Es wird erzählt, daß jemand die Frau des Rebbe fragte, was sie von ihrem Mann hielt. «Eins kann ich dir sagen», antwortete sie, «mein Mann glaubt an G-tt.» Sie scherzte nicht. Nach dem Holocaust standen die Aktien G-ttes so niedrig wie noch nie. Selbst die überzeugtesten Gläubigen befanden sich in einem Konflikt. Und mitten in diesem Staub und dieser rauchenden Asche muhte eine neue Generation aufgezogen werden.

(Eigentlich weiß ich gar nicht, wer sich in einem gröberen Konflikt befand: Jene, die im Glauben erzogen wurden und den Holocaust miterlebten, oder jene, die mit dem Holocaust aufwuchsen, mit Zynismus und Materialismus, und die dann um den Glauben erst ringen mußten - ich denke an meine eigene Generation.)

Und doch stellte der Rebbe den Glauben der Juden wieder her, mehr als alles andere - durch seine Briefe, seine Ansprachen, sein Tun und einfach durch seine Existenz.

Der tiefe Glaube eines schlichten Geistes ist nicht sonderlich eindrucksvoll. Der schlichte Glaube eines tiefen Geistes jedoch um so mehr. Vielleicht hat der Mensch mit schlichtem Geist einfach noch nicht die richtigen Fragen gestellt. Vielleicht ist der Glaube bequem für ihn. Vielleicht fragt er sich voller Angst, was seine Frau tun konnte, wenn er eines Tages nach Hause käme und verkündete, daß er nicht Iänger glaubt.

Ein wirklich grober Geist wird von solchen Überlegungen nicht berührt. Nichts zwingt ihn zu glauben. Er glaubt, weil das die Wahrheit ist. Und da sein Glaube nicht auf Selbstsucht, sondern auf einer Wahrheit beruht, die über das Ich hinausgeht, ist er absolut und unerschütterlich und durchdringt jedes Detail des Lebens. Ein solcher Glaube ist übrigens sehr ansteckend.

Du schreibst mir, daß du dir Sorgen machst, weil du nicht glaubst. Wenn du nicht glaubst, warum sollte dir das dann Sorgen machen?


Wenn G-tt nur ein bißchen klüger wäre als ich, dann wäre Er nicht mein G-tt.


Es gibt vorrationalen Glauben, den Glauben an ein Dogma. Dann gibt es überrationalen Glauben, das intuitive Wissen, das Bewußtsein von einer höheren Wirklichkeit, den Abglanz des Unendlichen im begrenzten menschlichen Wesen.

Unsere Aufgabe besteht nicht darin, Glauben zu haben. Wir haben schon Glauben, ob wir wollen oder nicht. Er ist in unserem Blut; wir erbten ihn von unseren Ahnen, die ihr Leben dafür hingaben. Unsere Aufgabe besteht darin, die höhere Vision, die ihnen Glauben gab, in unseren Geist zu bringen, in unsere Persönlichkeit, in unsere Worte, in unser tägliches Tun. Wir sollten sie zu einem Teil unser selbst und unserer Welt machen.


Der Intellekt verkrüppelt bei seinem Versuch, sich dem G-ttlichen zu nähern. Schließlich sind Logik und die Kriterien, nach denen etwas Sinn macht und anderes nicht, selbst auch nicht mehr als eine Schöpfung, eine Laune des Höchsten Schöpfers, der immer und vollkommen jenseits des Verstandes ist.

Um sich Dem zu nähern, Der den Verstand geschaffen hat, bedarf es eines Sinnes jenseits des Intellekts. Wir nennen diesen Sinn „emuna“, was manche als «Glauben» übersetzen.


Es ist offensichtlich, daß es Dinge gibt, die wir nicht verstehen. Wie könnte der begrenzte Intellekt eines ja doch subjektiven sterblichen Wesens, das in den Grenzen von Zeit und Raum gefangen ist, die unbegrenzte, unendliche und ewige Weisheit des Schöpfers ausloten?

