Ich würde mich als chassidische Feministin bezeichnen. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich scheinen, und tatsächlich besteht zwischen den zwei Worten ein gewisses Spannungsfeld, aber kein Widerspruch in sich. Das wichtigste Merkmal meiner Identität, der Ausdruck, der mich am umfassendsten beschreibt, ist “chassidisch”.

Ich stamme aus einer Lubawitscher Familie und bei uns zu Hause wurden weder die intellektuellen noch irgendwelche andere Fähigkeiten der Frauen je in Frage gestellt. Um mich herum hatte ich genügend starke, charaktervolle und intelligenten Frauen als Rollenmodelle.

Dies ist nicht zuletzt auf unser chassidisches Erbe zurückzuführen. Der chassidische Zugang zum Judentum, und insbesondere jener von Chabad-Lubawitsch, brachte bis zu einem gewissen Grad Gleichberechtigung mit sich und verbesserte den Status der Frau im jüdischen Leben, was sich im Laufe der Generationen noch verstärkte, als die Frauen eine immer wichtigere und exponiertere Rolle übernahmen.

Über die Frauen in meiner Familie konnte sich niemand hinwegsetzen, und bald wurde mir klar, dass man sie besser nicht unterschätzte.

Ich hatte als Kind und Heranwachsende nie das Gefühl, dass mir Sachen vorenthalten wurden, ausser vielleicht die Aktivitäten in Schul wie Männer sie geniessen. Das mochte zwar oft unfair erscheinen, aber irgendwie war mir klar, dass es einfach so war.

Als ich älter wurde, begann ich, mein Frau-Sein zu geniessen. Meine Weiblichkeit war nicht einfach ein Faktor unter anderen, sondern ein einzigartiger Bestandteil meiner Persönlichkeit wie ich sie mir wünschte und wie ich sie ausdrücken wollte.

Natürlich gab es immer wieder Dinge, die ich gerne gemacht hätte. Aber ich lebte in einer Welt mit absoluten Werten, der Welt der Tora. Diese Welt liebte ich und ich wusste, dass es eine Welt der Wahrheit war. Wenn also Frauen in einer Welt mit absoluten Werten gewisse Dinge zu unterlassen hatten ... so unterliess ich sie, auch wenn ich Lust gehabt hätte, sie zu tun.

Übrigens waren diese Dinge auch nie von überragender Wichtigkeit. Viel wichtiger war, dass das Leben im jüdischen und chassidischen Umfeld mir Freude und Erfüllung schenkte, weil ich wusste, wer ich war, und was der Zweck und das Ziel meines Lebens waren.

Trotzdem gibt es nach wie vor Themen, die in diesem Zeitalter kurz vor der Erlösung noch nicht geklärt sind. Manchmal zieht mich feministische Polemik trotz allem an, immer wieder höre ich Argumente, die mich überzeugen. Ich weiss aber, dass letztlich, nach allen Diskussionen, Argumenten und Gegenargumenten, die Seele angesprochen werden muss.

Irgendwoher muss die Fähigkeit kommen, über den Tellerrand der eigenen Person hinauszuschauen und an das Ganze zu denken: das Judentum. Und diese Fähigkeit habe ich in der Chassidut gefunden.

Jedesmal wenn ich einen Stich im Herz fühle, stelle ich mir ein paar einfache, existentielle Fragen: Warum gibt es mich? Die Antwort der Chassidut lautet: um diese Welt in eine Wohnstätte für G-tt zu verwandeln, eine Stätte der Heiligkeit und Geistigkeit. Die Mizwot, wie die Halacha sie vorschreibt, das Gesetz der Tora, sind nur ein Mittel zu diesem Zweck.

In Schir HaSchirim, dem Hohelied, finden wir dazu eine Erklärung, die mich ganz besonders angesprochen hat. Im Hohelied geht es um die Liebe zwischen Mann und Frau, als Metapher für das Verhältnis zwischen G-tt und dem jüdischen Volk.

Der Text ist überwältigend ausdrucksstark und bildlich, man spürt aus ihm das Feuer der Liebe. Man sieht lebhaft, wie Mann und Frau miteindander verschmelzen, wie ihre Körper sich verweben und Eins werden: Sexualität als Verbindungselement zwischen Körper und Seele.

Die Beziehung G-tt/Juden soll nicht platonisch sein. Sie erfordert nichts weniger, als Körper und Seele zu verschmelzen, und dies geschieht durch die Tat.

Eine Mizwa ist die Verwirklichung von Geistlichkeit in der physischen Welt. Nur durch sie kann der Mensch das G-ttliche in sich aufnehmen. Auf dieser Ebene kann man Einheit, Einssein nicht über Gefühle oder verzückte Ausrufe erreichen, mögen sie auch aus dem innersten des Herzens kommen. Es müssen Taten her.

Wenn wir die Metapher männlich/weiblich noch etwas weiter ziehen, so sehen wir, dass der Zeugungsakt dadurch zustande kommt, dass ein Partner – die Frau – den anderen in sich aufnimmt. Durch ihr Verschmelzen, durch das Hinauswachsen über ihr Selbst können die zwei Partner eine dritte, neue Realität schöpfen.

