Nach über 60 Jahren stellen die Menschen immer noch dieselben Fragen: Wo war G-tt während des Holocausts? Wie können wir nach dem Holocaust noch an G-tt glauben? Wenn G-tt gerecht ist, wie konnte Er dann den Holocaust zulassen? Warum hat G-tt keine Wunder während des Holocausts vollbracht?

Wer stellt diese Fragen?

Diese Fragen können nur von einem Gläubigen gestellt werden. Gäbe es nämlich keinen G-tt (G-tt bewahre), brauchte niemand diese Fragen zu stellen. Ohne G-tt hat die Welt kein Ziel, keinen Sinn und keinen Zweck. Die Menschen könnten nach eigenem Gutdünken handeln, da von ihnen keine Rechenschaft gefordert würde. Es wäre denkbar, Superrassen zu entwickeln, wo nur die Kräftigsten überleben. In einer G-ttlosen Welt ist der Holocaust keine theologische Frage, sondern vielmehr eine Aussage darüber, wie tief der Mensch sinken kann. Die Frage ist dann rein rhetorisch und sollte nicht lauten: „Wo war G-tt während des Holocausts?“, sondern vielmehr: „Wo war der Mensch während des Holocausts?“

Die Tatsache, dass sogar die „Nichtgläubigen“ ständig fragen: „Wo war G-tt?“, ist der beste Beweis, dass sie tief im Herzen an G-tt glauben und sich nach einer Antwort sehnen. Milder ausgedrückt: „Tatsächlich möchten sie an G-tt glauben. Aber wegen des Holocausts haben sie das Gefühl, dass sie nicht glauben können.“

Für einen wahren Gläubigen sollte es keine Fragen geben. Er zitiert den Vers (Deuteronomius 32:4-5): „Der Fels! Sein Werk ist perfekt, denn alle Seine Wege sind gerecht; ein G-tt des Glaubens, ohne Fehler, Er ist gerecht”. Der Glaube eines Menschen wird nicht dadurch herausgefordert, dass er den Ewigen nicht versteht, denn welcher Sterbliche kann den Allmächtigen wirklich verstehen?

Die Tatsache, dass er sowohl menschlich als auch sterblich und sehr verstört ist, bewegt ihn zum Hinterfragen seines Glaubens. Daher muss der Gläubige eine, wenn auch unvollständige Antwort erhalten, so dass er seinem Schöpfer weiter dienen kann.

Glauben versus Tragödie

Der Konflikt zwischen Tragödie und Glauben ist nicht neu. Die jüdische Geschichte lehrt uns, dass unser Volk furchtbar verfolgt wurde. 1940 wusste der gläubige Jude, dass es Pogrome, Kreuzzüge und die Tempelzerstörung gegeben hat. Er las in der Sedernacht „In jeder Generation sind sie gekommen, um uns zu zerstören“, und trotzdem hat dies seinen Glauben nicht beeinträchtigt. Antisemitismus war nichts Neues.

Genauso, wie der Jude im Jahre 1940 über die Judenverfolgung Bescheid wusste und dennoch seinen Glauben beibehielt, kann er nach dem Holocaust an seinem Glauben festhalten. Die philosophische Frage „Kann es sein, dass der Richter der Welt nicht gerecht ist?“ bezieht sich sowohl auf das scheinbar sinnlose Leiden eines Individuums, als auch auf das von sechs Millionen Individuen. Konnten die Juden vor dem Holocaust damit auf der individuellen Ebene fertig werden, dann konnten sie es genauso danach. Der Unterschied ist ein quantitativer, aber die Qualität der Frage ist die gleiche.

Tatsächlich war Hitlers ‚Endlösung’ aber etwas Neues. Doch nur wenige Menschen hielten im zivilisierten 20. Jahrhundert solch einen Völkermord für möglich. Vielmehr versicherten sie sich mit Unterstützung der Medien, dass es keine Rückkehr zum Mittelalter geben würde. Die kultivierten Berliner Philosophen und Poeten wurden jedoch zu den größten Mördern der Welt. Der Holocaust war nicht das Werk einiger weniger Monster, sondern wurde von einer ganzen Nation, d.h. fast Hundert Millionen Menschen, stillschweigend geduldet.

