Rabbi Ezriel Chaikin diente in der Stadt Kopenhagen in Dänemark als Rabbiner. Er war allseits bekannt für seine Gelehrtheit und konnte mit seiner edlen Ausstrahlung als „Botschafter des Judentums“ zahlreiche Bekanntschaften schließen. In den sechziger Jahren verweilte er eine Zeit lang in New York (USA).

Der Lubawitscher Rebbe wies ihn an, seinen Wirkungsgrad außerhalb Dänemarks auszubreiten und Städte und Dörfer auf der gesamten skandinavischen Halbinsel aufzusuchen. Doch so schön Skandinavien mit seinen großartigen Landschaften, Vulkanen, Fjorden und Naturschauspielen auch anmutete, so armselig und spröde war die Situation in spiritueller Hinsicht: Das Land glich aus jüdischer Sicht einer Wüste. Hier und dort hatten sich eine oder zwei jüdische Familien niedergelassen, doch sie hatten keine Verbindung zu einer organisierten, jüdischen Gemeinde. Schon allein aus diesem Grund war die Assimilationsrate unter den höchsten weltweit.

Im Zuge seines ausgedehnten Wirkungsgrades gelangte Rabbi Chaikin eines Tages in ein kleines Dorf neben der Stadt Holden an der norwegisch-schwedischen Grenze. In dem Dorf wohnte eine jüdische Familie.

„Es war bereits spät abends“, erinnerte sich Rabbi Chaikin. „Ich war mir nicht sicher, ob ich zu solch einer späten Stunde überhaupt noch anklopfen sollte. Doch nach kurzem Zögern wurde mir bewusst, dass ich gar keine andere Wahl mehr hatte und klopfte an. Zu meiner Freude wurde ich wärmstens von dem jüdischen Ehepaar aufgenommen. Wir saßen gemeinsam um ihren Wohnzimmertisch herum und ich sprach über das Judentum und seine Bedeutung. Zu einem gewissen Zeitpunkt sprang die Frau plötzlich auf und verließ eilig den Raum. Der Mann wurde mit einem Mal ganz rot vor Aufregung. Er neigte sich zu mir und sagte: ‚Sie wissen gar nicht, was Sie mit Ihrem Besuch bewirkt haben! Sie haben die Intentionen meiner Frau, zum Christentum überzutreten, um mindestens zwanzig Jahre aufschieben können‘. Ich erschrak, als ich diese Worte hörte und bat um eine Erklärung“, erzählte Rabbi Chaikin. Der Mann holte etwas weiter aus und begann zu erklären, wie er und seine Gattin gleich nach Ende des zweiten Weltkrieges in das Dorf gekommen sind. „Wie waren schon damals die einzigen Juden im Dorf, während es sich bei den anderen Einwohnern um Christen handelte. Es gab faktisch keinen Unterschied zwischen unseren Lebensstilen, außer in einer Angelegenheit: Während sich das gesamte Dorf sonntags in der Kirche versammelte, blieben wir Zuhause. Oft war dieser Fakt ein unangenehmer Punkt bei Unterhaltungen mit Nachbarn und Bekannten. Sie versuchten sogar uns dazu zu überreden, unsere Sturheit abzulegen und einfach mit ihnen in die Kirche zu kommen. ‚Euer Judentum hat doch ohnehin keinerlei Bedeutung für Euch‘, sagten sie uns“, meinte der Mann. Als der Widerwille der Familie zu den Ohren des örtlichen Pfarrers drang, beschloss er, selbst tätig zu werden. Er begann, die Familie bei seinen Besuchen im Ort miteinzubeziehen und nach ihrem Wohlergehen zu sehen.

„Als der Pfarrer zuletzt zu Besuch kam, entwickelte sich eine angenehme und beinahe schon freundschaftliche Beziehung zwischen uns und dem Pfarrer“, erzählte der Mann. „Nach dem Besuch des Pfarrers begann meine Frau immer wieder laut über einen Übertritt zum Christentum nachzudenken: ‚Schau wie viele Jahre wir hier schon leben und noch nie hat sich irgendein Jude die Mühe gemacht, uns zu besuchen und nach unserem Wohlergehen zu fragen. Ganz im Gegensatz dazu nimmt sich der Pfarrer immer wieder die Zeit, uns besuchen zu kommen und uns seine Freundschaft zu beweisen‘, sagte sie beispielsweise. Sie begann immer mehr Druck auf mich auszuüben, bis auch ich fühlte, dass es eigentlich keinen Grund gab, von einem Übertritt abzusehen und damit unseren Stand innerhalb der Dorfgemeinde zu verbessern… Doch plötzlich kamen Sie, ehrenwerter Rabbiner, zu uns und erschienen uns wie ein Engel mit zwei Flügeln! Es grenzt beinahe an ein Wunder!“, meinte der Mann mit Tränen in den Augen.

„Mit einem Mal wurde mir die große Verantwortung bewusst, die ich auf meinen Schultern trug“, erzählte der Rabbi. „Ich blieb in steter Verbindung mit dem Ehepaar und versuchte, ihren Glauben an das Judentum wieder zu stärken. Ich bemühte mich darum, sie zum Hüten einiger Mitzwot zu bewegen und sie kamen dem Judentum schrittweise näher. Nach einiger Zeit beschlossen sie sogar, dass sie ihr Dorf verlassen und sich an einem Ort mit einer funktionierenden jüdischen Gemeinde niederlassen wollten. Sie bereuten ihren Umzug nie und kehrten damit voll und ganz wieder in den Kreis ihres Volkes zurück“.