IX. Wir finden zwei gegensätzliche Aspekte im Zusammenhang mit Chanukka:
(a) Einige Texte1 erklären, dass das Wort Chanukka mit Chinuch – Weihe oder Widmung – gleichzusetzen ist. Diese Bedeutung des Wortes zeigt sich deutlich in den Ausdrücken Chanukkat haMisbe-ach (Weihe des Altars) und Chanukkat Bet haMikdasch (Weihe des Heiligtums), die jeweils einen Anfang bedeuten: einen neuen Anfang für den G-ttlichen Dienst (im Heiligtum im Allgemeinen und des Altars und der Menora im Besonderen) – also einen Aspekt von Chinuch.2
(b) Das Wunder von Chanukka bestand darin, „ein Fläschchen mit reinem Öl zu finden, das mit dem Siegel des Hohepriesters versiegelt war.“3 Nach dem Tora-Gesetz wäre es erlaubt gewesen, die Menora (im Heiligtum) auch mit Ölen anzuzünden, die verunreinigt waren, denn „Unreinheit wird bei einer Gemeinde verdrängt - oder aufgehoben.“4 Dennoch hat der Allmächtige, um seine Liebe zu Israel zu manifestieren, ein Wunder vollbracht, das es nicht nur ermöglichte, die Einhaltung der Mizwa [des Anzündens der Menora] von Neuem zu beginnen, sondern auch, dass dies auf die idealste Art und Weise geschehen konnte, ohne Rückgriff auf rechtliche Erleichterungen, nicht einmal solche, die vollständig mit dem Schulchan Aruch übereinstimmen.
Dies zeigt, dass eine Angelegenheit, die mit Heiligkeit zu tun hat, von vornherein, gleich zu Beginn der Weihe, in absoluter Vollkommenheit und auf die idealste Weise durchgeführt werden sollte.
X. Das Gleiche gilt, und zwar ganz besonders, für Chinuch (die Erziehung) von Jungen und Mädchen. Von Anfang an, von der frühen Kindheit an, müssen wir ihnen Jiddischkeit in Gänze vermitteln, ohne jegliche Kompromisse oder rechtliche Erleichterungen.
Man kann nicht sicherstellen, dass „es auch im Alter nicht davon abweicht“5, wenn man wartet, bis das Kind erwachsen wird und in die Welt eintritt, und ihm erst dann mitteilt, dass es kämpfen muss und sich nicht von Hindernissen und Hemmnissen beeinflussen lassen darf, und es, wenn nötig, zu Mesirat Nefesch inspiriert. Wenn wir wirklich wollen, dass es alle Schwierigkeiten überwindet, selbst „wenn es alt ist“, müssen wir damit beginnen, es zu unterrichten, wenn es noch ein Na-ar, ein Kind, ist, wie es in diesem Vers heißt.
Deshalb bemühten sich die Weisen Israels mit aller Kraft darum, dass Chinuch (die Erziehung) der jüdischen Jungen und Mädchen in unverfälschter Heiligkeit erfolgt. Sie kämpften um jedes Detail; sie kämpften gegen jeden Kompromiss, selbst bei scheinbar unbedeutenden Details, weil sie wussten, dass die Jahre der Erziehung den Jungen oder das Mädchen für den Rest seines oder ihres Lebens beeinflussen. Sie wussten, dass die Kinder mit geeigneten Waffen gestärkt werden müssen, um in all den Kämpfen zu bestehen, die sie im Laufe ihres Lebens zu bestehen haben werden.
Der Mensch wird mit einem Baum verglichen: „Denn der Mensch ist ein Baum des Feldes.“6 Wenn man einem ausgewachsenen Baum eine Narbe zufügt, hinterlässt man nur an dieser Stelle eine Markierung, die keinen weiteren Schaden verursacht. Wenn wir aber den Samen, der gepflanzt werden soll, einritzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der ganze Baum verkrüppelt wird.
XI. Das Gleiche gilt für Chinuch, die Erziehung:
Für einen Menschen mittleren Alters, der die Hälfte seines Lebens bereits hinter sich hat, wirkt sich ein Kompromiss, zu dem er sich gezwungen sieht, nur auf einen relativ kurzen Zeitraum aus. Wenn jemand zum Beispiel 40 Jahre lang konsequent und ohne Kompromisse gelebt hat, müssen ihn spätere Misserfolge und Kompromisse, auch wenn sie nur ein Jahr dauern, nicht zum Verhängnis werden. Die vorangegangenen 40 Jahre verleihen ihm die Fähigkeit, dem Kompromiss zu widerstehen und ihn zu überwinden und mit vollständiger Jiddischkeit fortzufahren.
