Es ist ein grundlegender jüdischer Lehrsatz, dass G-tt der Meister des Universums ist, dessen allmächtige Kraft weder durch Zeit noch Raum begrenzt ist. Außerdem ist G-tt die Quelle von allem Guten. Er möchte, dass die Menschen ein gerechtes und moralisch gutes Leben führen, und dass alle Juden Tora und Mizwot halten.

Warum ist solch ein Leben oft mit so vielen Schwierigkeiten und manchmal sogar scheinbar unüberwindlichen Hindernissen belastet?

Diese Frage wird nicht nur von Skeptikern, sondern sehr oft von jenen Menschen gestellt, die an G-ttliche Vorsehung glauben, d.h. je stärker der Glaube an G-ttes Güte ist, umso schwieriger ist es, diese Anomalie zu verstehen.

Stellen wir uns folgende Frage:

Streben wir ein Leben mit größtmöglichem Vergnügen bei geringster Anstrengung an, oder wäre ein Leben voller Arbeit und viel Erfolg zu bevorzugen?

Natürlich ist dies keine abstrakte Frage. Sie zu beantworten, heißt, das Fundament für das Musters seines Lebens zu legen. Denn diese Antwort bestimmt, wie der Mensch auf das reagiert, was ihm widerfährt und um ihn herum passiert. Dies bezieht sich sogar auf Dinge, die ihn nicht direkt betreffen, - um so mehr natürlich auf alles, was ihn direkt betrifft.

Unser Glaube und unsere Tora basieren darauf, dass der Schöpfer und Meister der Welt, einschließlich der ‚kleinen Welt’ (des Menschen) die Quintessenz des Guten ist, und dass es in der „Natur des Guten liegt, Gutes zu tun“.

Auf den ersten Blick erschiene es daher sinnvoll, wenn die größte Perfektion in einem Stadium gefunden würde, wo größtes, wahres Vergnügen ohne Schwierigkeiten oder Mühe gefunden werden könnte. In solch einem Stadium würde die „Natur des Guten, Gutes zu tun“ ganz und gar verdeutlicht.

Und dennoch heißt es in der Tora: „Der Mensch wurde geboren, um zu arbeiten.“ So wurde auch Adam vor seinem Fall in den Garten Eden gestellt, um die Aufgabe: “Bebaue und bewache ihn“ zu erfüllen. Erst später sagte G-tt ihm: “Von allen Bäumen darfst du essen“.

Natürlich hätte G-tt auch eine Weltordnung erschaffen können, in der moralisches und ethisches Verhalten ohne Anstrengung des Menschen vorherrschen. Die Erklärung dafür, warum Er dies nicht getan hat, beantwortet die Tora, indem sie diesen scheinbaren Widerspruch erklärt:

G-tt möchte, dass der Mensch das vollkommene Glück genießt. Die menschliche Natur ist jedoch so veranlagt, dass sie nur dann wahre Freude empfindet, wenn der Mensch durch seine eigene Anstrengung seinen Anteil am Erfolg erwirbt. Fällt ihm dagegen der Erfolg in den Schoss, dann ist es für ihn genauso erniedrigend, als ob er Almosen erhalten würde. Sie bedeuten das „Brot der Schande“. Daraus folgt, dass das vollkommene Glück nur durch harte Arbeit erworben werden kann. Je härter die Anstrengung, umso größer die Freude am Erfolg.

Wer um das G-ttliche Gebot weiß, dass es einen bestimmten Lebensweg einzuschlagen gilt, dann entsteht auch der Entschluss, seine G-ttliche Aufgabe allen Schwierigkeiten zum Trotz zu erfüllen. Sogar auftretende Hindernisse werden wir als Herausforderungen betrachten, denen wir uns unerschrocken stellen, bevor wir sie überwinden. Diese Hindernisse können sogar die eigene Entschlossenheit stärken, mit voller Anstrengung an die Sache zu gehen.

Damit geht ein starkes Gefühl der Befriedigung einher, das der Stärke der verwendeten Anstrengung entspricht und so den Genuss des Erfolgs vervielfältigt, - durch das erlangte Wissen: „Du kannst es.“

Du kannst es

Es ist selbstverständlich, dass der Schöpfer, der die Welt und seine Geschöpfe kennt, ihnen keine Anordnungen oder Gebote gibt, die zu schwer für sie sind. Wenn Er jedem Juden bestimmte Gebote gegeben hat, dann ist es ganz klar, dass Er uns zuvor die Fähigkeit gegeben hat, sie zu erfüllen.

