Der 20. Siwan ist der Jahrestag des Martyriums der Juden von Blois, die vor 800 Jahren die ersten Opfer der Ritualmord-Beschuldigung in Frankreich waren.
Blois ist eine Stadt in Frankreich, die am Fluss Loire gelegen ist, unweit von Orleans. Es ist keine große Stadt (gegenwärtig leben etwa 25.000 Menschen in ihr), aber sie besitzt die „Auszeichnung“, dass sie eine der sehr wenigen Städte in Frankreich ist, oder in dieser Hinsicht in ganz Europa, die in den letzten 800 Jahren keine jüdische Gemeinde hatte. Juden scheuten diesen furchtbaren Ort, an dem die jüdische Gemeinde, als Folge einer falschen Ritualmord-Anschuldigung, im Jahre 1171 so grausam zerstört wurde.
Die falschen Beschuldigungen gegen die Juden wurden von ihren Feinden oftmals als Vorwand erhoben, damit diese die Juden töten und berauben konnten. Aber keine war so schlimm, wie die Beschuldigung, dass Juden christliches Blut für ihre Mazzot benötigen. Die erste derartige Anschuldigung wurde in Norwich, England, im Jahre 1144 erhoben. Sie wurde in verschiedenen anderen britischen Städten in späteren Jahren wiederholt. Von dort verbreitete sie sich über das ganze europäische Festland, wo die Blutbeschuldigung die erste von vielen war, bis hin zur letzten (der Fall Beilis, im Jahre 1911), in praktische allen christlichen Ländern.
Die bösartige Verleumdung kostete hunderten, vielleicht sogar tausenden von unschuldigen jüdischen Männern, Frauen und Kindern das Leben. Der Hass unter den Christen gegen die Juden war einer der Hauptgründe für das jüdische Leiden und die Verfolgungen in den christlichen Ländern über die Jahrhunderte hinweg.
Die Verbrennung von über dreißig Juden (anderen Quellen entsprechend vierzig), Männern und Frauen, in Blois wurde durch Rabbi Ephraim von Bonn, einem großen talmudischen Gelehrten (er war einer der Tosafisten) und Pajtan (religiöser Poet), der zu dieser Zeit lebte, dokumentiert. Rabbi Ephraim ben Jaakow (geboren im Jahr 1132 und gestorben um das Jahr 1200) wurde ebenfalls Zeuge der furchtbaren Massaker, welche die Kreuzzügler gegen die Juden verübten. Er zeichnete all die Tragödien und den Heldenmut der Märtyrer auf, und verfasste Gebete und Klagen in ihrem Gedenken. Der folgende Bericht von den Märtyrern von Blois ist seinem historischen Werk entnommen.
Es ereignete sich im Jahre 4931 (1171). Zu dieser Zeit lebten in Blois über vierzig Juden. Einer von ihnen, Isaak ben Eleasar, ritt an einem Donnerstagabend, kurz vor Pessach, zum Fluss. Es ereignete sich, dass ein Stallbursche zur gleichen Zeit zum Wasser ritt, um das Pferd seines Herren zu tränken. Der Jude trug auf seiner Brust ein ungegerbtes Fell, aber eine der Ecken hatte sich gelöst und ragte von dem Mantel hervor. Als das Pferd des Dieners in der Dunkelheit die weiße Seite des Fells sah, erschrak es und sprang zurück, und konnte nicht zum Wasser gebracht werden.
Der christliche Diener war ein einfacher Bauer, welcher oft in der Kirche gehört hatte, dass Juden christliches Blut für ihre Mazzot und ihren Wein zu Pessach nutzten, er warnte seine „Herde“ während der Pessach-Zeit ein wachsames Auge auf ihre Kinder zu haben. Als nun sein Pferd zurückschreckte, eilte er zu seinem Herren zurück und sagte: „Höre, mein Herr, was ein bestimmter Jude getan hat. Als ich hinter ihm in Richtung Fluss ritt, sah ich ihn ein kleines christliches Kind, welches die Juden getötet hatten, ins Wasser werfen. Als ich dies sah, war ich entsetzt und eilte schnell zurück, da ich fürchtete, dass er mich auch töten würde. Auch das Pferd unter mir war durch das Spritzen des Wassers, als er das Kind hineinwarf, so schockiert, dass es nicht trinken wollte!“
Der Diener wusste, dass sein Herr sich über das Unglück der Juden freuen würde, weil er eine bestimmte Jüdin hasste, welche in der Stadt einflussreich war. So war es nicht verwunderlich als sein Herr sagte, „Nun kann ich an dieser Frau und dem Rest der Juden Rache nehmen.“
Am nächsten Morgen ritt der Herr zu dem Herrscher der Stadt, Theobald, Sohn von Theobald, Graf von Blois (Schwiegersohn von König Louis VII. von Frankreich). Die Christen nannten ihn „den Guten“, aber er war ein bösartiger und grausamer Mann.
