Die Kinder waren eingeschlafen und wir schlichen uns aus dem Kinderzimmer. Vor meinem Einschlafen entsteht in mir immer diese besonders „verträumte“ Sicht auf meine Kinder. „Wir sind wirklich gesegnet mit diesen wunderbaren Kindern“, sagte ich zu meinem Mann, „G-tt sei Dank dafür!“

Er fing an zu lachen. „Rachel, sie sind doch erst ein und drei Jahre alt. Lass uns noch warten, bis sie etwas älter sind, bevor wir darüber urteilen können, wie gut sie sind.“

Nun musste ich lachen. Er hatte ja Recht. Aber immer noch konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass sie etwas ganz besonderes sind. Ich habe eine Neigung zum Pathetischen, aber ich liebe sie. Mein Herz füllt sich mit Stolz, obwohl sie noch nichts außergewöhnlich Erfolgreiches oder besonders Brillantes erreicht haben - noch nicht ...

Ich frage mich, ob G-tt wohl uns gegenüber auch so fühlt?

Wenn wir uns sehr genau die Konversationen zwischen Moses und G-tt anhören, finden wir darin viel Liebe, genauer gesagt, die bedingungslose Liebe, die so typisch zwischen Eltern und Kindern ist. Keine Frage, Moses war ein wunderbar talentierter Mensch und ein sehr treuer Diener. Aber das war nicht der Grund, warum G-tt ihn liebte.

In einem der kürzesten Dialoge, nimmt Rashi, der führende Tora-Kommentator, diese Liebesouvertüren auf. „Und ER rief Moses und G-tt sprach zu ihm,“ so beginnt das 3. Buch Moses (Levitikus). „Aha, ein Ausdruck der Liebe!“ stellt Rashi fest. So stellt sich die Frage: Wenn doch der Abschnitt mit den Worten „G-tt sprach zu ihm“ fortfährt, warum wird dann erwähnt, dass G-tt Moses rief? Offensichtlich rief G-tt Moses zuerst mit den Worten: „Moses, Moses,“ und Moses antwortete „Da bin ich.“ Und danach begann G-tt mit seinen Anweisungen.

Ein paar liebevolle Worte, bevor es zum „geschäftlichen“ Teil geht. ...

Rabbi Schneur Zalman von Liadi bietet uns eine weitere Sichtweise zur grundsätzlichen Dynamik von G-ttes Konversation mit Moses an, mit der Bemerkung, dass der Name G-ttes in diesem Dialog nicht ausdrücklich genannt wird. Der Tora-Abschnitt besagt: „Und ER rief Moses.“ Jeder andere benutzte Name, so erklärt uns Rabbi Schneur Zalman, hätte G-ttes Ausdruck von Liebe begrenzt. Und das deshalb, weil jeder Name G-ttes eine Entsprechung für ihn ist. Sein Wesen entzieht sich jedoch jeder Art von Namensgebung oder Titel. „Und ER rief“ beinhaltet eine Liebe, die G-ttes Wesen entspringt – und diese besondere Art von Liebe ist bedingungslos. So, wie die Liebe der Eltern zu ihrem Kind.

Bedingungslose Liebe ist nicht begrenzt auf die intime Beziehung zwischen G-tt und Moses, erklärt Rabbi Schneur Zalman. Die Seele jedes Einzelnen von uns strahlt einen Funken von Moses Seele aus. Diese liebevolle Kommunikation zwischen G-tt und Moses ist ein Beispiel für G-ttes Verhältnis zu jedem Juden, ohne Beachtung seiner Talente oder besonderer Leistungen.


Schon als Kinder lernen wir, unser Leben an einem bestimmten Messwert zu orientieren. Wir legen unsere Aktivposten und Unzulänglichkeiten in die Waagschale, und fällen ein Urteil über uns, gemessen an dem, was wir unseren Freunde bedeuten. Auf diese Weise ermitteln wir unseren Selbstwert. Anhand dieser Kritiken der „Experten“ begutachten wir jeden in unserer Umgebung auf ähnliche Weise.