Einige Juden wurden mit größeren Fähigkeiten geboren als andere. Die Heraus-forderungen, die G-tt jedem Juden schickt, entsprechen dessen gegebenen Kräften, so wie es unsere Weisen gesagt haben: „G-tt behandelt Seine Geschöpfe nicht despotisch oder mit Willkür.“ Er erwartet auch nichts Unmögliches von uns. Je größer die Herausforderungen sind, denen der einzelne Jude begegnet, umso eindeutiger ist es ein Zeichen dafür, dass er die Fähigkeit und Kraft verliehen bekam, sie zu bestehen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, d.h. es genügt, sich maximal anzustrengen, - denn dann werden auch die Schwierigkeiten überwunden.

Die Amalekiter

Als die Israeliten triumphierend aus Ägypten zum Berg Sinai marschierten, da schienen sie unbesiegbar zu sein. Es war ein Volk, das mit Wundern umgeben war und unantastbar zu sein schien. Dennoch wagten es die Amalekiter, sie anzugreifen. Es ist ein Gebot, sich an diese Tatsache zu erinnern.

Amalek, im weiteren Sinne, repräsentiert all die Hindernisse, denen ein Jude sich gegenübergestellt sieht, wenn er die Tora und Gebote mit Freude und Enthusiasmus im täglichen Leben halten möchte. Amalek repräsentiert Apathie, Gleichgültigkeit und Depression. Das Gebot, dass wir niemals Amalek vergessen sollen, erinnert uns daran, dass es Amalekiter in jeder Generation und zu jeder Zeit gibt, und dass wir uns nicht von ihnen abbringen oder entmutigen lassen dürfen, wo auch immer sie auftauchen mögen.

Jeder Jude hat die nötigen Kräfte bekommen, um all diese „Amalekiter“ zu überwinden. Es wird von ihm erwartet, dass er sie dazu verwendet, sich und anderen zu zeigen, dass nichts und niemand ihn davon abbringen wird, die Tora und Gebote im Einklang mit G-ttes Willen zu befolgen. Wenn er erkennt, dass jede Schwierigkeit tatsächlich ein Test seines G-ttesglaubens ist, und er sich entschließt, der Herausforderung ins Auge zu sehen, dann merkt er, dass kein Amalek es mit den G-ttlichen Kräften der jüdischen Seele aufnehmen kann. Tatsächlich stellen sich diese Herausforderungen nicht als unüberwindbare Sperrungen, sondern als Hilfestellungen und Katalysatoren für immer größere Erfolge heraus. Sie haben ihm dazu verholfen, dass er diese inneren Kräfte mobilisiert hat, die sonst verschüttet geblieben wären. Denn diese Kräfte sind unser Leben!

They are our life

Das bringt uns zu einer noch tiefgründigeren Einsicht.

Nicht das Verlangen, seine Pflichten gegenüber G-tt und seinen Mitmenschen zu erfüllen, ist das Wichtigste beim Toralernen und den Geboten. Es ist auch nicht das angenehme Gefühl, etwas zur Welt beigesteuert zu haben. Denn solange sich der Jude wegen äußerer Gründe dem Willen G-ttes beugt, - auch wenn diese lobenswert sind - so lange ist diese Tat noch nicht ganz vollkommen. Tora und Gebote perfekt einzuhalten, beinhaltet, dass diese Einhaltung ein so integraler Bestandteil seines Lebens ist, dass sich ein Jude damit ganz und gar identifiziert. Nur so wird er von Tora und Mizwot durchdrungen.

Dies führt zu der tiefgründigen Bedeutung der Worte in unserem täglichen Gebet: „Denn Tora und Mizwot sind unser Leben“. So wie ein Mensch und sein Leben eins sind und aus ihm d e n lebenden Menschen machen, so sind Tora, Mizwot und der Jude eins und unzertrennlich. Eine solche Identifikation kann aber nur der erleben, der außerordentliche Kräfte einsetzt. Würde er sogar sein Leben für Tora und Mizwot aufgeben, nur dann werden Tora und Mizwot ein integraler Bestandteil seines Lebens. Nur etwas, das als unersetzlicher und integraler Lebensbestandteil erachtet wird, kann auch die innersten Kräfte bis zur Selbstaufopferung mobilisieren.

Der letztendliche Sinn des Galut

Die vorhergehenden Anmerkungen geben uns Einblick in die Bedeutung des Galut (des Exils mit Vertreibung), das die Wurzel der Mehrzahl oder sogar aller Schwierigkeiten und Hindernisse ist, die sich dem G-ttesfürchtigen Juden in den Weg stellen.