Aber junge Menschen, die mit Kompromissen aufgewachsen sind, sind für den Rest ihres Lebens der Begeisterung und des Eifers für die Jiddischkeit beraubt. Die Narbe und der Defekt, der ihrer Seele in ihrer Jugend zugefügt wurde, kann sie, G-tt bewahre, zu „verkrüppelten“ Juden, zu deformierten Individuen machen.
XII. Gewiss, „Ein Jude, auch wenn er gesündigt hat, wird immer noch Israel genannt.“7 Dennoch gibt es solche, die die Gemara in Sanhedrin als „betrübt in dieser Welt“ bezeichnet, obwohl sie glücklicherweise immer noch die Gewissheit haben, dass sie in der kommenden Welt leben werden.8
Wir brauchen eine Generation junger Juden in dieser Welt, Juden, die geistig gesund und lebendig sind und damit auch körperlich gesund und lebendig. Diese werden in der Lage sein, diese Welt nicht nur für sich selbst zu erobern, d. h., ihren Teil davon zu einem Heiligtum für den Allmächtigen zu machen, sondern auch für die Generation der mittleren und älteren Menschen.
XIII. Es gibt Details, die nicht sehr wichtig zu sein scheinen und nur eine winzige – eine Haaresbreite – Bedeutung haben. Aber vielleicht ist dies genau die Haarfaser, von dem die Gemara sagt, dass sie die Wurzel des gesamten Jezer haRa ist: „Für den Bösen hat (der Jezer haRa) das Aussehen einer Haarfaser.“9
Wie ist es möglich, dass ein Jude ein Rascha, ein Böser, wird, G-tt bewahre? Schließlich will jeder Jude den G-ttlichen Willen befolgen;10 wie kann er dann Handlungen gegen G-tt begehen, so dass er als böse bezeichnet wird?
Der Grund besteht einfach darin, dass (der Jezer haRa) ihm wie eine Haarfaser erscheint. Er hält eine bestimmte Sache für eine Kleinigkeit, und manchmal mag sie tatsächlich unbedeutend sein. Aber in seinem gegenwärtigen Zustand und seiner Verfassung kann diese Kleinigkeit darüber entscheiden, ob er „gerecht und eingeschrieben und besiegelt für das ewige Leben“ sein wird oder, G-tt bewahre, zu den Bösen gehört, die die Schrift11 als „ein ewiger Abscheu“12 bezeichnet, und das alles wegen einer Haarfaser!
Für diejenigen, die nicht stark genug sind oder keine ausreichende Wahrnehmung haben, um festzustellen, ob dies genau das Detail ist, das ihren Status bestimmt, haben wir heute, da die Wahrheit immer offensichtlicher wird, ein Kriterium von der Seite, die gegen die Spiritualität gerichtet ist:
Wir können sehen, wie diese gegnerische Seite kämpferisch auftritt, bereit ist, Millionen von Dollar und sogar zahlreiche Menschen zu verlieren, und wie sie die Unterstützung von allen Seiten einbüßt, aber bis zur Unvernunft entschlossen ist, nicht einmal bei einer Kleinigkeit nachzugeben. Daraus können wir lernen, keine Kompromisse bei Kleinigkeiten einzugehen, von denen man uns weismachen will, dass sie unbedeutend sind; denn dies kann der „Schnürsenkel in einer Zeit religiöser Verfolgung“13 sein, der darüber entscheidet, ob man im Laufe der Zeit Jude bleibt!
XIV. Ein zusätzlicher Beweis für die Bedeutung einer „Haarfaser“ findet sich in der Tatsache, dass unsere gegenwärtigen Probleme, wie unsere Weisen sagten, ihren Ursprung darin haben, dass „wer einem anderen schmeichelt – (oder nach einer anderen Version: „wer dem Bösen schmeichelt) – schließlich in seine Hände fallen wird.“14
In den letzten Jahren haben wir gesehen, wie all jene, die vor Jahren eine Philosophie des Kompromisses vertraten, weil sie dachten, dass dies die Jugend anziehen würde (und weil sie davon ausgingen, dass diejenigen, die bereits Tora-treu waren, es auch bleiben würden), in Wirklichkeit genau die Jugend verloren haben, die sie auf diesen Weg des Kompromisses führen wollten. Darüber hinaus haben sie auch die jungen Menschen in ihrem Einflussbereich geschwächt, die sich selbst als durch und durch religiös betrachtet hatten. Andererseits waren diejenigen erfolgreich, die vor zehn, 15 oder 20 Jahren den Grundsatz verfolgten, insbesondere im Bildungsbereich nicht einmal ein Detail aufzugeben.