Als der Herrscher die Anschuldigung vernahm, wurde er wütend und ließ alle Juden von Blois ergreifen und ins Gefängnis werfen, wo sie alle in eiserne Ketten gelegt wurden. Die einzige Ausnahme war die einflussreiche jüdische Dame, Madame Pulcelina, die für ihre Weisheit und ihre Schönheit berühmt war. Es war ihr oft möglich Vergünstigungen für die jüdischen Händler von Blois vom Herrscher zu erlangen. Aber nun gab die Ehefrau des Grafen (Alix, die Tochter des Königs) strikte Anweisungen an die Diener, dass sie nicht mit ihrem Ehemann sprechen durfte, da sie befürchtete, dass er seine Meinung ändern würde.
Der Herrscher hatte keinen Beweis gegen die Juden, außer den einfältigen Stallburschen. Der Graf war bereit mit den Juden einen Handel abzuschließen, und sie für eine große Summe Lösegeld freizulassen. Er sandte einen Juden zu den benachbarten Gemeinden und fragte sie, wie viel sie für die Freilassung ihrer Brüder zahlen würden. Die Juden berieten sich mit den inhaftierten Geiseln, und die letzte Offerte betrug nur einhundert Pfund, zuzüglich der unzähligen Schulden von christlichen Schuldnern in Höhe von einhundertacht Pfund. Die Juden im Verlies sagten ihren Brüdern in den anderen Gemeinden, dass sie das hohe Lösegeld für ihre Leben nicht zahlen sollten, damit dies nicht dazu führe, dass Christen es als profitabel ansehen würden, Juden für Lösegeld zu inhaftieren.
Es kam nicht zu Verhandlungen, weil der Bischof in dem Ort eintraf und darauf bestand, dass die Juden zum Tode verurteilt werden, und dass er ihre Schuld „beweisen“ würde.
Der Priester riet dem Grafen den Zeugen durch die Wassertortur zu prüfen, um zu entdecken, ob er die Wahrheit sagte. Die Prüfung wurde wie folgt arrangiert: Ein großer Tank wurde mit Wasser gefüllt, und der Diener, der „sah“, dass der Jude das Kind in den Fluss geworfen hatte, hatte den Behälter zu besteigen, wenn er schwimmen würde, wären seine Worte wahr; wenn er untergehen würde, hätte er gelogen.
Der Graf von Blois befahl, dass die Prüfung umgehend durchgeführt werden sollte. Nun hatte der Priester es zum Vorteil des Dieners so arrangiert, so dass dieser nicht unter gehen sollte. Dies war die Justiz in jenen Tagen. Die Juden wurden, auf der Basis der Wasserprüfung für schuldig befunden und dazu verurteilt, lebendig verbrannt zu werden.
Auf das Geheiß des bösartigen Herrschers hin wurden die Juden in ein hölzernes Haus gebracht, daneben wurden Dornenbüsche und Reisigbündel angehäuft. Dabei wurde ihnen gesagt, „Ihr könnt eure Leben retten, wenn ihr eure Religion verlasst und unsere Religion annehmen werdet.“ Die Juden lehnten dieses ab. Sie wurden geschlagen und gequält, damit sie die christliche Religion annehmen würden, aber sie lehnten es immer noch ab. Sie ermutigten sich gegenseitig standhaft zu bleiben und für die Heiligung des G-ttlichen Namens zu sterben.
