Kann man gleichzeitig spirituell und selbstsüchtig sein? Lassen Sie uns die Worte der Tora betrachten, die diese Frage behandeln.
Wajasa Mosche et ha’am - “Moses ließ Israel vom Schilfmeer aufbrechen.”1 Das großartige Wunder ist geschehen. Das Meer hat sich geteilt und die ägyptische Armee war nicht mehr. Das Wort wajasa - “er ließ [sie] aufbrechen” - impliziert, dass Moses sein Volk zwingen musste, aufzubrechen. Aber war dies notwendig? Warum sind sie nicht von allein aufgebrochen?
Laut Raschi waren die Feinde so sehr vom Sieg gegen die Israeliten überzeugt, dass sie ihre Pferde und Streitwagen mit Gold, Silber und edlen Juwelen bedeckten. Diese Schätze wurden jetzt an die Küste gespült und die Juden sammelten diese Reichtümer ein. Folglich waren sie nicht in der Stimmung, weiterzuziehen. Aber Moses sagte, sie hätten am Berg Sinai ein Treffen mit G-tt. Als Anführer des Volkes musste er sie zwingen, ihre Reise fortzusetzen.
Der Sohar2 liefert eine spirituellere Erklärung. Wir lernen, dass die G-ttliche Offenbarung bei der Teilung des Meeres eine ziemlich außergewöhnliche Erfahrung war. In den Worten unserer Weisen: "Was eine einfache Magd am Meer sah, blieb selbst den großen Propheten vorenthalten."3 Laut dieser mystischen Sichtweise war es nicht materieller Wohlstand, der sie ergriff, sondern die unglaublichen spirituellen Vergnügen, die sie erfuhren.
So oder so lag es an Moses, sie zu ihrem Treffen mit dem Schicksal zu führen. Die Frage ist folgende: wenn es Gold und Silber war, das ihre Reise zum Sinai verzögerte, dann können wir auch verstehen, warum Moses sie antreiben musste. Sollte es aber die spirituelle Erfahrung inspirierter Offenbarung sein - warum weitergehen? Warum nicht so lange wie möglich dort verbleiben? Sicherlich, umso mehr G-ttliche Offenbarung, desto besser!
Die Antwort ist, dass G-tt rief. Der Sinai winkte. Der gesamte Zweck des Exodus und all der Wunder in Ägypten und am Meer war nichts weiter, als die Tora am Sinai zu empfangen. Das war die Offenbarung, die dem jüdischen Volk seine einzigartige Lebensart und Daseinsberechtigung verlieh. Sinai repräsentiert unsere Mission, unser Mandat. Sinai macht aus uns G-ttes Gesandte auf Erden. Wie auch immer wir das Konzept des Auserwähltseins verstehen mögen - die sinaitische Erfahrung machte es aus uns. Jedweder Umweg oder Ablenkung von der Reise zum Sinai stehen daher außer Frage - egal, wie erhaben und spirituel sie sein mögen.
Es ist kein Schock zu erfahren, dass Gold und Silber nicht so wichtig sind wie der Sinai. Aber auch die Spiritualität muss vor dem Sinai zurücktreten - dies ist in der Tat eine große Neuigkeit. Und was genau ist Sinai? Tora. Und was ist Tora? Der Wille G-ttes. In anderen Worten ausgedrückt: Was will G-tt? Wie will Er, dass wir handeln und unser Leben leben? Die große Nachricht hier liegt also darin, dass selbst die aufregendste spirutelle Erfahrung, die außergewöhnlichste Offenbarung nicht so wichtig ist, wie das, was G-tt will, dass wir tun.
Es ist eine sehr wichtige Botschaft, die vom Wort wajasa ausgeht. Es zählt nicht das, was wir wollen, sondern das, was G-tt will. Wenn wir Geld und Diamanten wollen, Er uns aber die Tora geben will, so lassen wir das Geld zurück und gehen zum Sinai. Und selbst, wenn es eine spirituelle Erfahrung ist, die wir suchen und G-tt aber sagt Geh zum Sinai, so ghehen wir dennoch zum Sinai und heben uns die spirituelle Inspiration für wann anders auf.
Das folgende ist eine wahre Geschichte. Es geschah einst noch im alten Land, dass spät nachts ein Wagenführer in die Jeschiwa kam und die Studenten anschrie, herauszukommen und ihm zu helfen. Es war dringend, sagte er. Offenbar überschlug sich sein Wagen und sein Pferd war in einem Graben gefangen und lief Gefahr zu sterben. Er brauchte Hilfe, um den Wagen aufzurichten. Es war sehr spät am Abend und es gab niemanden sonst, an den er sich hätte wenden können, also appellierte er an die Jeschiwa-Studenten, ihm zu helfen.
Zu dieser Zeit lief das Talmudtraining der Studenten an und eine lange halachische Debatte folgte. War es richtig, für das Wohlergehen eines Pferdes das Tora-Studium zu unterbrechen? Ist das Studium nicht wichtiger als alle Mizwot zusammen? Auf der anderen Seite bot das Pferd den Lebensunterhalt dieses Juden. Was hat Vorrang? Die Debatte wütete und als sie schließlich entscheiden, herauszugehen und dem Mann zu helfen, da war es bereits zu spät. Das Pferd verstarb.
Manchmal können wir in unserer Spiritualität so sehr gefangen sein, dass wir ziemlich selbstsüchtig werden. Spirituelle Selbstsüchtigkeit, natürlich - aber immer noch Selbstsüchtigkeit. Am Ende des Tages zählt nicht, ob wir uns dem Materialismus oder Monotheismus, dem Geld oder der Metaphysik verschreiben haben. Die ultimative - und tatsächlich einzige - Frage ist: Was will G-tt in diesem Moment von mir? Wo soll ich sein und was soll ich jetzt gerade tun?
Wenn man sich also in einem Dilemma oder kurz davor befindet, sollte man sich folgende Frage stellen: Was würde G-tt wollen? Ja, manchmal kann es sein, dass man einem Pferd aus einem Graben helfen soll. Sollte dies die Losung der Stunde sein, so sei es. Es ist vielleicht nicht sehr spirituell, aber das Richtige.
Und wenn es das Richtige ist, so ist es sehr G-ttlich.
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