Familie Beck, welche während des Zweiten Weltkrieges in Wien lebte, hatte den Holocaust heil überstanden. Nach dem Krieg wanderte die Familie nach Paris aus. Der Vater eröffnete ein koscheres Restaurant im jüdischen Viertel von Paris, und er führte es erfolgreich.

Eines Tages erschien ein Jude mit ehrenvollem Antlitz im Wirtshaus. Reb Getzel Beck kannte die Mitglieder der orthodoxen Gemeinde von Paris. Deshalb wusste er sofort, dass es sich nicht um einen einheimischen Mann handelte. Sein edles Antlitz hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. „Ich würde gerne wissen wer dieser Mann ist“, dachte Reb Beck, doch er wagte nicht, ihn nach seinem Namen zu fragen. Der Mann informierte sich bei Reb Getzel über die Kaschrut der Speisen. Danach bestellte er ein einfaches Mahl und setzte sich zu Tisch.

Am nächsten Tag kam der Gast wieder in das Restaurant und bestellte dasselbe Mahl. Am Tag darauf besuchte er ein drittes Mal die Gaststätte und bat abermals um das gleiche Menü. So verlief das mehrere Tage. Bei einem seiner Besuche kam er in Begleitung zweier älterer Rabbiner. An ihrem Verhalten sah man, dass sie dem Gast großen Respekt erteilten. Während der gesamten Mahlzeit wandten sie ihren Blick in keinem Moment von ihm ab. Diese Tatsache erweckte bei Reb Getzel noch größere Neugier. Wenn wohl so bedeutsame Rabbiner einem jungen Mann diese Bewunderung schenkten, handelte es sich wahrscheinlich um eine wirklich außergewöhnliche Persönlichkeit. Reb Beck besaß den starken Willen die Männer nach seiner Identität zu fragen, aber er fand nicht den richtigen Augenblick dazu.

Eines Tages, als der edle Mann sein Mahl beendete, wandte er sich zu Reb Beck, dankte ihm für die Bewirtung und sagte: „Morgen werde ich nicht mehr hier speisen. Ich verlasse die Stadt.“ Der verwunderte Reb Beck verstand nicht, wofür er ihm dankte. „Ihr habt schließlich für Eure Mahlzeiten bezahlt?“ Der Mann erwiderte: „In der Thora steht geschrieben: ,Verabscheue die Ägypter nicht‘ – und die Gelehrten erklären den Grund dafür: Ägypten diente uns in Zeiten der Hungernot als Unterkunft.“ Er fuhr in melodischem Ton fort: „Wenn die Thora uns gebietet, den Ägyptern gewisse Dankbarkeit zu zeigen, da wir bei ihnen Unterkunft fanden, obwohl sie uns versklavt haben – so ist es doch angemessen, dass ich mich für die angenehme Gastfreundschaft, welche ich hier genossen habe – obwohl gegen Bezahlung – bedanke.“ Rabbi Beck wollte sich beim Mann mit einem Chidusch (eine Thoralehre) aus den Werken des Chatam Sofer erkenntlich zeigen. Doch der Mann reagierte mit Verwunderung. Er kenne die Werke des Chatam Sofer gut, erinnerte sich aber nicht an eine solche Thoraauslegung. Reb Beck erstaunte diese Aussage sehr. Dieser junge Mann konnte von sich behaupten, die Werke des Chatam Sofer so gut zu kennen, dass er ihres Inhalts Herr war!? Andererseits aber war Rabbi Beck sich sicher, dass dieser Chidusch dort tatsächlich vorkommt. „Darf ich nach Eurem Namen fragen?“, wollte Reb Beck ungeduldig erfahren. „Was tut dies zur Sache?“, antwortete der Unbekannte. „Der Rebbe von Ruszin wurde einmal nach seiner Identität gefragt, und er erwiderte seinem Gesprächspartner: ,Derzeit ist dies nicht von Wichtigkeit. Wir werden uns in Zukunft noch begegnen – und dann wirst Du erfahren, wer ich bin‘. Dasselbe trifft auch bei uns zu“, sagte der Mann abschließend. „Wir werden uns noch begegnen – und dann werdet Ihr meine Identität erfahren...“

Es vergingen viele Jahre, und die Begegnung mit dem Unbekannten hatte Reb Beck schon lange vergessen. Achtzehn Jahre später, als er New York besuchte, erkrankte er an einer heftigen Lungenentzündung und wurde ins Spital in die Intensivstation eingeliefert. Die Ärzte sahen keine Hoffnung für ihn. Reb Becks Sohn wandte sich zu den großen Rabbinern New Yorks´ und bat diese für die Genesung seines Vaters zu beten. Am Tag danach wurde Rabbi Beck von einem Arzt, welcher ihn zuvor nicht behandelt hatte, besucht. Er empfahl ihm ein neues Medikament zu versuchen. Dieses erwies sich als Wundermittel, und binnen nur weniger Tage verbesserte sich sein Gesundheitszustand schlagartig. Als sich Reb Beck bei dem Doktor bedanken wollte, unterbrach ihn dieser und sagte: „Nicht mir müssen Sie danken, sondern dem Lubawitscher Rebben, der mich gebeten hat, Sie zu besuchen.“ Reb Beck war zutiefst berührt. Der Lubawitscher Rebbe bemühte sich einen Arzt zu jemandem zu schicken, welchen er weder persönlich kannte, noch einer seiner Chassidim ist. Sein Sohn bat ihn lediglich um seinen Segen! Darauf entschloss Reb Beck: „Ich muss persönlich zum Rebben gehen, um mich bei ihm zu bedanken.“

Durch den Sekretär des Rebben wurde für Rabbi Beck ein privates Gespräch mit dem Rebben arrangiert. Als Reb Beck ins Zimmer des Rebben trat, begrüßte ihn der Rebbe mit den Worten: „Sehen Sie, ich versprach Ihnen doch, dass wir uns wiedersehen...“

Im ersten Moment verstand Reb Beck nicht, was der Rebbe meinte. Da kam es ihm plötzlich ins Gedächtnis: Der Mann aus dem Gasthaus! „Ich muss mich entschuldigen, sagte der Rebbe weiter. „Ich habe alle Werke des „Chatam Sofers“ nachgeschlagen und fand tatsächlich in einem der Bücher Ihren Chidusch, von welchem Sie damals im Gasthaus erzählten.“