Unsere Aufgabe als Juden ist es, uns zu öffnen. In unserer Beziehung zu G-tt müssen wir alle, sowohl Männer als auch Frauen, danach streben, uns von unserem übermächtigen Ego zu reinigen und Raum und Empfänglichkeit zu schaffen, um G-tt in uns aufzunehmen.

Nur wenn wir über unser Ego hinauswachsen und das Verschmelzen mit G-tt, zu den Bedingungen, die Er uns vorgibt, zulassen, besteht die Möglichkeit, diese Beziehung fortzupflanzen und sie in die Ewigkeit einzuschreiben.

Wenn ich diesen Gedanken nun auf mich beziehe, so kann ich es nicht zulassen, dass irgend etwas – sei es jetzt die Mode der Zeit oder ein raffiniertes Argument oder meine eigenen Wünsche – mich daran hindern, diese Tat, die Mizwa im Sinne der Halacha, umzusetzen.

Und wenn ich in mir fühle, was Steinsaltz “das Streben des Geistes” nennt, so ist es an mir, richtig damit umzugehen.

Denn wenn ich eine Beziehung mit G-tt möchte, die mich mit der Ewigkeit verbindet, muss ich in mir selbst Platz schaffen für G-tt, sogar wenn dies bedeutet, das “Ich”, das mir dabei im Wege steht, zu leugnen.

In diesem Zusammenhang sehe ich ein Bild vor mir. Vor ein paar Monaten trat ich am Freitag Morgen in die Küche meiner Grosseltern, und ich wohnte einer Szene bei, die für sie einfach “Alltag” war, für mich aber eine Offenbarung.

In einer Ecke der Küche sass mein Grossvater mit angelegten Tefillin. Auf der anderen Seite trennte meine Grossmutter gerade die “Challa” vom Teig (den mein Grossvater für sie geknetet hatte, damit sie diese besondere Mizwa erfüllen konnte). Er sagte Schma Israel, sie die Bracha über das Absondern der Challa.

Beide beteten gleich inbrünstig. Beide kommunizierten mit ihrem G-tt, ohne auch nur eine Sekunde über Rollenverteilung nachzudenken. Sie waren im Kontakt mit dem g-ttlichen, einem Bereich, der über derartigen Unterscheidungen steht.

Im Prinzip verkörpern mein Leben und das Leben meiner Grossmutter dieselben Werte, es gibt aber einen wichtigen Unterschied.

Meine Grossmutter wuchs zu einer Zeit auf, als die Rolle der Frau nicht in Frage gestellt wurde. Das Leben war damals wesentlich einfacher als heute. Das wichtigste Kriterium für Entscheidungen war die Notwendigkeit, und nicht die persönliche Präferenz. Ich hingegen lebe in der chaotischen, sich ständig verändernden Welt des 21. Jahrhunderts.

Meine Grossmutter ist stark und rein. Ihr Blick ist authentisch und unverfälscht. Sie verfügt über das, was ich als Klarheit bezeichnen würde, während ich ständig Spannungen unterworfen bin. Mein Blick wird oft durch mein Ego getrübt.

Auch ich empfinde und fühle dasselbe wie sie, aber nicht intuitiv. Ich muss also meinen Intellekt beanspruchen, um meine Kraft und Inspiration in einem tieferen Verständnis der Tora zu suchen. Ich muss lernen, um das zu erfahren, was meine Grossmutter aus ihrem Innersten heraus weiss.

Die Brille des Chassidismus gibt mir eine Sicht auf die Welt in der wir leben, auf den Wandel, dem wir unterworfen sind. Die jüdische Mystik erklärt dieses Phänomen damit, dass mit Kommen des Messias die weiblichen Kräfte in der Welt vorherrschen werden. Die Schechina (die weibliche Dimension des g-ttlichen) wird offensichtlich werden, und die weiblichen Attribute werden die wichtigsten Übertragungswege für G-ttlichkeit in dieser Welt werden. Ich habe das Gefühl, dass die Frauenbewegung wie wir sie heute kennen diese geistige Realität widerspiegelt.

Ich bin der feministischen Bewegung dankbar für alle positiven Veränderungen, die sie den Frauen gebracht hat. Sie hat der weiblichen Hälfte der Gesellschaft gleiche Chancen, gerechte Entlöhnung und mehr Respekt verschafft. So wie ich es sehe, hat die Frauenbewegung der Gesellschaft als Ganzes geholfen, den Stand der chassidischen Welt zu erreichen.

Der Feminismus von heute wurzelt stärker in der weiblichen Identität als früher. Eine neue Generation von Frauen erkennt wieviel Freude und Erfüllung das Muttersein bringen kann. Es entsteht das Bewusstsein, dass wir Frauen tatsächlich anders sind, biologisch, psychologisch, intellektuell, spirituell und auch sonst in jeder Hinsicht.

Wir müssen jetzt nur noch einsehen, dass wir in keiner Hinsicht gezwungen sind, unsere einzigartige Identität einzuschränken, wenn wir uns Anerkennung und Respekt verschaffen wollen.