Den tatsächlichen Ursprung wissen wir nicht. Die ersten Worte des Kaddischs kommen von einem Vers aus dem Buch Jecheskiel (38:23). Der Hauptteil des Kaddischs "Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten!" gleicht verschiedenen Versen des Tanachs. Es wurde sogar zu einem gängigen Ausdruck, im öffentlichen Gebet zu antworten. Der Talmud und zeitgenössische Werke beschreiben diese Antwort als eine gängige Sitte von vor 2000 Jahren. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht schon älteren Ursprungs ist.

Der alte Targum Jeruschalmi auf die Tora, die ebenfalls aus talmudischen Zeiten stammt, führt die Wurzeln des Kaddischs zurück auf Jakob und seine Söhne. Sie beschreibt, wie Jakob seine Söhne zu seinen letzten Worten herbeiruft. Er wollte ihnen eigentlich das Ende der Tage offenbaren, bemerkte jedoch, dass er von oben davor gehindert wird. Er überlegte, dass vielleicht einer seiner Söhne nicht würdig dazu ist und befragte sie diesbezüglich. Er fragte sie: "Hat sich vielleicht einer von euch im Herzen von seinen Brüdern losgesagt und sich für den Götzendienst entschieden?"

Worauf die Söhne Jakobs einstimmig antworteten: "Höre Israel, der Ewige, unser G-tt, der Ewige ist einzig!"

Daraufhin antwortete Jakob: "Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten!"

Wahrscheinlich haben sich über die Jahre verschiedene Sitten um diese Antwort gebildet, die sich letztendlich zum Kaddisch, wie wir es heute kennen, entwickelt haben. Die älteste bekannte Version des Kaddischs finden wir im Gebetsbuch von Rav Amram Gaon, der im 9. Jahrhundert lebte. Aber selbst das sagt nicht viel aus, da wir kein älteres Gebetsbuch kennen. Die Leute frühester Zeiten schrieben keine Sachen, wie alltägliche Gebete und Sitten auf, da sie jeder auswendig konnte. Auch war Papier teuer und kostbar (Pergament!), so dass es nicht für bekannte Dinge verschwendet wurde.

Der älteste Text, der die Gebete eines Kindes mit der Lage eines Verstorbenen in Verbindung bringt, ist Tanna D'bej Elijahu, ein midraschiges Werk aus dem dritten Jahrhundert. Dort wird eine Geschichte, die sehr ähnlich zu der von uns aufgeführten Geschichte mit Rabbi Akiwa erzählt, jedoch mit dem Weisen aus dem ersten Jahrhundert, Rabbi Jochanan Ben Zakkai.

Rabbi Yochanan ben Zakkai erzählte:

Einmal ging ich meines Weges und traf auf einen Mann, der Holz sammelte. Ich sprach ihn an, er jedoch erwiderte kein Wort. Erst später kam er zu mir und sagte: "Rebbe, ich bin tot, nicht lebendig."

Ich antwortete ihm: "Wenn Du tot bist, für was brauchst Du dann das ganze Holz?"

Er antwortete: "Rebbe, ich werde Euch alles erzählen. Zu Lebzeiten haben mein Freund und ich unsere Zeit damit verbracht, auf meinem Gut zu sündigen. Als wir hierher kamen, hat man uns dazu verurteilt, verbrannt zu werden. Jetzt sammle ich Holz um meinen Freund zu verbrennen. Später wird er Holz sammeln und mich verbrennen."

Ich fragte ihn: "Wurde dir gesagt, wie lange deine Strafe sein sollte?"

Worauf er antwortete: "Als ich hierher kam, ließ ich eine schwangere Frau zurück. Ich weiß, dass es ein Sohn werden wird. Ich bitte Euch darum, Euch diesen Sohnes anzunehmen, bis dieser fünf Jahre alt ist. Bringe ihn in die Schule, wo er Lesen und Beten lernt. Wenn er nämlich sagt: "Gesegnet sei der erhobene G–tt!" werde ich aus dem Gericht im Gehinnom entlassen."

Aus dieser, sowie aus der Geschichte mit Rabbi Akiwa, scheint hervorzugehen, dass das Gebet eines Kindes seinen verstorbenen Eltern helfen kann. Seit wann aber ist es für ein Waisenkind oder einen Trauernden Sitte, das Kaddisch zu sagen?

Das erste Mal wird diese Sitte im Werk "Sefer HaRokeach" des Rabbi Elazar aus Deutschland aus dem 12. Jahrhundert beschrieben. Im Werk "Or Sarua", welches im 13. Jahrhundert von Rabbi Jizchak ben Moshe von Wien verfasst wurde, wird bemerkt, dass in Deutschland und den slawischen Ländern (die er "Kenaan" nennt) diese Sitte, mit Ausnahme in Frankreich, herrscht. Im "Vitry Machsor", welcher im 11. Jahrhundert von Raschis Schüler, Rabbi Schlomo Jizchaki, in Frankreich verfasst wurde, wird diese Sitte ebenfalls nicht erwähnt.

Die Tatsache, dass das Kaddisch unter den nicht-europäischen Juden ebenso praktiziert wird, wie unter den europäischen, schließt die Annahme aus, dass das Kaddisch seinen Ursprung in Deutschland und den slawischen Ländern hat, da Juden aus Nordafrika und dem mittleren Osten normalerweise keine Sitten der europäischen Juden angenommen haben. Vielleicht war das Kaddisch schon lange überall gang und gäbe, außer in Frankreich. Wir wissen es wirklich nicht.

Aus der Tatsache, dass weder Maimonides noch Alfasi, welche sorgfältige Kodexe des Judentums anfertigten, das Kaddisch-Sagen eines Trauernden nicht erwähnen, könne wir nicht schließen, dass es in ihren jeweiligen Ländern nicht praktiziert wurde, da diese normalerweise nur talmudische Verpflichtungen auflisteten und der Werdegang des Kaddischs wahrscheinlich eher volkstümlicher war. Oder es war so selbstverständlich, dass Kaddisch extra zu erwähnen, nicht für notwendig gehalten wurde.

Unabhängig von seinem Werdegang wurde das Kaddisch der Trauernden weltweit zu einer allgemein akzeptierten Sitte des jüdischen Volks. Eine Sitte oder eine Tradition, die sich im jüdischen Volk durchgesetzt haben, wird ebenso zu einem Gesetz, wie eines, das von Moses am Sinai empfangen wurde.