Die Welt schwieg. Sie war passiv und fühlte sich manchmal sogar wohl, dass andere die Grausamkeiten ausführten.

Vom Holocaust können wir lernen, dass sich der Mensch nicht auf seinen Verstand und sein Gerechtigkeitsgefühl verlassen kann. Diejenigen mit den höchsten Universitätsabschlüssen waren vielfach Komplizen oder aktive kaltblütige Mörder. Jeder Mensch muss Rechenschaft ablegen. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ kann nur auf der Prämisse „Ich bin der Herr Euer G-tt“ basieren.

Haben berühmte Gläubige G-tt hinterfragt?

Die Frage „Kann es sein, dass der Richter der Welt nicht gerecht ist?“ (Genesis 18:25) kann nur authentisch sein, wenn sie von einem Gläubigen kommt. Der erste, der diese Frage gestellt hat, war unser Vater Abraham, der als Tiefgläubiger der Vater aller Gläubigen ist. Er hat G-tt nicht hinterfragt, als Er ihm befahl, seinen geliebten Sohn Isaak aufzuopfern. „Und Abraham stand früh am Morgen auf“, um G-ttes Willen eifrig zu erfüllen.

Der erste, der fragte, „Warum leiden die Gerechten? Warum geht es den Bösen gut?“ war kein anderer als Moses – derjenige, der uns aus Ägypten geführt und das Rote Meer gespalten hat, am Berg Sinai stand und das Gebot „Ich bin der Herr Euer G-tt, Ihr sollt keine anderen Götter haben neben Mir“ hörte. „Andere Götter“ könnte sich auch auf den menschlichen Verstand beziehen, wenn er zur letzten Instanz bei ethischen Fragen erhoben wird.

Im Talmud (Menachot 29b) steht geschrieben, dass Moses mit ansehen musste, wie Rabbiner Akiwa von den Römern zu Tode gequält wurde. Als Moses sah, wie sie Rabbiner Akiwa’s Fleisch mit eisernen Rechen kämmten, rief er aus: „Ist das die Tora, und ist das der Lohn?!“ Von G-tt kam die Antwort: „Sei still, so hat (G-tt) es sich ausgedacht“.

Bei Moses’ Frage geht es nicht um einen Gedanken, den er äußerte und dann zum Schweigen gebracht wurde. Vielmehr war der Inhalt der Frage nicht angemessen. Genau genommen war die Antwort auf seine Frage gar keine Antwort. Moses bat darum, den Grund zu erfahren, - und er hat ein Gebot erhalten. Die Frage schwächt Moses’ Glauben jedoch nicht. Im Gegenteil: Der Glauben allein hat es den Grossen ermöglicht, ihre Schwierigkeiten zu überwinden.

Jeremias, der fragte „Warum sind die Bösen erfolgreich?“, hat die Juden immer wieder ermahnt, ihren Glauben an G-tt zu stärken. Job muss sehr leiden, weil seine Freunde sich über ihn lustig machen. So hinterfragt er zwar G-tt, verliert aber nicht seinen Glauben.

Es überrascht uns nicht, dass alle berühmten Gläubigen, die G-tt hinterfragt haben, trotzdem gläubig geblieben sind. Sie alle sehnten sich sehr nach Gerechtigkeit. Der Glaube basiert auf Gerechtigkeit, - einer Gerechtigkeit, die übermenschlich ist. Daher ist es sehr beunruhigend, wenn bei uns der Eindruck, ungerecht behandelt zu werden, entsteht. Nach einer kurzen Schmerz- und Protestphase begreift der Fragende jedoch, dass er das Unverständliche zu verstehen versuchte. Er merkt schnell, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den tieferen Sinn verstehen konnte, aber letztendlich wird ihm die Gerechtigkeit des Höchsten Richters bewusst. Durch seine Fragen und seinen Schmerz wird sein Glaube gestärkt.

