Wenn wir über Rosch Haschana lernen, stoßen wir auf mehrere Vorschriften1 mit demselben seltsamen Grund: „um den Teufel zu verwirren“. Zum Beispiel: Wir erwähnen im Gebet nicht, dass Rosch Haschana auch Rosch Chodesch (Monatsbeginn) ist; wir segnen nicht den Monat der Hohen Feiertage – Tischrej – am Schabbat davor; wir blasen nicht ins Schofar am Vorabend von Rosch Haschana. Auch das Schofarblasen im ganzen Monat Elul dient demselben Zweck: „damit der Teufel nicht wisse, auf welchen Tag genau Rosch Haschana fällt“.
Tiefer betrachtet klingt aber diese Begründung sehr eigenartig. Wir nennen ihn zwar „Teufel“, aber immerhin ist er ein Engel, vor dem wir Menschen nichts verbergen können. Ob Strategien wie diese einen Engel verwirren könnten, wo doch ihre Taktik allen bekannt ist und sie jährlich wiederholt werden? Selbstverständlich nicht!
Den Schlüssel zur Antwort auf diese kuriose Begründung – „um den Teufel zu verwirren“ – finden wir im Talmud in Bezug auf das Schofarblasen zu Rosch Haschana selbst. Dort heißt es: „Rabbi Itzchak2 sprach: „Aus welchem Grund bläst man in das Schofar, wenn man sitzt? Aus welchem Grund, wenn man steht? (Laut der Halacha darf man bei der ersten Serie der Schofartöne sitzen, während man bei der zweiten Serie während des Mussafgebets stehen muss.) Um den Teufel irre zu führen!“3 Raschi erklärt dazu: „Der Teufel erkennt, wie sehr die Juden an den Geboten G-ttes hängen, da sie sie sowohl im Sitzen als auch im Stehen erfüllen, sodass er die Juden einfach nicht mehr anklagen kann.“
Verstummt
„Um den Teufel zu verwirren“ bedeutet also nicht, dass dieser etwa so naiv sei unserer Hinterlist wegen nicht mehr zu wissen, auf welchen Tag genau Rosch Haschana fällt; sondern unser Wohlwollen an den Geboten lässt ihn einfach verstummen, sodass er nichts mehr gegen uns in der Hand hat.
Dieser Erklärung zufolge können wir nun auch die anderen Vorschriften verstehen, durch die „der Teufel verwirrt werden soll“. Durch das Schofarblasen im ganzen Monat Elul erkennt der Teufel, wie sehr die Juden an ihren Bräuchen hängen und die Tschuwatöne die Juden aufrütteln, sodass sie sich noch vor dem großen Tag des Gerichts ihres Sieges sicher sind. Er kann sie für nichts mehr beschuldigen, da sie Tschuwa tun, und verstummt.
Deshalb blasen wir auch am Vorabend von Rosch Haschana nicht in das Schofar, um auszudrücken und aller Welt zu verkünden, dass die Juden tatsächlich noch vor dem Gerichtstag Tschuwa getan und an der erweckenden Wirkung des Schofars keinen Bedarf mehr haben. Der Teufel, dieses sichere Vertrauen der Juden in ihren Sieg erblickend, kann wiederum nur eines tun: verstummen!
Lass dich aufrütteln
Andererseits aber verzichten wir beim Nichtblasen des Schofars am Vorabend von Rosch Haschana, wie auch bei der Nichtsegnung des Monats Tischrej am Schabbat davor, auf wichtige Privilegien, die uns am Tag des Gerichts doch gutgeschrieben würden! Ist es das denn wirklich wert so wichtige Privilegien aufzugeben nur um den Teufel zu verwirren?
Tatsächlich lässt uns gerade dieses Paradox erkennen, wie viel Kraft der Teufel gegen uns hat, sodass wir sogar auf so wichtige Privilegien verzichten müssen, um seine Anklage von uns abzuwenden. Und diese beängstigende Erkenntnis reicht bereits aus um uns zur Tschuwa aufzurütteln! Und bereits unser Erwachen in Tschuwa erweckt Erbarmen in den himmlischen Höhen für das jüdische Volk und bringt uns allen ein gutes und gesegnetes Jahr!
(Likutej Sichot, Band 4, Seite 222)
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