Was ist das größte Wunder unserer Generation? Der Sturz des Kommunismus? Der friedliche politische Wandel in Südafrika? Dass Fidel Castro so lange Kuba beherrschte? Für uns ist das unbestreitbar größte Wunder die Tatsache, dass wie uns nach dem Holocaust aufgerafft und das jüdische Leben und die jüdischen Gemeinden wieder aufgebaut haben. Gibt es etwas Ungewöhnlicheres als diese Juden, die wegen ihres Glaubens ausgelöscht werden sollten und dennoch eben diesen Glauben beibehalten und jüdisch sein wollen?
Diese Woche beginnen die Neun Tage, die zu Tischa BeAw führen, unserem nationalen Trauertag. Wir gedenken der Zerstörung unserer beiden Tempel und beten, dass Jerusalem wieder im alten Glanz erstrahlen möge. In Eicha, dem Buch der Klagen, das wir an Tischa BeAw lesen, lautet ein Vers (3:22): „G-ttes Güte ist gewiss nicht zu Ende, und seine Gnade ist nicht erschöpft.“ Raschi deutet diesen Vers anders: Dank G-ttes Güte sind wir nicht am Ende. Der Midrasch verspricht: „Er ließ seinen Groll am Holz und an den Steinen aus“, also am Tempel. Das heißt, sein Haus wurde zerstört, aber sein Volk überlebte.
Darum ist dies die richtige Zeit, um über das Überleben der Juden nachzudenken. Alle großen alten Kulturen und Reiche – Ägypten, Babylon, Griechenland, Rom, Persien – und 1945 das Dritte Reich sind vergangen. Was ist das einzigartige Geheimnis des jüdischen Überlebens? Trotz der Zerstörung und der Diaspora, ganz zu schweigen vom Holocaust, die uns im Laufe der Zeit dezimiert haben – wie haben wir überlebt, wie überleben wir, und vor allem: Wie werden wir überleben? Die einfache Antwort lautet natürlich, dass G-tt uns nie erlauben wird zu verschwinden. Wir leben, weil G-tt ständig Wunder wirkt und für uns eingreift. Machen wir einen kurzen Rundgang durch die Geschichte, um den wichtigsten Aspekt unserer unglaublichen Zähigkeit zu entdecken. Manche Leute meinen, unsere Heimat sei der Schlüssel unseres Fortbestehens. Ja, Israel ist unsere ewige Heimat, und wir beten dreimal am Tag oder öfter für die Rückkehr nach Zion. Es ist die Mitte all dessen, woran wir glauben; es ist unser Herz und unsere Seele. Es vereinigt uns immer und überall. Es ist unser Traum, unsere Hoffnung und unser Streben.
Doch obwohl wir unser Recht auf Israel niemals aufgeben werden, waren wir länger außerhalb als innerhalb unserer Heimat. Selbst heute leben mehr Juden über die ganze Welt verstreut als in Israel. So kompromisslos unsere Hingabe an unsere Heimat heute sein mag und so wichtig sie für unseren weltweiten Status und unsere Sicherheit sein mag – die Geografie kann nicht der wichtigste Aspekt unseres Überlebens im Laufe der Geschichte sein.
Ist es die gemeinsame Sprache? Hebräisch ist unsere nationale Sprache und immer noch die Sprache unseres Gebetbuches. Aber es gibt Juden, die hebräische Gebete nicht verstehen. Die große Mehrheit der heutigen Juden spricht nicht hebräisch, und mir schaudert, wenn ich die intelligenten Juden zähle, die zu dieser Gruppe gehören. Wir haben im Laufe der Geschichte verschiedene Sprachen gesprochen. Aramäisch, Griechisch und sogar Arabisch waren zeitweise die übliche Sprache der alten jüdischen Gemeinden. In neuerer Zeit waren Jiddisch oder Ladino so wie heute das Englische die Sprachen der meisten Juden. Wir können also nicht behaupten, dass die gemeinsame Sprache der wichtigste Grund für unsere ununterbrochene Existenz war.
Was ist mit der Kultur? Nun, haben Sie je versucht, einem sephardischen Juden gefillte Fisch anzubieten oder einem aschkenasischen Juden Kuskus? Essen und Musik sind Ecksteine jeder Kultur, aber beide sind in West und Ost sehr unterschiedlich. Wer in den USA regelmäßig in die Synagoge geht, findet sich in einem G-ttesdienst in Singapur kaum zurecht und umgekehrt. Ehrlich gesagt, wir haben nicht einmal eine gemeinsame Kultur. Wir haben von unsere Gastländern viele Arten von Essen, Musik und Kleidung übernommen. Die Umwelt färbt ab.
Der einzige Aspekt, den alle Juden überall und immer gemeinsam haben und der alle Grenzen, Kontinente, Kulturen, Sprachen und Lebensstile überwindet, ist die Tora. In Israel, Babylon, Minsk, Madrid, Sydney, San Francisco, Johannesburg oder Jerusalem prägt unsere heilige Tora unser Leben, und ihre Gebote sind das wichtigste Element, wenn es darum geht, den jüdischen Geist lebendig und dynamisch zu erhalten. Nicht ein vages, sentimentales Gefühl der Jiddischkeit, sondern ein klar definiertes Wertesystem, das über Generationen hinweg getreu überliefert wird, einerlei, wo wir leben. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass Juden fast sofort assimiliert wurden, wenn sie die Traditionen der Tora aufgaben – mit tragischen Folgen. Diese einzelnen jüdischen Gruppen haben nicht überlebt. Gewiss, G-tt ist der höchste Wundertäter des jüdischen Überlebens. Aber das ist keine Magie. G-tt hat uns das Geheimnis verraten. Wir halten seinen Schlüssel in den Händen. Dass wir von Geburt Juden sind, garantiert unser Fortbestehen nicht. Nur dort, wo Juden sich dem Studium der Tora widmeten und ihre Kinder in der Tora unterrichteten und ihre ewigen Gebote einhielten, geschahen diese Wunder.
Möge unsere Hingabe an die Tora wachsen, damit wir überleben und für immer jüdisch leben. Möge G-tt unsere Gebete für den Wiederaufbau Zions und die Einheit unseres Landes und unseres Volkes bald erhören! Amen.
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