Der Richter, der Billionen Menschen richtet

Vergegenwärtigen wir uns, dass G-tt alle Menschen jederzeit richtet, so verdeutlicht es uns die übermenschliche Größe dieses Richters. Wie könnten wir Ihn in Seiner unendlichen Weisheit verstehen?

Gegenwärtig kommen Unschuldige wegen der Unzulänglichkeiten des Rechtssystems und ihrer Richter ins Gefängnis, während Schuldige nicht verurteilt werden. Richter und Gerichtshelfer beklagen ihre ständige Überarbeitung. Demgegenüber bearbeitet der Weltenrichter 24 Stunden ununterbrochen 5 Billionen ‚Fälle’. Wie könnten wir auch nur versuchen, Ihn zu verstehen?

Ein Eingeborener im Operationssaal

Letztlich müssen wir Mensch einsehen, dass wir nur eine endliche Blickweite haben.

Stellen wir uns einen Eingeborene in einem Operationssaal vor, der eine Herzoperation beobachtet. Zuerst sieht er Männer mit Masken den Raum betreten. Alle tragen Handschuhe und grüne Kleidung. Dann wird ein Bett mit einem schlafenden Mann in den Raum gefahren. Diesem stülpt einer der grün gekleideten Männer eine Maske über. Ein Anderer nimmt das Bettuch ab und bittet um ein Skalpell. Der Eingeborene beobachtet beunruhigt, wie der Chirurg einen Schnitt macht, und kommt, - da er nichts von moderner Medizin versteht - zu dem Schluss, einem kaltblütigen Mord beizuwohnen. In seiner Heimat sterben Menschen im Kampf und nicht im Schlaf, weshalb ihm die Vorgänge im Operationssaal unerklärlich sind.

Er empfindet das alles nicht nur als falsch, sondern auch als sehr ungerecht, - und er protestiert.

Zwar könnte versucht werden, dem Eingeborenen die Notwendigkeit der Operation zu erklären. Doch der Eingeborene würde nicht verstehen, warum nur durch einen chirurgischen Eingriff das Leben des Schlafenden noch zu retten war. Im Gegenteil: Für ihn geschieht im Operationssaal ein Mord.

Verglichen mit G-tt sind wir Menschen wie der Eingeborene im Operationssaal. Unser Verständnis seiner Operationen ist so begrenzt, dass wir dem Chirurgen Schlechtes unterstellen, ohne zu verstehen, dass die Operation dem Wohle des Patienten diente.

G-tt ist gut. Selbst in Leid und Schmerz liegt Gutes, auch wenn es der Leidende nicht immer erkennt. Doch unser Glaube lehrt uns, dass der Chirurg weiß, was Er tut.

War der Holocaust eine Strafe?

Es gibt Menschen, die sagen, dass der Holocaust eine Strafe für die Sünden der damaligen Generation war.

Der Lubawitscher Rebbe lehnt eine solche Aussage ab. Er sagt (Sefer Ha Sichot 5751 Band 1 Seite 233):

„Es kann keine Sündenbestrafung sein, die die Vernichtung von sechs Millionen Juden in solch unübertroffener Grausamkeit rechtfertigen würde. Selbst der Satan wäre nicht in der Lage, genug Sünden zu finden, die solch einen Völkermord rechtfertigen würden!“

Es gibt keine vernünftige Erklärung für den Holocaust, außer dass es ein G-ttlicher Erlass war ... warum er stattfand, können wir Menschen nicht begreifen – ganz bestimmt aber nicht als Strafe.