Wir vermuten, dass G-tt sicher der strengste Kritiker sein muss, ist er doch die Perfektion selbst. Bestimmt schaut ER auf uns und SEIN Urteil basiert auf unseren bisherigen Lebensleistungen. Ich bin sicher, dass G-tt unsere Leistungen zu schätzen weiß, und auch über unsere Fehler enttäuscht ist. Aber SEINE Liebe zu uns ist nicht abhängig davon, was wir vorzuweisen haben, sie ist eine grundlegende, über alles erhabene Liebe, die uns nur zuteil wird, weil wir sind. G-tt ist stolz auf uns, nur weil es uns gibt ... so wie es Eltern sind.

Unsere Existenz ist der Beweis für die Existenz G-ttes und ein Beispiel SEINER unendlichen Größe Dies bewahrheitet sich besonders durch die Tatsache, dass im Laufe der Geschichte unser Leben und Überleben als Nation sehr bedenklich war. Daher ist unsere bloße Existenz ein Beweis für G-ttes Existenz und ein Zeugnis für SEINE Größe. Denn ohne IHN, das ist sicher, wären wir längst von dieser Erde verschwunden.

Vor 300 Jahren bat der französische König Ludwig XIV. den großen französischen Philosophen Blaise Pascal um ein Beispiel für das „Übernatürliche“: „Die Juden, eure Majestät, die Juden!“

In Pascals Gedanken war allein die Tatsache, dass die Juden bis ins 17. Jahrhundert überlebt hatten, ein Wunder. Was würde er wohl sagen, dass die Juden sogar das 20. Jahrhundert überlebt haben?

Der amerikanische Schriftsteller Marc Twain schrieb 1899 folgendes im Harpers Magazine:

"Die Ägypter, Babylonier und Perser füllten den Planeten mit Klang und Pracht, verblassten dann zu einer Traumwelt und verschwanden. Griechen und Römer folgten, machten gewaltigen Lärm und ... es gibt sie nicht mehr. Andere Völker kamen auf, hielten ihr Licht für eine Weile hoch, aber es brannte herunter und nun sitzen sie in der Dämmerung oder sind ganz von der Bildfläche verschwunden. Der Jude hat sie alle gesehen, alle geschlagen und ist heute, was er immer war, zeigt keinen Niedergang, keine teilweisen Alters- oder Charakterschwächen, noch Verlangsamung seiner Energien oder Ausdünnung seines wachsamen und aggressiven Gemütes. Alles ist sterblich, nur der Jude nicht. Alle übrigen Kräfte sind vergänglich, aber er bleibt bestehen. Was ist das Geheimnis seiner Unsterblichkeit?"


Das 3. Buch Moses (Levitikus) erzählt von G-ttes Liebe. Es beginnt mit einem Ausdruck von G-ttes grundlegender Liebe und seinem Stolz für Moses, und somit für jeden einzelnen Juden.

Die Haftara (wöchentliche Lesung der Propheten) spiegelt jede Woche die Themen des zugeordneten Tora-Abschnittes wieder. Im ersten Vers der dem ersten Teil von Levitikus zugeordneten Haftara übermittelt uns Jesaja die Botschaft von G-tt: „Dieses Volk habe ICH für MICH selbst gebildet; sie tragen MEIN Lob vor.“ (Jesaja 43:21)

„Dieses Volk habe ich für mich selbst gebildet.“ G-tt bildete sie für sich selbst; zu SEINEM eigenen Wohlgefallen. SEINE Worte sind voll bedingungsloser Liebe. Mit diesem Gefühl, offenbart der Prophet: „Sie tragen MEIN Lob vor“. Wir preisen G-tt nicht nur durch unsere Leistungen, so eindrucksvoll sie sein mögen, sondern durch unsere bloße Existenz. Unser Überleben verkündet G-ttes Ruhm und gibt IHM einen Grund, stolz auf uns zu sein.

Es wird schwer, oder gar unmöglich, über unseren Nächsten streng ins Gericht zu gehen, wenn wir bedenken, wieviel Wohlgefallen G-tt an dessen bloßer Existenz haben muss. Auch wenn wir ihn als scheußlich, selbstsüchtig und frevlerisch ansehen, – er trägt G-ttes Lob nur durch seine Existenz.

G-ttes Liebe ernst zu nehmen, bringt eine mitfühlende Betrachtungsweise unseres Urteilsvermögens hervor.1