Das große Wunder ist, daß es überhaupt Dinge gibt, die wir verstehen können.


Alles, was wir für G-ttes Willen halten, ist möglicherweise nicht Sein wahrer Wille. Der begrenzte Geist kann noch nicht einmal die ersten Stufen der unbegrenzten Weisheit ergründen.

Das letzte Wissen besteht darin, daß wir nicht wissen.


Es stimmt, daß G-tt alles weiß, bevor es geschieht. Und noch mehr als das. Es ist Sein Wissen, das alle Ereignisse hervorbringt.

Und doch haben wir einen freien Willen.

Du meinst, daß das unlogisch sei? Ich frage dich: Ist denn das Wissen vom Sein, bevor es ein Sein gibt, logischer?

Wenn wir über die Quelle allen Seins sprechen, gelten die Prinzipien der Logik nicht mehr. Wir verstehen überhaupt nichts, weil es kein Verstehen gibt.


Wenn ich verstehen könnte, wenn ich beobachten und empirische Schlußfolgerungen ziehen könnte, bräuchte ich keinen Glauben. Die Macht des Glaubens drückt sich darin aus, daß sie über die Grenzen unseres begrenzten Geistes hinausgeht.


Bilde dir nicht ein, daß du dem Glauben entkommst. Jede Wissenschaft, jedes logische Gebäude, hat Axiome. Der Verstand kann keinen Schritt vorangehen, ohne eine Annahme zugrunde zu legen, auf die er sich stützt.


Nehmen wir an, du siehst eine wunderbare Maschine mit Hunderttausenden von Teilen, die alle auf spektakuläre Weise in Übereinstimmung und Harmonie miteinander arbeiten, weit jenseits dessen, was der menschliche Geist je ersinnen könnte. Und du untersuchst dann die Maschine in allen Einzelheiten und stellst fest, daß dir einige Aspekte der Maschinerie Rätsel aufgeben. Würdest du dich beim Erfinder beschweren? Oder würdest du voller Ehrfurcht um bessere Einsicht bitten? Bei G-tt aber meinen wir, uns beschweren zu dürfen!


Der Rebbe sprach über das Leiden in der Welt, und als er zu den folgenden Worten kam, schnürte es ihm die Kehle zu, und er begann zu schluchzen:

Wenn Er wirklich alles kann, warum kann Er dann nicht das Gute ohne das Böse schaffen? Und wenn seine Thora die Antworten auf alle Fragen enthält, warum beantwortet sie dann nicht diese Frage? Es kann nur eine Antwort geben: Er möchte nicht, daß wir das wissen, denn wenn wir es wüßten, würden wir zufrieden und selbstgerecht.


Elie Wiesel (der Friedensnobelpreisträger) fragte den Rebbe, «Wie kannst du nach dem Holocaust an G-tt glauben?» Der Rebbe fragte Elie Wiesel zurück: «Wie kannst du nach dem Holocaust nicht an G-tt glauben?»

Wie ich kürzlich hörte, glaubt Elie Wiesel jetzt an G-tt.


Abraham, unser aller Stammvater, stellte G-ttes Gerechtigkeit in Frage. Auch Moses tat das. Auch Rabbi Akiba. Viele erleuchtete Seelen haben das getan. Du bist nicht der erste. Doch es gab zwei Wege, dies zu tun: Jene, die verstehen wollten, erlangten Einsicht - ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit angesichts der Begegnung mit einer Wirklichkeit, die weit jenseits unseres winzigen Geistes ist. Jene, die fragten, aber nichts lernen wollten, erhielten auch nichts.


Du fragst mich: «Warum hat G-tt das zugelassen?»