Im Gegenteil: Alle, die im Holocaust getötet wurden, werden ‚Kedoschim’, Heilige, genannt, da sie in der Heiligung des Namens G-ttes getötet wurden. Da sie Juden waren, wird ihr vergossenes Blut nur von G-tt gesühnt. Wie wir am Schabbat im Aw Harachamim Gebet sagen: „Die heiligen Gemeinden, die ihr vergossenes Blut zur Heiligung des G-ttlichen Namens hingaben ... und sühne das vergossene Blut Seiner Diener, wie es in der Tora des Moses geschrieben steht ... denn Er wird das vergossene Blut Seiner Diener sühnen ... Und in den Heiligen Schriften steht ... Die Völker sollen wissen, dass das vergossene Blut Seiner Diener gesühnt wird“. G-tt beschreibt diejenigen, die geheiligt wurden, als Seine Diener und verspricht, ihr Blut zu sühnen.

Die Rabbiner sagen über die Kedoschim: „Kein Geschöpf kann neben ihnen stehen“. Umso mehr gilt dies für diejenigen, die im Holocaust gestorben sind. Viele waren sehr weise Toragelehrte und Toratreue Juden.

Es ist unvorstellbar, den Holocaust als Strafe zu betrachten.

Man kann nur die Worte Jesajas anwenden: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege, sagt der Herr.“ (Jesaja 55:8).

Die Seelendimension

Juden glauben, dass es eine Seele gibt. Diese Seele kommt vom Himmel herunter, um in einem Köper 70 oder 80 Jahre lang zu wohnen. Danach geht sie wieder zu ihrem Schöpfer zurück. Die Seele existiert, bevor sie in den Körper kommt und nachdem sie ihn verlassen hat. Der Rabbiner Schneur Salman von Liadi beschreibt die Seele in seinem Werk Tanja als „einen Teil G-ttes“, einen Funken G-ttlichkeit, der im Körper wohnt, um eine Wohnstätte für den Allmächtigen auf dieser Erde zu erschaffen. Der Grund dafür, dass die Seele auf die Erde kommt und in einem Geschöpf wohnt, wird in der Chassidischen Philosophie ausführlich erklärt.

Jeder kann verstehen, dass der Körper physisch und die Seele geistig ist. Jeder kann auch begreifen, dass Schwerter, Feuer und Wasser auf den Körper, aber nicht auf die Seele Auswirkungen haben können. Daher konnten die Gaskammern und Krematorien nur die Körper, aber nicht die Seelen dieser Märtyrer vernichten.

Es ist offensichtlich, dass die Seele die Hauptkomponente gegenüber dem Körper darstellt: Der Kopf ist wichtiger als der Fuß; Gedanken und Gefühle sind wichtiger als das Fleisch. Im Holocaust wurden Körper und Seele nur getrennt. Die Seelen wurden nicht zerstört.

Schauen wir in ein Zimmer, in dem jemanden weint. Wäre es logisch, anzunehmen, dass dieser Mensch sein ganzes Leben lang nur weinte? Und wenn wir in ein Zimmer mit einem lachenden Menschen schauen, nehmen wir auch nicht an, dass dieser Mensch sein ganzes Leben lang nur gelacht hat. Wir alle wissen, dass das Leben eines Menschen vielfältig voller froher und trauriger Momente ist.

So war es auch für die Menschen, die beim Holocaust umkamen. Sie lebten auf dieser Erde nur eine kurze Zeit gemessen daran, wie lange eine Seele existiert! Natürlich stellt der Holocaust eine Zeit grausamster Zerstörung dar. Trotzdem sollten wir nicht daraus schließen, dass auch die Seelen zerstört wurden!

Wir wissen nicht, wie es den Seelen der im Holocaust Umgekommenen in der zukünftigen Welt geht, aber es steht in der Tora, dass diejenigen, die Al Kiddusch Haschem sterben, eine besondere Stellung in der zukünftigen Welt einnehmen.

