopfer dargebracht. Jedoch nur nachdem beide, Omer- und Brot-Opfer durchlebt worden waren, galt das Korn als "reif" genug für den Altar.

Hier folgt nun eine talmudische Analyse:

Was geschah, wenn nun ein Nahrungsopfer versehentlich aus neuem Korn gemacht war? Wurde das Opfer dann ausgesondert, und würde es die anderen, begleitenden Opfer ebenfalls ungültig machen? Wie lautet das Gesetz rückwirkend?

Der Talmud sagt: "Wenn das Korn chadasch (neu) ist, dann ist das Nahrungsopfer und die es begleitenden Opfer ungültig. Wenn aber das Korn jaschan (alt) ist, und die zwei-laibigen Brote sind noch nicht geopfert worden, dann war das Opfer gültig. Das Korn ist zwar nicht ideal, aber nicht absolut ungültig."

Vor dem Omer-Opfer Nach dem Omer-Opfer Nachdem das Doppelbrot geopfert war
Für den allgemeinen Verzehr Chadasch
- nicht erlaubt
Jaschan
- erlaubt
erlaubt
Für den Tempel Chadasch
- nicht erlaubt
Nicht ideal, also nicht benutzt. Im Nachhinein aber gültig erlaubt

Chassidische Meister lehren uns, dass alle Facetten der Tora immer in Einklang miteinander wirken und dieselbe Botschaft verkünden, wenn auch manchmal in ihrer ganz eigenen Mundart. Welche Botschaft finden wir also in der Einheit des Reifungsprozesses des Kornes?

Zunächst einmal lasst uns die Eigenschaften unserer Analyse entziffern, und ihre mystischen Entsprechungen aufdecken; a) das Omer-Opfer. b) das Doppelbrot-Opfer. c) Das Nahrungsopfer.

Das Omer-Opfer enthielt Gerstenkorn, ein Nahrungsmittel, das zu biblischen Zeiten als Hauptnahrungsmittel für Tiere betrachtet wurde. Es stellt die Verpflichtung unserer animalischen Tendenzen dar, G-ttes moralischem Leitbild zu folgen. Ein Opfer aus Gerste darzubringen hieß, unsere natürlichen Impulse zurückzuhalten, um stattdessen einem g-ttlichen "Code" zu folgen, dem Code der in der Tora formuliert wird.

Brot, im Gegensatz dazu ist ein Hauptbestandteil des menschlichen Verzehrs. Das Doppelbrot-Opfer repräsentiert die Verpflichtung unserer menschlichen Tendenzen, mehr g-ttesähnlich zu sein, seinem Ebenbild näher. Der Mensch ist ein hochentwickeltes Wesen, mit der Fähigkeit des logischen Denkens ausgerüstet. Aber selbst Intelligenz muss veredelt werden. Wir müssen gelehrt werden, egozentrisches Denken zu meiden, um nach der Wahrheit zu streben. Selbst das Tora-Studium kann zahlreiche Gründe haben, die von "Ehre heischen" bis zur Selbstlosigkeit reichen. Brot zu opfern, repräsentiert die Arbeit an der Veredelung unserer besten menschlichen Taten bis zur Demut.

Jeden Tag bringt der Hohepriester ein Nahrungsopfer dar, welches auf dem Altar verzehrt wurde. Es sollte unser persönliches Streben, "auf dem Altar verzehrt zu werden" und ein Leben von spiritueller Ausrichtung zu verfolgen, symbolisieren. Wenn du ein inspirierendes Leben führst, dann wirst du von der g-ttlichen Flamme, die neben dem Altar steht, angeheizt. Dein Feuer wird so deinen Einflussbereich wärmen mit seiner Glut.

Jetzt können wir die Oberfläche des Gesetzes des koscheren Korns durchbrechen und ihre vollständige Widerspiegelung in der jüdischen Mystik vor uns sehen.

Das ideale Korn für den Gebrauch beim Nahrungsopfer ist Korn, das sich entfaltet nach dem Doppelbrot-Opfer. Nur dann, wenn jemand sein "Brot" opfert, und sich bewusst über seine bescheidene altruistische Herangehensweise an menschliche Entfaltung ist, nur dann ist er bereit dafür, ein Teil des Nahrungsopfers zu werden, ein Leben spiritueller Entfaltung zu verfolgen und ein Vorbild für andere abzugeben.

Wenn wir jedoch das Doppelbrot-Opfer nicht dargebracht haben – wir also noch nicht unser "Ego" geopfert haben, und noch egoistisch motiviert leben – ist unser spiritueller Dienst immer noch von Gültigkeit, nicht ideal, aber rückwirkend immer noch gültig.

Wenn du G-tt nicht in deine Küche, in deinen Schrank oder in dein Schlafzimmer hineinlassen kannst, dann bist du kein spiritueller FührerWie auch immer – wenn jemand noch nicht das Omer-Opfer dargebracht hat, seine animalischen Instinkte noch nicht an G-tt übergeben hat – dann ist dieses Individuum nicht dafür qualifiziert, ein Nahrungsopfer zu sein. Die spirituellen Verdienste und das geheiligte Vorbild solch einer Person kann trügerisch und schädlich für andere sein.

Wenn du G-tt nicht in deine Küche, in deinen Schrank oder in dein Schlafzimmer hineinlassen kannst, dann bist du kein spiritueller Führer. Das Omer-Opfer, die Disziplin unsere grundlegenden Bedürfnisse zu opfern, ist der allererste Schritt hin zu einer authentischen Frömmigkeit. Es ist die Art von Arbeit, von der niemand in der Umgebung Notiz nimmt. Aber wenn wir unsere Gerste nicht aufgeben, bleiben wir in der materiellen Welt stecken, unfähig uns selbst zu Höherem anzutreiben.

Hier ist die persönliche Lehre, die ich aus dieser brillanten chassidischen Analyse entnehme: Wann immer ich mich träge fühle, spirituell blockiert oder einfallslos, kann dies eine gute Gelegenheit sein, mich durch mein "Korn zu filtern" und zu schauen, ob es richtig herangereift ist. Vielleicht würde mir ein Omer-Opfer gut tun.2