Frage?

Kürzlich habe ich mir Gedanken gemacht über die Begriffe "G-tt", "Existenz" und "Tod" - dem ich doch aller Wahrscheinlichkeit nach eines Tages begegnen werde. Mir war nicht so wohl beim Gedanken, dass ich eines Tages einfach nicht mehr hier sein werde.

Was mich beschäftigt ist, dass G-tt und die Ewigkeit des Lebens vielleicht nur mentale Konstrukte unserer Einbildung sind, um uns vor dem zu beschützen, mit dem wir nicht fertig werden. Ich würde gerne glauben, doch diese Gedanken beunruhigen mich. Wie kann ich unterscheiden, zwischen dem wirklich Zutreffenden und dem von Menschen Phantasierten, um vor der Wirklichkeit zu fliehen?

Antwort!

Ich habe zwei grundverschiedene Antworten. Doch handelt es sich bei der Wahrheit um eine zwiespältige Angelegenheit.

Es gibt für uns nichts Realeres als unser Wahrnehmungsvermögen: Wir betrachten nur als real, was wir mit einem oder mehreren unserer fünf Sinne aufnehmen können. Es gibt noch unsere Emotionen, durch die wir unsere eigene Reaktionen zur Welt und zu dem, was mit uns geschieht, wahrnehmen, und die daher unsere eigene Wirklichkeit darstellen.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn die andere Hälfte ist weit größer, als wir es uns vorstellen können. Unsere Seele kennt diese Wahrheit zwar, und nimmt ihre zarte Stimme in uns wahr. Doch weil diese Stimme so fein und unsere Vorliebe für eine bequeme Wahrheit so stark ist, riskiert unser Wahrnehmungsvermögen jene Wahrheit auszublenden. Deshalb sprechen wir besser von einer uns umgebenden, objektiven Wahrheit, die wir finden, sobald wir unsere subjektiv Ich-bezogene Welt um eines größeren Ganzen willen verlassen.

Das erscheint völlig widersprüchlich, und deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass diese Wahrheit, die sich aus zwei verschiedenen Wahrheiten zusammensetzt, auch der erste dem ersten Menschen begegnende Grundsatz war: Der Midrasch sagt, dass Adam nach seiner Erschaffung um sich schaute und beim Anblick der Schöpfung schlussfolgerte: "All dies wurde nur um mir zu dienen erschaffen," – was bedeutet, dass er bereits die Wahrheit in sich trug. Gleichzeitig folgerte er: "... und ich wurde nur erschaffen, um meinem Schöpfer zu dienen," – was darauf hinweist, dass die Wahrheit jenseits von ihm lag.

Diese Tatsache wiederholt sich beim Ausführen jeder Mizwa, denn sie enthält diese beiden Gegensätze: „Ich führe diese Tat aus, weil ich dazu verpflichtet bin, ob es mir nun passt oder nicht!“ Das ist die einheitliche Übersetzung des Wortes "Mizwa": Gebot.

Doch die Ausführung dieser Tat geschieht mit ganzer Seele, ganzem Herzen und Verstand. Ich nehme dieses Gebot in Besitz und es wird zu meiner Mizwa. Das weist auf die zweite Bedeutung des Wortes Mizwa hin: Partnerschaft. Durch das Ausführen der Mizwa verbinde ich mich mit dem Ewigen und werde zu Seinem Partner und Er fängt an, "die Schöpfung mit mir zu teilen".

Daher finden wir dieses Thema in jedem Bereich des Judentums wieder, in unserer Art zu beten oder Tora zu studieren. All unsere Gedanken beherrschen dieses Paradoxon.

Drei blinde Wissenschaftler könnten diesen Sachverhalt illustrieren, wenn sie z.B. einen Elefanten beschreiben. Der erste Wissenschaftler wurde neben das rechte Hinterbein des Elefanten gestellt und beschrieb ihn als "biologischen Presslufthammer ohne Pressluft", der zweite Wissenschaftler nahm vor dem Rüssel Platz und beschieb den Elefanten als eine Art "biologischer Staubsauger" hingegen der dritte Wissenschaftler setzte sich neben ein Elfenbeinhorn und beschrieb es als Waffenform der Eingeborenen. So haben alle Wissenschaftler Recht und Unrecht, denn da sie nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes sahen, können sie die ganze Wahrheit nicht erfassen.

