von Michael Gold
Mit freundlicher Genehmigung von Mikvah.org

Einmal im Monat, nach Anbruch der Dunkelheit, hat meine Frau ein geheimes Treffen. Weder unsere Nachbarn, unsere Freunde, noch unsere Kinder wissen, wohin sie geht. Einmal im Monat geht meine Frau in die Mikwe. Auf diese Weise führen meine Frau und ich eine der ältesten und missverstandensten Traditionen des Judentums weiter. Für eineinhalb Wochen vor der Mikwe-Nacht vermeiden wir eheliche Beziehungen. Wir können uns wie Freunde, Partner, Vertraute, aber nicht wie Liebende verhalten. In der Mikwe-Nacht kommen wir wieder als sexuelle Partner zusammen.

Meine Frau und ich sind keine orthodoxen Juden. Wir sind konservative, liberale Juden. Wir beten in einer Synagoge, in der Frauen und Männer gleichermaßen beteiligt sind. Außerdem beabsichtigen wir, unserer Tochter die gleiche jüdische Ausbildung wie unserem Sohn zu geben und freuen uns jetzt schon darauf, sie einmal aus der Tora lesen zu hören.

Aber in unserem Eheleben haben wir entschlossen, den alten Gesetze der Mikwe, bekannt als Taharat HaMischpacha, „Familien Reinheit“, zu folgen. Meine Frau und ich fanden eine Menge Gründe für die Einhaltung der Mikwe Gesetze - philosophische, symbolische, feministische und traditionelle.

Diese Gesetze geben eine philosophische Erklärung betreffend sexueller Beziehungen, die in der heutigen Zeit von großer Wichtigkeit ist. Wenn es zum Thema Geschlechtsverkehr kommt, schwankt unsere Gesellschaft zwischen Askese und Hedonismus.

Heiligkeit wird durch Trennung und durch Selbstbeherrschung erreichtDem Asketen ist die geschlechtliche Bindung peinlich und er sieht sie als Sünde an. Dem Hedonismus zufolge hingegen, ist das sexuelle Vergnügen das größte Ideal, das Erwachsene erreichen können. Das Judentum lehnt diese beiden Extreme ab. Es lehrt, dass Geschlechtsbeziehungen ein heiliges Geschenk G-ttes an den Menschen sind. Es ist bemerkenswert, dass wenn man „tame“, rituell unrein, ist, man zwei heilige Erfahrungen nicht machen kann: In den Heiligen Tempel gehen und die Ausführung der ehelichen Beziehung.

Heiligkeit wird durch Trennung und durch Selbstbeherrschung erreicht. Die Familienreinheitsgesetze lehren uns, dass sexuelle Beziehungen weder eine Schwäche sind, die toleriert wird, noch ein Vergnügen, dessen Vorstellungen durchgesetzt werden müssen, sondern eine heilige Aktivität sind, eine Art, G-tt zu dienen.

Der Monatszyklus der Frau ist ein Verbindungspunkt zwischen Leben und Tod. Das Element des Todes liegt darin, dass potentielles Leben in Form eines Kindes nicht geboren wird. Die Mikwe aber ist ein Zeichen des Lebens - das Wasser darin wird als „lebende Gewässer“ bezeichnet und es bietet sich jeden Monat erneut die Möglichkeit der Entstehung eines neuen Lebens.

Meine Frau und ich fühlten dies am Stärksten, als wir mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen hatten. Jede Monatsregel wurde so zu einer Zeit der Trauer. (Es ist interessant, das im Judentum während der Trauerzeit sexuelle Beziehungen verboten sind.) Die Mikwe-Nacht jedoch wurde zu einer Zeit der Hoffnung, vielleicht würde meine Frau diesen Monat schwanger?

Die Wiederentdeckung der Gesetze rund um die Mikwe kann als Teil der feministischen Ziele betrachtet werden. Es handelt sich hier um eine der drei klassischen Mizwot für Frauen. (Die beiden anderen sind das Zünden der Kerzen vor Schabbat und das Beiseitelegen eines Stücks Teig beim Backen der Challa. Zu Zeiten des Heiligen Tempels war dies der Anteil der Priester, heute wird das Stück Teig im Ofen verbrannt.) Viele Frauen suchen nach Möglichkeiten, ihr Judentum aktiv zu leben. Dies hier ist klassische Mizwa, die direkt mit dem Zyklus des Frauenkörpers verbunden ist.

