Wir feiern eigentlich das Pessach-Fest bereits seit dem ersten Jahrestag des Auszuges aus Ägypten. Als der Ewige angeordnet hatte, das Pessach-Lamm in der Nacht vor dem Auszug zu essen, haben wir diese Mizwa praktisch bereits während des Auszuges schon selbst ausgeführt.
Doch bezieht sich die Frage wahrscheinlich auf ein mit Pessach verbundenes, spezifischeres Phänomen: Während der vierzig jährigen Wüstenwanderung wurde der Festtag zwar gefeiert, aber nur am ersten Jahrestag des Auszuges, also nur ein einziges Mal, brachten wir das Pessach-Lamm dar. Die nächste Darbringung dieses Opfers durch das Volk Israel kam erst 39 Jahre später mit dem Eintritt ins Land Israel.
Warum aber brachte das jüdische Volk in 39 aufeinanderfolgenden Jahren das Pessach-Lamm nicht dar, obgleich unsere junge Nation doch gerade das große Wunder des Auszugs erlebt hatte? Der große Exeget Raschi kommentiert, den Midrasch zitierend, dass dieses Detail nicht zu unseren stolzesten Erinnerung gehört.
Allerdings hat uns G-tt in jenen Jahren nie gebeten, ein Pessach-Lamm darzubringen, sondern hat dieses Gebot lediglich im ersten Jahr auszuführen verlangt, - und erst nach 39 Jahren wieder. Da wir nicht dazu aufgefordert wurden, war es uns nicht erlaubt, in der Stiftshütte ein von G-tt nicht verlangtes Opfer darzubringen.
Warum trotzdem nun diese Verlegenheit, weil wir 39 Jahre lang kein Pessach-Lamm dargebracht haben? Wenn G-tt ein Pessach-Lamm angefordert hätte, wären wir Seiner Bitte sicher nachgekommen!
Rabbi Menachem Schneerson, der Lubawitscher Rebbe, gibt folgende Erklärung:
Manchmal müssen wir selber tätig werden, indem wir unser Interesse durch eigenes Ergreifen der Initiative zeigen, und zwar bevor wir darum gebeten werden, wie z.B. Eltern, die dem Kind von sich aus Bücher besorgen, wenn es selbständig fleißig liest. Die Fortschritte des Kindes auf dem von den Eltern gebahnten Weg bereiten ihnen größte Freude.
So hätte auch die Einstellung unseres Volkes während unserer Wüstenwanderung sein sollen. G-tt hat sicher nicht von uns während dieser 39 Jahre ein Pessach-Lamm darzubringen verlangt. Doch als junge Nation im Wachstumsstadium, die gerade erst die Tora erhalten und kurz darauf einen schrecklichen Fehltritt mit dem Tanz ums Goldne Kalb begangen hatte, hätten wir G-tt und noch mehr uns selbst beweisen müssen, dass wir an G-ttes Geboten interessiert sind, - und sehr darauf erpicht, sie auszuführen. Wäre unser tiefstempfundener Wunsch, das Pessach-Lamm darzubringen, vor G-tt gekommen, hätte Er unserem Antrag stattgegeben und uns die Ausführung dieser Mizwa während der Wüstenwanderung ermöglicht.
Was aber geschah am ersten Jahrestag des Auszuges aus Ägypten: Einige unseres Volkes, die durch Kontakt mit einem toten Körper rituell unrein geworden waren und daher das Pessach-Opfer an jenem Tag nicht darbringen konnten, fragten Moses und Aaron: "...Warum sollen wir unter den Kindern Israels benachteiligt werden und G-ttes Opfer nicht rechtzeitig darbringen können?" G-tt kam ihrem Anliegen wie ein stolzer Vater entgegen und gab ihnen eine zweite Chance zur Darbringung des Pessach-Lamms: Pessach Scheni (zweites Pessach). Deshalb feiert das jüdische Volk einen zusätzlichen Feiertag, der bis heute auf diese Anfrage zurückgeht.
Daraus können wir eine Lektion mit ewiger Gültigkeit zur steten Anwendung lernen. Selbst wenn G-tt nur daran denkt, was wohl das Beste für uns wäre, will Er es doch von uns hören. Wir Menschen mit unserem beschränkten Verstand sollen uns an Ihn wenden und Ihn um das bitten, was unserer bescheidenen Ansicht nach das Beste wäre.
G-tt hat Seine Gründe - und sei es nur der bloße Grund, dass Er auf unsere Anfrage wartet - die Welt so zu führen, wie Er sie führt, werden wir gebeten, Ihm unsere Anliegen vorzulegen und nach bestem Wissen zu argumentieren: Warum sollen wir benachteiligt werden? Warum wartet unsere Generation immer noch auf jene Zeit, die Er uns versprochen hat: Die Zeit ohne Hunger und Krankheiten, in der Krieg und Hass für immer von unserer Welt verbannt sein werden; die Zeit der Erlösung durch unseren gerechten Moschiach? Warum wurde der Heilige Tempel noch nicht erbaut und sind wir noch immer von mehreren hundert uns ursprünglich gegebenen Mizwot ausgeschlossen?
Aber Er wird uns erlösen.
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