Eine wichtige – und beliebte – Vorschrift für Sukkot ist die Mizwa der "Arba Minim", die da sind: ein Lulaw (ein langer grüner Zweig der Dattelpalme), ein Etrog (eine der Zitrone nicht unähnliche Frucht), Hadassim (Zweige der wohlriechenden Myrte) und Arawot (Zweige der schlichten, unscheinbaren Bachweide). Vorschrift ist, die Hadassim und Arawot an das Lulaw zu binden, diese zusammen mit dem Etrog in der Hand zu halten und über alle vier, vereint, eine besondere Bracha (einen Segensspruch) zu rezitieren.

Der Midrasch (Wajikra Rabba 30, 12) erklärt bekanntlich die Bedeutung der Mizwa auf diese Weise:

Etrog: Wie der Etrog sowohl einen guten Geschmack wie einen angenehmen Duft hat, so gibt es jüdische Menschen, die sowohl in der Tora sehr bewandert sind, wie auch es mit der Einhaltung der Mizwot genau nehmen.

Lulaw: So wie Datteln zwar gut schmecken, aber geruchlos sind, so gibt es unter den Juden Menschen, die zwar große Tora-Gelehrsamkeit besitzen, die aber die Beobachtung der Mizwot als weniger wichtig oder zweitrangig ansehen.

Hadassim: Die Myrte hat zwar ein gutes Aroma, Geschmack jedoch ist nicht ihr Charaktermerkmal; und so gibt es in Israel Menschen, die viel Gutes tun, aber keine besondere Tora-Gelehrsamkeit aufweisen.

Arawot: Und gleich der Weide, die weder Geschmack noch Geruch hat, gibt es Juden, die weder in der Tora bewandert sind noch nennenswerte Mizwot tun.

Danach kommt der Midrasch zu diesem Schluss: G-tt aber sagt: "Lasst sie alle zusammengebunden sein zu einem Bündel, damit einer für den anderen sühnen kann."

Der innere Gehalt der Vorschrift von den "vier Arten" ist somit dieser: Alle vier, vom Etrog mit seinem guten Geruch und Geschmack bis zu den Arawot, die weder Aroma noch Geschmack haben, sollen geeint sein, damit so die eine Mizwa erfüllt wird. Gleichermaßen sollen die Juden (wie es in der Liturgie der Hohen Feiertage heißt) "eine Vereinigung bilden, Deinen Willen mit vollkommenem Herzen zu tun."

Dieselbe Idee kommt in dem unmittelbar auf Sukkot folgenden Feiertag zur Geltung, nämlich am Simchat Tora, dem freudigen Feste, bei dem ein großer Wert auf das Tanzen mit den Tora-Rollen gelegt wird. Dabei scheint sich ein Paradoxon herauszustellen: Am Simchat Tora versammeln sich Juden überall, um sich an der Tora zu ergötzen – einer Tora, die wir geheißen sind, "Tag und Nacht" zu lernen. Da hätten wir allerdings an diesem spezifisch als Tora-Freudenfest bestimmte Tage erwartet, dass wir alle den ganzen Tag in intensivem, fleißigem Studium der Lehre verbringen sollten. Indessen bildet den wirklichen Höhepunkt an diesem Tag weder das Studium der Tora noch eigentlich die Vorlesung aus ihr, sondern das Tanzen mit der zusammengerollten, geschlossenen, in ihrem "Mantel" verhüllten Tora-Rolle!

Die Antwort hierauf ergibt sich ebenfalls aus der oben bekundeten und betonten Einheit des jüdischen Volkes: Eine Feier in der Form von Tora-Studium oder sogar Tora-Vorlesung allein würde doch all die Gradunterschiede in Gelehrsamkeit zwischen einem Juden und dem anderen herausstellen, zwischen dem Gelehrten und dem Unwissenden. Wenn wir aber tanzen, dann eben tun wir dies alle zusammen, der "Größte" zusammen mit dem "Einfältigsten".

Es mag Leute geben, die nicht wissen, was G-tt ist, oder was Seine Tora ist; was sie wissen, das ist lediglich, dass G-tt und Seine Tora etwas ungemein Kostbares sind, dass die ganze Welt nichts Kostbareres und Teureres enthält; und ein solches Bewusstsein löst in der Brust auch des "einfachsten" Juden eine grenzenlose Freude aus.

Wenn wir mit der zugehüllten Tora-Rolle tanzen, wenn nicht sichtbar ist, was darin steht, dann kennen wir ihren Inhalt noch nicht; wir wissen nur, dass sie ungemein kostbar ist, und so freuen wir uns mit ihr alle zusammen, der "Etrog-Jude" gemeinsam mit dem "Arawot-Juden", gleichwertige Erben von G-ttes Schätzen und Seiner Gnade.