Im Jahr 1831, dem Jahr des polnischen Aufstandes, organisierten polnische Patrioten eine Rebellion gegen ihre russischen Unterdrücker. In einer Kleinstadt bei Kowno lebte ein jüdischer Gastwirt namens Josef. Er war als ehrlicher, g-ttesfürchtiger Jude bekannt, und polnische Adlige besuchten ihn oft, um gut zu essen und guten Wein zu trinken.

Eines Freitags, am Spätnachmittag, rückte ein russischer General mit seinen Truppen in der Stadt ein. Er hatte vom guten Ruf eines jüdischen Gastwirts gehört und schickte seinen Adjutanten zu ihm. Der fand das Lokal, aber es war geschlossen, denn die Sonne war schon untergegangen. Der Mann ging zum Privateingang und klopfte. Der Wirt öffnete in seinen Schabbatkleidern und hieß den Gast willkommen. „Der General hat mich geschickt, um etwas von deinem besten Wein zu kaufen“, sagte der Soldat und kramte eine Rolle Banknoten hervor. „Es tut mir wirklich Leid“, erwiderte Josef. „Wir feiern jetzt den Schabbat. An diesem heiligen Tag mache ich keine Geschäfte.“ Der Adjutant konnte den frommen Juden nicht umstimmen und kehrte mit leeren Händen zum General zurück.

Der General wurde wütend und schickte zwei Soldaten zu dem Wirt. Sie befahlen ihm, sofort Wein zu verkaufen. Einige Zeit später kehrten die Soldaten zu dem durstigen General zurück – ohne Wein. „Warum habt ihr keinen Wein gebracht?“, brüllte der General. „Der Jude sagte, er könne am Schabbat keinen Wein verkaufen. Aber er hat uns den Schlüssel zu seinem Weinkeller gegeben und den Herrn General eingeladen, sein Gast zu sein“, berichteten die Soldaten. „Was für ein verrückter Kerl!“, dachte der General. „Er will mir wegen seines Schabbats nicht einmal eine Flasche Wein verkaufen, aber er ist bereit, mir den ganzen Wein zu schenken.“ Er beschloss, diesen Juden zu besuchen.

Als er in Josefs Haus trat, war die Schabbat-Atmosphäre unverkennbar. Der Tisch war mit schmackhaften Gerichten bedeckt, und Kerzen leuchteten hell. Josef und seine Familie trugen ihre Schabbat-Kleider, und ihre Gesichter strahlten vor Freude. Das jüdische Haus und seine Bewohner sahen aus, als wollten sie einen königlichen Gast bewirten. Und vielleicht stimmte das auch, denn nach jüdischer Lehre ist der Schabbat die „Schabbat-Königin“. Der General, der ins Haus geplatzt war, um dem Juden eine Lektion zu erteilen, spürte, wie sein Zorn abflaute, und er fragte Josef höflich, warum er ihm keinen Wein verkaufe. „Weißt du nicht, dass die Weigerung, der Armee in Kriegszeiten Proviant zu verkaufen, einer Rebellion gleichkommt?“

„Hoheit“, sagte Josef, „die Einhaltung des Schabbats ist eines der Zehn Gebote, die G-tt uns gegeben hat, der größte aller Könige. Seine Gebote gehen allen Geboten menschlicher Könige und Fürsten vor. Aber es wäre uns eine große Ehre, wenn Sie unser Schabbat-Gast sein würden.“

Der General nahm das Angebot an und war sehr beeindruckt von Josef und seiner Familie. Am Ende eines wundervollen Abends schüttelte er seinem Gastgeber herzlich die Hand und verabschiedete sich in froher Stimmung. Mehrere Jahre später wurde Josef fälschlich beschuldigt, am Aufstand der Polen gegen die Russen beteiligt zu sein. Er wurde verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Eines Tages, als Josef im Kerker Psalmen rezitierte, öffnete sich die Tür, und ein hoher Beamter erschien. Er war der Aufseher über alle Gefängnisse und befand sich auf einer Routineinspektion. Als er in Josefs Zelle trat, schaute er ihn an und rief: „Na, wenn das nicht mein guter Freund Josef, der Gastwirt ist! Du liebe Güte, was machst du hier?“

Josef schaute erstaunt auf und erkannte, dass der Inspektor niemand anders als der General war, den er an jenem Freitagabend so lange bewirtet hatte! Der General, jetzt Oberinspektor, bürgte für die Unschuld des jüdischen Wirtes und versicherte der Untersuchungskommission, er habe nichts mit der Verschwörung zu tun.

„Wie ist es zu diesem Wunder gekommen?“, fragte seine Frau erstaunt und entzückt.

„Die Königin hat mir geholfen“, sagte Josef.

„Welche Königin?“, fragte die Frau.

„Die Schabbat-Königin, natürlich“, antwortete Josef.