Auf das Geheiß des Grafen hin wurden zwei führende Juden, beides Kohanim, Rabbi Jechiel, der Sohn von Rabbi David HaKohen, und Rabbi Jekutiel, der Sohn von Rabbi Juda HaKohen, ergriffen und vor den anderen an einen einzelnen Pfahl gebunden, damit dies die anderen dazu führen würde zu konvertieren. Sie waren beide heilige und demütige Menschen mit großem Tora-Wissen, Schüler von Rabbeinu Tam und Rabbeinu Schmuel ben Me’ir, dem Enkel von Raschi. Ein dritter prominenter Jude, Rabbi Juda, der Sohn von Rabbi Aaron, wurde ebenfalls mit ihnen an den Pfahl gebunden.
Auf Befehl des Herrschers hin wurden die Reisigbündel entzündet. Das Feuer verbrannte die Fesseln an ihren Händen, so dass sie sich lösten. Die drei Juden entkamen dem Feuer riefen den Christen entgegen, welche sich versammelt hatten, um sie sterben zu sehen: „Euren Gesetzen gemäß solltet ihr uns frei lassen, da ihr gesehen habt, dass wir dem Feuertod lebend entkommen sind!“ Sie kämpften darum freizukommen, wurden aber übermannt und zurück in das Haus gestoßen, und das Haus wurde in Brand gesetzt. Sie entkamen wieder und ergriffen einen der Scharfrichter und zogen ihn mit sich ins Feuer. Als sie im Feuer waren, rückten bewaffnete Soldaten vor und retteten den Christen aus ihren Händen, töteten sie mit ihren Schwertern und warfen ihre Körper in das Feuer.
Ein Jude, namens Rabbi Baruch ben David HaKohen, war dort und sah all dieses zu dieser Zeit mit seinen eigenen Augen. Er lebte im Territorium dieses Herrschers und war gekommen die Einzelheiten für die Freilassung der Juden von Blois auszuhandeln, aber unglücklicherweise war er nicht erfolgreich. Eine Vereinbarung wurde durch ihn getroffen, um die anderen Juden des Herrschers für tausend Pfund zu retten. Er rettete ebenfalls die Tora-Rollen und andere heilige Bücher.
Diese furchtbare Gräueltat ereignete sich am Mittwoch, den 20. Siwan, im Jahre 4931 (26. Mai 1171). All die Fakten wurden durch die Juden von Orleans niedergeschrieben, eine Stadt nahe der der Märtyrer, und wurden Rabbeinu Jaakow ben Me’ir bekannt, Raschis Enkel und der größte Rabbiner seiner Zeit.
In diesem Brief wurde ebenfalls berichtet, dass, als die Flammen in die Höhe schlugen, die Märtyrer einstimmig eine Melodie zu singen begannen, die sanft begann, aber mit ganzer Kraft endete. Die Christen kamen und fragten uns, 'Was für eine Art von Lied ist dies, wir haben nie eine derart liebliche Melodie gehört?' Wir kannten es gut, denn es war die Hymne Aleinu – „An uns ist es, den H-rrn von allem zu preisen, … dass er uns nicht geschaffen hat wie die Völker der Länder, …“
Rabbi Ephraim von Bonn zeichnete die erstaunliche Tatsache auf, die durch Rabbi Baruch bezeugt wurde, dass die Körper der Märtyrer nicht durch das Feuer verzehrt wurden; nur ihre Seelen verließen die Körper. Als die Menge dies sah, waren sie erstaunt und sagten einer zum anderen, „Wahrlich, dies sind Heilige.“ Für eine lange Zeit wurde es nicht gestattet die 31 (oder 32) Märtyrer von Blois zu beerdigen. Sie wurden am Fuß des Berges liegengelassen, an welchem sie verbrannt wurden. Es war erst viel später, als Juden kamen und um ihre Überreste zu begraben.“
Rabbi Ephraim fügte die Klage hinzu, „Oh Tochter von Israel, weine für um die Seelen, die die Heiligung des Namens verbrannt wurden, und lass deine Brüder, das ganze Haus Israel, den Feuertod beklagen.“
Alle Gemeinden in Frankreich, England und dem Rheinland nahmen auf sich, den 20. Siwan als Tag der Trauer und des Fastens zu begehen. Dies wurde bestätigt durch Rabbeinu Jaakow ben Me’ir, der an sie Briefe schrieb um sie zu informieren, dass es möglich und angebracht ist diesen Tag als einen 24-stündigen Fasttag zu begehen. (Rabbeinu Jaakow Tam verstarb in der dritten Woche nach dem Kiddusch HaSchem von Blois.)
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