Nach dem Tod seiner Mutter Dewora Lea wurde Menachem Mendel, aus dem später der dritte Lubawitscher Rebbe, Zemach Zedek genannt, werden sollte, von seinem Großvater, dem Alter Rebbe, erzogen.
Zwischen ihnen entwickelte sich eine enge Bindung, so stark, dass sie sogar die Grenzen von Raum und Zeit überschritt. Denn selbst nach seinem Tod offenbarte sich der Alter Rebbe seinem Enkel, um ihm zu helfen, bestimmte schwierige Probleme der Halacha oder anderer Aspekte der Tora zu lösen. Das geschah so oft, dass Rabbi Menachem Mendel geradezu erwartete, dass ihm sein Großvater erschien, wann immer er seinen Rat brauchte.
Einmal beschäftigte er sich mit einem komplizierten, verwirrenden Problem und spürte den starken Wunsch, sein Großvater möge ihm helfen. Normalerweise erschien dieser in solchen Fällen; aber diesmal kam er nicht.
Mehrere Tage vergingen, und wieder versuchte Rabbi Menachem Mendel, den Alter Rebbe zu erreichen. Er betete und meditierte wie üblich, aber ohne Erfolg. Nachdem er einige Tage gewartet hatte und sein Großvater immer noch nicht erschien, versuchte Rabbi Menachem Mendel, die heilige Seele mit Hilfe gewisser kabbalistischer Methoden zu rufen. Doch selbst diese Bemühungen scheiterten, und er war tief enttäuscht. Warum kam der Alter Rebbe nicht mehr zu ihm?
Eines Morgens, bald nach diesen Ereignissen, ging Rabbi Menachem Mendel in Lubawitsch zum G-ttesdienst in die Synagoge. Er zog den Talit über den Kopf, um sich auf das Schacharitgebet vorzubereiten.
Plötzlich kam der Metzger der Stadt gerannt und sagte: „Verzeiht mir die Störung, Rabbi. Aber heute ist Markttag, und alle Bauern haben ihr Vieh in die Stadt gebracht, um es zu verkaufen. Da viele meiner Kunden mich noch nicht bezahlt haben, fehlt mir das Geld, um Tiere zu kaufen. Und wenn ich sie jetzt nicht kaufen kann, verdiene ich diese Woche nichts und die Leute haben kein Fleisch. Bitte borgt mir Geld für eine Woche; ich werde es Euch am nächsten Markttag zurückzahlen.“
Der Rabbi sah den Metzger an. „Mein Freund, mach dir keine Sorgen. Du weißt, ich vertraue dir und würde dir gerne geben, was du brauchst. Aber ich habe schon meinen Talit umgelegt und mit meinen Vorbereitungen für das Morgengebet begonnen. Ich möchte meine Gebete beenden; dann, in zwei oder drei Stunden, gehe ich nach Hause und hole das Geld für dich.“
Der Metzger war erleichtert, aber zugleich enttäuscht, denn der Markt war in vollem Gang. Wer weiß, welche Tiere noch übrig sein würden, wenn Rabbi Menachem Mendel in einigen Stunden mit seinen Gebeten fertig war. Aber er hatte keine andere Wahl. Also dankte er dem Rabbi und ging nach Hause. Nach dem G-ttesdienst wollte er in die Synagoge zurückkehren.
Rabbi Menachem Mendel wollte sich gerade in seinen großen Talit wickeln, als er merkte, welchen Fehler er begangen hatte. Der Metzger konnte mit dem Kauf des Viehs doch nicht mehrere Stunden warten! Alle guten Kühe und Schafe würden dann bereits verkauft sein, und der Mann würde eine Woche lang nichts verdienen.
Schnell nahm er den Talit ab und legte ihn auf den Tisch. Dann eilte er aus der Synagoge und nach Hause. Der ganze Haushalt schaute erstaunt zu, wie er wortlos eintrat, seine Geldbörse holte und wieder wegging. Rasch lief er zum Haus des Metzgers. Der wunderte sich, als der Rebbe mit Geld in der Hand an seiner Tür stand. Glücklich eilte er auf den Markt und kaufte hochwertige Tiere, um die Stadt mit Fleisch zu versorgen.
Rabbi Menachem Mendel kehrte in die Synagoge zurück und betete mit leichtem Herzen, froh darüber, dass er dem Metzger in dieser schwierigen Lage geholfen hatte. Er griff nach seinem Talit, um weiterzumachen, wo er aufgehört hatte, als er plötzlich ganz in der Nähe seinen Großvater, den Alter Rebbe, sah.
Der Rebbe sagte zu ihm: „Mein Sohn, die Mizwa, die du eben befolgt hast, indem du einem Mitjuden geholfen hast, ist noch größer als die erhabensten Gebete. Die Mizwa Ahawat Jisrael ist in den höheren und niederen Welten kostbar.“ Von da an erschien der Alter Rebbe seinem Enkel wieder häufiger.
ב"ה
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