Die Gesetze geben auch eine Erklärung über die Beziehung zwischen Mann und Frau. Einem Paar ist es nicht erlaubt, einander als sexuelle Objekte anzusehen. Während eines Teils des Monates sind sexuelle Beziehungen verboten, so dass die Ehepartner andere Möglichkeiten des Umgangs miteinander finden müssen. Obwohl wir die Gründe nicht verstehen, halten wir sie ein, da wir Juden sind und die Traditionen unseres Volkes fortsetzen wollen, auch wenn dies nicht immer einfach ist. Ich habe jedoch festgestellt, dass gerade jene Traditionen, die schwer zu befolgen sind, oft die wertvollsten für uns sind. Die Gesetze der Mikwe, wie in der Tora beschrieben, beziehen sich auf eine Zeit, in der Opfer Teil des jüdischen Rituals waren. Die Bestimmungen sind Teil der Gesetze, die sich mit dem Konzept von tahor und tame befassen. Diese Begriffe werden oft fälschlicherweise als „rein“ und „unrein“ übersetzt, wodurch der falsche Eindruck entsteht, dass sie sich auf etwas Körperliches beziehen.

Tatsächlich bedeutet tahor den Zustand der rituellen Reinheit, in dem es erlaubt ist, den Heiligen Tempel zu betreten; tame hingegen ist der Zustand der rituellen Unreinheit, in welchem es verboten ist, den Heiligen Tempel zu betreten.

Sowohl Männer als Frauen konnten entweder tahor oder tame sein. Der Grund für rituelle Unreinheit konnte der Kontakt mit einer Leiche oder mit verschiedenen Tieren sein; er konnte durch eine Hautkrankheit oder durch „natürliche“ oder „unnatürliche“ Körperflüsigkeiten ausgelöst werden. Eintauchen in eine Mikwe war eine Möglichkeit, tahor zu werden.

Durch verschiedene Ausgrabungen wie z. B. in Massada oder nahe am Jerusalemer Tempelberg, bei denen koschere (laut Gesetz gebaute) Mikwaot gefunden wurden, wird klar bewiesen, dass diese Gesetze Bestandteil des jüdischen Lebens zu Zeiten des Tempels waren. Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels können viele Tempelgesetze nicht mehr eingehalten werden. Ein Gesetz wird jedoch weiterhin bis heute ausgeübt.

Die Tora lehrt uns, „Komme nicht in die Nähe einer Frau, wenn sie tame mit ihrer Regelblutung ist, um ihre Nacktheit aufzudecken. (Levitikus 18:19) Der Zeitraum des Tameseins durch die Menstruation dauert sieben Tage. (Levitikus 15:19) Die Frau wird als Nidda bezeichnet. Im zweiten Jahrhundert versuchte Rabbi Meir, dieses Gesetz wie folgt zu erklären: "Weshalb lehrt die Tora uns, dass eine Frau für den Zeitraum von sieben Tagen Nidda wird?" ... Damit sie von ihrem Ehemann so geliebt wird, wie an dem Tag als sie unter der Chuppa (dem Hochzeitsbaldachin) stand (Babylon Talmud Nidda 31b). Für meine Frau und mich liegt darin viel Wahrheit.

Für uns ist die Mikwe-Nacht wie eine monatlich wiederkehrende Hochzeitsreise.

Viele Juden können die Vorteile einer einwöchigen Trennung, beginnend mit der Regelblutung der Frau, jeden Monat verstehen. Was die Gesetze der Familienreinheit für moderne Juden so schwierig macht, sind zwei religiöse Beschränkungen, die von den Rabbinern zu Zeiten des Talmuds formuliert wurden und heute von den meisten orthodoxen Juden eingehalten werden. Die erste Sorge der Rabbiner galt der Verwechslung beim Zählen. Ein weiteres Toragesetz lautet:

"Wenn eine Frau viele Tage, nicht zum Zeitpunkt ihrer Periode, Blut verliert, ...wenn sie sauber wird, muss sie sieben Tage zählen“ (Levitikus 15:25-28).

Die Rabbiner waren besorgt, dass Frauen diese „unnatürlichen“ Blutungen mit der Menstruation verwechseln würden und es so verabsäumen würden, die sieben „sauberen“ Tage zu zählen. So entschieden sie, dass eine Frau in jedem Fall volle sieben "saubere" Tage zählen muss, bevor sie in die Mikwe kann. Dies verdoppelt fast die Zeit der Trennung.

Weil diese Gesetze so streng sind, so privat und so leicht missverstanden werden können, ist es kein Wunder, dass die überwiegende Mehrheit der Juden sie nicht praktiziert. Es gleicht einem Wunder, dass so viele Juden sie weiterhin einhalten. Mehr und mehr Gemeinden bauen heute Mikwaot und diese sind luxuriöser als je zuvor, möglicherweise ein Zeichen des wachsenden Wohlstandes der jüdischen Gemeinden.

Niemand erwartet, dass ein Großteil der Juden in die Mikwe geht. Jedoch eine kleine Gruppe Juden aus allen religiösen Richtungen beginnt, sich in letzter Zeit ernsthaft mit den entsprechenden Gesetzen auseinanderzusetzten.

Vielleicht führt die Einhaltung der Gesetze zu einer Heilung der sexuellen Beziehungen, vielleicht helfen sie, die Ehe zu stärken oder führen zur Tradition zurück. Schon alleine aus diesen Gründen sind es die Familienreinheitsgesetze wert, dass jeder Jude sich mit ihnen beschäftigt.