Du erkennst, daß alles in dieser Welt Sinn und Zweck hat. Untersuche irgendeinen Aspekt Seiner riesigen Schöpfung, vom kosmischen All bis zum Atom, und du wirst feststellen, daß es einen Plan geben muß. Und du fragst nun: Wo soll das (der Holocaust) in diesen Plan hineinpassen? Wie könnte es das?

Ich kann nur schlicht antworten: G-tt allein weiß das.

Und was ich nicht erkennen kann, muß ich nicht wissen.

Ich muß das nicht wissen, um das zu erfüllen, weswegen mich mein Schöpfer geschaffen hat. Und das besteht darin, die Welt so zu verändern, daß sich so etwas nie wieder ereignen kann.


Wenn deine Überzeugungen darauf basieren, was dir sinnvoll erscheint, was dich am meisten erfreut und was am ehesten deinem eigenen ich-bestimmten Lebenskonzept entspricht - dann wirst du zweifellos intellektuelle Zweifel furchten. Bestenfalls ist deine Haltung subjektiv und bestechlich.

Wenn dein Glaube jedoch nicht auf dem subjektiven Ich beruht, sondern die innere Wirklichkeit deiner Seele darstellt, eine Wahrheit, mit der sie unauflöslich verbunden ist, dann hast du keine Angst, mit dem Verstand nachzuforschen. Es gibt keine Sorge davor, unrecht zu haben, sondern nur die Sicherheit, mehr zu lernen und mehr zu verstehen.


Viele Menschen haben am Ende zwei G-tter, ohne daß sie es bemerken: Ein G-tt ist eine unpersönliche, alles umfassende, transzendente Kraft. In Notzeiten rufen sie jedoch nach einem anderen, einem persönlichen G-tt, zu dem sie eine persönliche Beziehung haben.

In unserem Glauben geht es vor allem darum, zu erkennen und zu wissen, daß diese beiden Einer sind: Der G-tt, der jenseits aller Dinge steht, ist derselbe, der deine Rufe hört und deine Tränen zählt. Der G-tt, der die Macht hinter allem Sein ist und doch auch über alle Existenz hinausgeht, ist derselbe G-tt, der sich darum kümmert, was du in deiner Küche kochst und wie du deinen Nächsten behandelst. G-tt kann nicht definiert werden, noch nicht einmal als transzendent. Er ist jenseits aller Dinge und gleichzeitig in ihnen allen.


Glaube ist nicht das Ergebnis früherer Erfahrung. Im Gegenteil: Glaube ist ein Akt, der von innen kommt und Erfahrung erst schafft. Dinge geschehen, weil du darauf vertraust, daß sie sich ereignen.


Glaube allein reicht nicht aus - du brauchst Vertrauen. Ein Gläubiger kann ein Dieb und ein Mörder sein. Vertrauen auf G-tt ändert deine Lebensweise.


Weißt du, warum amerikanisches Geld so erfolgreich ist? Weil auf den Geldscheinen «Wir vertrauen auf G-tt» steht («In God We Trust»). Nicht nur «glauben», sondern «vertrauen».


Judaismus «funktioniert». Wir haben 3300 Jahre Geschichte hinter uns, in denen das unter jeder denkbaren Bedingung geprüft und bewiesen worden ist. Wie und warum er funktioniert, ist nicht so wichtig. Gibt es irgendjemanden, der sich weigert zu essen, bevor er nicht die Funktionsweise des Verdauungstraktes erforscht hat?


Im Leben bestehen wir fast nie auf hundertprozentige Garantien. Wir vertrauen darauf, daß der Zahnarzt ein Zahnarzt ist, der Taxifahrer ein Taxifahrer, der Pilot ein Pilot usw., und wir legen unser Leben in ihre Hände - auf der Basis dürftiger, stillschweigend akzeptierter Anhaltspunkte. Wenn es jedoch um eine einfache gute Tat geht, verlangen die Menschen nach einem hundertprozentigen Beweis dafür, daß G-tt wirklich will, daß sie diese Tat ausführen!