Das können wir aus dieser Begebenheit ableiten: Im Buch Maggid Meischarim (Paraschat Tezawe) steht, dass Rabbiner Josef Karo, der Autor des jüdischen Gesetzeskodex, die Ehre hatte, sein Leben zur Heiligung des G-ttlichen Namens hinzugeben. Dann wurde dieses Schicksal abgewandelt. Er wurde die führende halachische Autorität seiner Generation und schrieb den großen Gesetzeskodex, dem wir heutzutage immer noch folgen. Trotzdem wird diese große Leistung als weniger bedeutsam angesehen als der Tod zur Ehre des G-ttlichen Namens. Märtyrertum ist eine große Ehre, und da alle, die im Holocaust umkamen, Märtyrer waren (sie starben, weil sie Juden waren), haben sie auch einen besonderen Platz im Gan Eden.

Für den gläubigen Juden ist es ganz klar, dass, obwohl der Moment des Kiddusch Haschem (Heiligung des Namens G-ttes) körperlich grausam war, dies nicht die Seele beeinflusst hat. Es war nur ein kurzer Moment im Leben der Seele, durch den sie ewig erhöht wurde. In der Tora wird mehrfach betont, dass das Leben auf dieser Welt nur eine Vorbereitung auf das zukünftige, ewige Leben in der zukünftigen Welt ist. In der Mischna (Awot 4:21) steht geschrieben: „Die Welt ist wie ein Korridor zur zukünftigen Welt. Bereite dich im Korridor auf den Ballsaal vor, damit du ihn betreten darfst.“ Wenn man während der Zeit im Korridor gelitten hat, dann ist das ein unendlicher Gewinn für die Zeit im Ballsaal und ist somit sicherlich lohnenswert. Die Seelenfreude in der zukünftigen Welt ist unbeschreiblich. Auch während der Verbindung der Seele mit dem Körper ist ihr Leben auf einer viel höheren Ebene in dieser Welt angesiedelt. Um wie viel stärker ist das der Fall, wenn die Seele nicht mehr durch den Körper abgelenkt wird? Das Leiden ist nur kurzfristig, aber der Gewinn unendlich.

Außerdem ist einer der Grundlagen unseres Glaubens die Auferstehung der Toten. Zweifellos werden alle Kedoschim des Holocausts auferstehen und viele wunderschöne Jahre erleben. Das wird ihren wohlverdienten Lohn darstellen.

Unterwerfung oder Gebet

Wenn der Holocaust ein G-ttlicher Erlass war, warum sollten wir uns dann nicht diesem Erlass unterwerfen? Warum drängen uns die Jüdischen Führungspersönlichkeiten dazu, mit aller Kraft für die Abwendung jedes schlimmen Erlasses zu beten?

Der vorherige Lubawitscher Rebbe, der selbst den Holocaust durchlebt hatte, forderte alle Juden auf, mit dem Allmächtigen König zu ringen, um eine Annullierung des schlimmen Erlasses zu bewirken. Wozu war das Weinen gut, wenn dies der G-ttliche Wille war?

Außerdem steht in der Mischna Awot (4:17): “Eine Stunde der Sühne und guten Taten in dieser Welt ist besser als alles Leben der zukünftigen Welt. Und eine Stunde Glückseeligkeit in der zukünftigen Welt ist besser als alles Leben auf dieser Welt“. Das bedeutet, dass die geistige Glückseeligkeit der zukünftigen Welt unvorstellbar ist und alle weltlichen Vergnügen übertrifft. Und dennoch ist eine Stunde, in der wir unseren Sinn auf dieser Erde durch Sühne und gute Taten erfüllen, besser, als aller geistiger Lohn in der zukünftigen Welt (denn G-tt erschuf diese Welt, „um eine Wohnstätte für G-tt auf dieser Welt zu schaffen“, Tanja).

