Lieber Leser,

die Erschaffung der Welt dauerte sechs Tage. Der Schöpfungsakt begann nach unserer Tradition am 25. Elul und endete am 1. Tischrei, als der Mensch erschaffen wurde. Es ist daher bemerkenswert, dass die Jahresfeier der Erschaffung der Welt - nämlich Rosch HaSchana, oder "Neujahr" - von unserer Tora auf den 1. Tischrei festgesetzt worden ist. Mit anderen Worten: die "Jubiläumsfeier" der Schöpfung wird nicht auf ihren ersten Tag bezogen, sondern auf den sechsten, den "Geburtstag des Menschen".

Die Bedeutsamkeit des sechsten Tages, des Geburtstages des Menschen, liegt zur Hauptsache nicht darin, dass mit ihm noch ein weiteres Geschöpf in die Welt gesetzt wurde - selbst wenn man anerkennt, dass dieses Geschöpf eine Stufe höher als die Tierwelt steht (wie die Tierwelt wiederum höher als die Pflanzenwelt, und letztere höher als die Mineralien stehen). Nein, die überragende Bedeutsamkeit liegt darin, dass dieses neue Geschöpf - der Mensch - sich qualitativ von den anderen unterscheidet. Es war der Mensch, der als erster den Schöpfer erkannte, wie der Midrasch erzählt: An dem Tage, als Adam erschaffen worden war, kamen alle Tiere zu ihm und verbeugten sich vor ihm, in der fälschlichen Ansicht, dass er, Adam, sie erschaffen hätte. Doch Adam sagte zu ihnen: "Ihr glaubt ich hätte euch geschaffen? Kommt, wir wollen anbeten, uns verbeugen und niederknien vor G-tt, unserem Schöpfer." Somit war es der Mensch, der G-ttes Schöpfungsabsicht erst zu ihrer letztlichen Vollendung führte: nämlich dass alle Geschöpfe dazu gebracht werden, den Ew-gen anzuerkennen und zu preisen.

Das unterscheidende Merkmal, durch welches der Mensch vornehmlich von allen anderen Geschöpfen abgesondert ist, ist die ihm von G-tt gegebene frei Handlungswahl. Anders als die Tiere, die blindlings ihren angeborenen Instinkten folgen, hat der Mensch einen vollständig freien Willen, den er zu einem von zwei gegensätzlichen Zwecken gebrauchen kann: Er kann, G-tt behüte, den Weg der Selbstzerstörung wählen (einschließlich der Zerstörung seiner ganzen Umgebung); oder er kann den rechten Weg des Lebens wählen, den Weg von Tora und Mizwot. Nur wenn er den letzteren Weg einschlägt, kann er sich emporschwingen und, gleich Adam, die übrige Welt damit zum höchstmöglichen Grade der Vollkommenheit hinaufführen. Dies ist das dem Menschen angeborene Recht; dies ist seine freie Wahl!

Schabbat Schalom

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