XV. Alle, die sich mit Leib und Seele für koscheren Chinuch (richtige jüdische Erziehung) einsetzen, und alle, die ihn finanziell unterstützen, stärken ihn buchstäblich. Sie werden manchmal damit konfrontiert: „Hört zu, warum besteht ihr darauf, eine Jeschiwa zu unterstützen, die Batlanim (Personen, die nicht für die Praxis taugen) heranzüchtet, die unfähig sind, mit weltlichen Angelegenheiten umzugehen, von denen einer einen Bart und ein anderer einen Kapote (langen Gehrock) trägt. Ihr werdet für die Erziehung von Menschen verantwortlich sein, die nicht wissen, wie sie sich bewegen sollen, wenn sie in die Welt hinausgehen.“
Diese Unterstützer sind jedoch stark genug, um sich von solchen Argumenten nicht beeindrucken zu lassen. Das Argument selbst deutet für sie an, dass gerade der Druck, der sie von ihrem Engagement abbringen soll, beweist, dass sowohl die Wahrheit als auch die Rettung des jüdischen Volkes gerade in ihrem Engagement wurzeln. So werden sie nicht nur die Unterstützung nicht verringern – mit Leib, Seele, Geld oder allen dreien davon –, sondern im Gegenteil: Sie werden sich von nun an mit noch größerer Energie dafür einsetzen.
Diese Entschlossenheit ihrerseits stärkt auch die Schüler selbst. Denn man kann sie fragen: „Auch deine Freunde erhalten eine jüdische Erziehung, aber ohne diese Art von Eifer und Genauigkeit. Warum ist es notwendig, dass ihr so eifrig bei der Einhaltung der Religion seid?“ Und sie können antworten: „Hier ist ein Geschäftsmann, dort ein wohlhabender Mensch, der unsere Ansicht teilt. Hier ist ein Rabbiner, der uns zustimmt, und auch ein älterer jüdischer Mann oder eine ältere jüdische Frau stehen an unserer Seite.“ Das ermutigt und stärkt sie, den Versuchungen zu widerstehen, die sie umgeben.
Alle Anerkennung gebührt denjenigen, die die Schüler unbeeindruckt von Hindernissen unterrichten und mit dieser besonderen Erziehungsmethode weitermachen; und auch denjenigen, die sich aktiv für die Bildung einsetzen, die nicht mit ihrer Seele, ihrem Körper und ihren finanziellen Mitteln sparen – sie geben alles, was sie können, und im Laufe der Zeit werden sie über ihre Fähigkeiten hinaus geben – nur um eine unversehrte Bildung im Geiste eines reinen Jirat Schamajim zu erhalten.
XVI. Man muss sich bemühen, „das Kind nach seiner Art zu erziehen“, ohne irgendwelche Kompromisse. Denn das ist die Botschaft, die uns Chanukka gelehrt hat: Sie wollten nicht einmal die vom Schulchan Aruch erlaubten Erleichterungen anwenden, sondern sie sagten: „Wir wollen ein Wunder, weil wir ein reines Heiligtum, eine reine Menora und reines Öl wollen.“ Das anschließende Erstrahlen des Lichts wird dann dementsprechend sein.
An Chanukka sorgte der Allmächtige dafür, dass all die verschiedenen Arten von Widersachern in die Hände derer fielen, „die sich mit Deiner Tora befassen.“15 Danach weihten sie das Heiligtum mit Lichtern, die bis heute für uns erstrahlen.16 Denn selbst wenn die Sonne untergeht und die Dunkelheit draußen immer mehr zunimmt, sind die jüdischen Häuser hell, immer heller,17 – das Licht nimmt jeden Abend zu.
Und so wie „Er in jenen Tagen Wunder für unsere Vorfahren tat“, so sind wir auch jetzt, „in dieser Zeit“18, zuversichtlich, dass wir bald in unseren eigenen Tagen die Herabkunft des reinen, in der Höhe erbauten Heiligtums zu uns verdienen werden.19 Es bleibt nur noch, hier einen angemessenen Platz vorzubereiten, wo es aufgestellt werden kann. Jüdische Jugendliche und „jüdische“ Juden mittleren und höheren Alters werden dann das Heiligtum und die Welt um sie herum mit einem Licht erleuchten, das nicht nur als Mizwa vorgeschrieben, sondern auch absolut rein und absolut heilig ist. Dies wiederum wird bewirken, dass die Schechina wahrhaft „unten“ wohnt, so dass diese Welt, die bisher grob oder zumindest materiell war, selbst zu einem Heiligtum für die G-ttliche Gegenwart wird.
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am dritten Tag von Chanukka 5714)
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