Wenn dies so ist, wie kann G-tt dann so viele Juden von dieser Welt entfernen und damit auch ihre Möglichkeit, ein Tora- und Mizwa-Leben zu führen? Außerdem gibt es das Gesetz des Pikuach Nefesch (Lebensrettung), wonach alles in unserer Macht Stehende zu tun ist, um ein Leben auch nur einen Moment länger zu erhalten. Dazu darf der heiligste Tag im Jahr, Jom Kippur, verletzt werden. Das Gesetz besagt sogar, dass der Hohepriester das Allerheiligste verlassen muss, um Leben zu retten.

Wenn menschliches Leben sowohl halachisch als auch philosophisch gesehen so wertvoll ist, warum wurden im Holocaust sechs Millionen Juden mitleidlos ausgelöscht?

Wir wissen, dass selbst die größten Gläubigen G-tt hinterfragt haben. Ihre Fragen kann man folgendermaßen umformulieren:

Sie galubten an den unendlichen und allmächtigen G-tt und wussten, dass alles, was G-tt tut, zum Guten ist. Da G-tt keine Grenzen hat, kann der Chefarzt seinen Patienten auf verschiedene Arten und Weisen behandeln. Warum aber wurde die Operation so drastisch ausgeführt? Hätte G-tt nicht eine andere, weniger schmerzliche Methode auswählen können?

Der Grund, warum die Himmelstore durch Gebet geöffnet werden sollten, war, um zu bitten: Bitte benutze eine mildere Methode, um das erwünschte Ziel zu erreichen. Warum brauchen wir so eine bittere Medizin?

Und dennoch haben sie nach der ersten Schmerzensäußerung bekundet: „Der Herr ist in allen Seinen Wegen gerecht“.

Denkmäler oder Taten

Wir dürfen nie vergessen, was geschehen ist. Es ist ein positives Gebot, sich an Amalek’s Taten zu erinnern. Unsere Generation muss sich immer des Holocausts voll bewusst sein, insbesondere des großen Kiddusch Haschem, und zwar nicht nur der Widerstandskämpfer, sondern auch derer, die stets die Gebote auch unter unmöglichen Umständen gehalten haben.

Weiterhin gibt es eine zweite, genauso wichtige Reaktion auf den Holocaust. In der Tora steht geschrieben, dass Pharao in Ägypten versuchte, die Juden zu vernichten, „aber je mehr er sie quälte, um so mehr vermehrten sie sich“. Eine gute Reaktion auf die ‚Endlösung’ ist es, jüdisches Leben aufzubauen. Hitler versuchte, uns zu vernichten. Unsere Reaktion sollte lauten, dass wir eine frommere und mannigfaltigere jüdische Welt aufbauen. Tatsächlich könnten wir pessimistisch werden, wenn wir uns zu sehr mit tragischen Ereignissen beschäftigen. Der Wiederaufbau des Judentums und der Juden muss mit Bitachon (Vertrauen) und Simcha (Freude) vollzogen werden.

Eine faszinierende geschichtliche Begebenheit

Drei äußerst tragische Zeitspannen in der jüdischen Geschichte waren die Zerstörung des ersten Tempels, die Zerstörung des zweiten Tempels und im Mittelalter die Kreuzzüge. Es ist faszinierend, dass in diesen drei Zeitspannen die Mündliche Tora enorm weiterentwickelt wurde. Nach der Zerstörung des ersten Tempels lebten die Männer der Großen Synode, die viele rabbinische Verbote und Institutionen ins Leben riefen. Nach dem zweiten Tempel wurde die Mischna und der Talmud niedergeschrieben, und im Mittelalter kamen die Rischonim, die detaillierte Kommentare zu den früheren Texten schrieben. Dieses Muster hat sich in der Zeit nach dem Holocaust wiederholt, in der es eine erstaunliche Verbreitung des Toralernens und höchste Auflagen jüdischer Publikationen gegeben hat.

Wir dürfen unseren Feinden nicht die ‚Endlösung’ leicht machen. Unsere Aufgabe ist es, mehr Tora zu lernen und mehr Mizwot zu tun, denn das ist das Wichtigste.