Wir wissen, dass das Galut eine Strafe und Wiedergutmachung für ein - in der Vergangenheit nicht unseren Pflichten gemäß gelebtes - Leben ist. Wir erkennen dies in unseren täglichen Gebeten: „Wegen unserer Sünden wurden wir von unserem Land verbannt“. Eine Strafe, die unserer Tora gemäß ist, die auch Torat Chessed (Tora der Liebenswürdigkeit) heißt, muss im Grunde genommen auch Chessed sein.

G-tt hat eine bestimmte Menschengruppe, nämlich das jüdische Volk, für die schwierige und herausfordernde Aufgabe auserwählt, die Nachricht der Einheit G-ttes, des wahren Monotheismus, durch ihr Leben und die Verbreitung des Lichts der Tora und Mizwot bis zu den fernsten Ländern der Welt zu verbreiten. Es ist eine Aufgabe, die keine andere Gruppe annehmen wollte und konnte. Die größte Belohnung ist die Erfüllung dieser Bestimmung. Wie es unsere Weisen ausgedrückt haben: „Die Belohnung einer Mizwa ist die Mizwa selbst“. Daher ist der letztendliche Sinn des Galut eng mit unserer Bestimmung verbunden, mit dazu beizutragen, dass die Menschheit universell G-tt anerkennt.

Ein Aufruf an unsere Generation

Es ist schon immer die Aufgabe entschlossener Einzelpersonen und Gruppen, die sich ihrer Verantwortung voll bewusst waren, gewesen, den Weg für die schrittweise Erlangung dieses Zieles zu ebnen. Sie haben sich dem lebenswichtigen Bedürfnis gewidmet, Tora und Mizwot bei allen Sektoren unseres Volkes zu stärken und zu verbreiten.

Heutzutage liegt die Betonung auf dem Näherbringen von theoretischen und praktischen Tora- und Mizwot-Kenntnissen. Deshalb können wir nicht darauf warten, dass sich die Juden um ein intensiveres Erlernen selbst bemühen. Vielmehr müssen ihnen Tora und Mizwot in der Hoffnung entgegen gebracht werden, damit sie früher oder später selbst die Bedeutung größeren Wissens und Praktizierens erkennen. Dies kann am effektivsten durch Tora-treue Erziehung der Jugend und der an Wissen „jung Gebliebenen“ erreicht werden.

Die Gründer von Chassidut und Chabad Chassidut haben diesen Ansatz mit selbstloser Hingabe entwickelt und verwirklicht. Vor seiner Selbstoffenbarung war der Baal Schem Tow ein Melamed, ein jüdischer Grundschullehrer. Rabbiner Schneur Salman, der Alte Rebbe und der Gründer von Chabad, der Schüler und Nachfolger des Baal Schem Tow, begann sein Lebenswerk mit der Gründung seiner bekannten drei Chadarim (Höheren Schulen). Auch seine Nachfolger, Rabbinische Führungspersönlichkeiten von Chabad, haben ihn ihrer jeweiligen Generation so gehandelt.

Sie haben eine unverwüstliche Verachtung aller Schwierigkeiten und Hindernisse in ihrer Arbeit verkörpert. Damit machten sie allen klar, dass diese Schwierigkeiten vorauszusehende, zu überwindende Herausforderungen darstellten. Und mit eben dieser Überwindung aller Hindernisse konnten sie verdeutlichen, dass G-ttes Vorsehung jeden einzelnen direkt betrifft. Das lehrt uns: „Wer sich und anderen helfen möchte, der bekommt himmlische Hilfe“.

Es ist eine Tatsache, dass trotz des unerschütterlichen Willens, ein Projekt zu verwirklichen, viele eingebildete Schwierigkeiten auftreten, die unüberwindlich erscheinen, es aber nicht sind. Die Kräfte des Guten bauen aufeinander auf. Unsere Weisen haben dies in dem folgenden Zitat ausgedrückt: “Eine Mizwa bringt eine andere Mizwa.“ Wenn das Böse ansteckend ist, dann ist das Gute noch ansteckender und viele Beobachter werden durch konstruktive und positive Taten zum Mithelfen inspiriert.

Die Herausforderung unserer Zeit ist es, das Wissen um Tora und Mizwot vor allem durch die Schulung der jüngeren Generation zu verbreiten, bis jeder Jude das Zitat erfüllt: „Lerne den G-tt deines Vaters kennen und diene Ihm mit reinem Herzen.“ Der Prophet sagt: „Sie werden Mich alle kennen, die kleinen und die großen. Die Welt wird mit dem Wissen G-ttes erfüllt sein, so wie das Wasser die Meere bedeckt.“