Zu Ihrer Frage: Es bedeutet, dass ein aufwandsloses, bequemes Praktizieren Ihres Glaubens Sie im Unklaren lässt, ob es sich um den wahren G-tt oder nur um ein eigennütziges Idol handelt, das lediglich als "diplomatische Deckung" für Taten dient, die Sie nur sich selbst zuliebe ausführen. Bringen Sie es aber fertig, sich einem weder Ihrem Geschmack noch Ihrer Lebensweise entsprechenden Gebot zu fügen, wird eine Verbindung mit der objektiven Wahrheit möglich.

Unser Vorvater Awraham wurde in seinem Leben zehn großen Prüfungen unterzogen, die im völligen Widerspruch zu seiner angeborenen Natur standen. Dadurch erhielt das jüdische Volk die Kraft, jahrtausendelang am Judentum festzuhalten, obwohl das Ausführen der Gebote das materielle Leben nicht erleichterte. Auch sorgten die umliegenden bzw. jene die Juden während des Exils beherbergten Völker dafür, dass das Leben als Jude in dieser Welt nicht vorteilhaft aussah. Die Tatsachen zeigen, dass wir sehr viele Juden verloren haben. Doch jene wahrheitssuchenden Juden hielten am Judentum fest, selbst wenn sie diese Wahrheit nie ganz verstehen konnten. Bis zum heutigen Tag beachten die Juden die vor 3300 Jahren erhaltenen Gebote, ohne erklären zu können, warum sie das tun, – doch wohlwissend, dass sie all diese Dinge tun müssen. Denn diese Gebote stehen jenseits von uns Menschen haben bis in alle Ewigkeit Gültigkeit, weil die Wahrheit weit größer ist als unser beschränkter Verstand. Dazu kommt, dass sich in den letzten Jahrzehnten über eine Million Juden zur Rückkehr in die Tradition ihrer Vorväter entschlossen, und über Nacht begannen, alle Gebote zu achten.

Im Gegensatz zum Allgemeinglauben richtet sich unser Wille nicht nach unserem intellektuellen Verstehen, sondern unser Intellekt passt sich unserem Willen an. Dieser versteht nur jene Argumente, die unseren Willen rechtfertigen und unterstützen. In der Antike bewunderten die alten Griechen anfangs die Juden wegen ihrer großen Weisheit. Doch bald hassten sie die Juden, weil die Tora eine Antithese zum Intellekt darstellt: Die Tora basiert auf dem Willen G-ttes. Der Razon (Wille) befindet sich gemäss den Kabbalisten auf der Ebene von Keter (Krone), die über dem Intellekt (Chochma, Bina, Daat) zu finden ist. Der Wille ist der wesentlichste Teil von G-tt. Wenn wir eine Mizwa ausführen, verbinden wir uns direkt mit Ihm. Ein Wille ist nicht intellektuell zu rechtfertigten, sondern er ist einfach da.

Suchen Sie sich deshalb die anti-intellektuellste Mizwa aus, und wickeln sie diese um Ihren Kopf und Ihren Arm, und kaufen Sie sich ein Paar Tefillin. Das nächste Chabad-Haus wird beim korrekten Anlegen der Tefillin behilflich sein, wenn Sie diese schwarzen Lederbehälter mit den schwarzen Lederstreifen an Ihren Kopf und an Ihren linken Arm anlegen. Sie können versuchen, den intellektuellen Grund für diese Handlung zu suchen, doch werden Sie ihn niemals finden, denn es ist etwas, das Sie jenseits der beschränkten Welt unserer Verständnisgabe bringt.

König David verglich unsere Fähigkeit, eine Beziehung zu G-tt aufzubauen mit unserem Geschmackssinn: "Kostet und seht, wie der Ewige gut ist" (Psalmen 34:9): Wir werden nie erfahren, wie eine Speise schmeckt, solange wir sie nicht gekostet haben. Wir können die Tiefgründigkeit der G-ttlichen Wirklichkeit nicht verstehen, doch können wir sie durch das Ausführen einer Mizwa kosten.