Rabbi Schimon Bar Jochai sagt: Wehe denen, deren Herz verschlossen bleibt und deren Augen sich nicht öffnen! So viele Geheimnisse verbergen sich in der Tora, doch schenken sie ihnen keinerlei Beachtung. Sie wollen nur das "Stroh" der Tora essen – die einfältige Bedeutung oder das Gewand der Tora. Sie kosten nichts von der tiefsinnigen Weisheit, die in ihr enthalten ist. (Sohar Chadasch, Tikunim II:93b. Siehe auch Sohar III:152a)

Wer die Geschichten der Tora nur oberflächlich ohne in Betrachtziehung der Kabbala lernt, kann die Verwandlung von Gutem in Schlechtes bewirken, und erschafft dabei viele Hindernisse, die G-ttes Fülle für seine Geschöpfe blockieren. (Tikunej Sohar, 1b)

Im Laufe der Geschichte gab es neun weltweite Hungersnöte, und unmittelbar vor dem Messianischen Zeitalter wird uns eine zehnte Krise heimsuchen. Doch werden wir nach etwas ganz anderem hungern, wie es der Prophet ausdrückt (Amos 8:11): "Siehe da, es kommen Tage, sagt G-tt, wo ich Hunger in die Welt senden werde; kein Hunger nach Brot und kein Durst nach Wasser, sondern das Wort des Ewigen zu hören." (Bereschit Rabba Gen. 25:3, Gen. 40:3 und Gen. 64:2)

Prophet Elija informiert Rabbi Schimon Bar Jochai: „Viele Menschen dort unten werden sich von deinem Buch (Sohar) ernähren, sobald es in der letzten Generation vor dem Ende der Tage, (endlich) offenbart wird. Aber das Buch des Sohars gibt es schon mehrere hundert Jahre. Doch wenn das Messianische Zeitalter herannaht, werden sogar seine tiefgründigsten Geheimnisse deutlich gemacht werden.“ (Tikunej HaSohar, Ende von Tikun 6, Kisej Melech, ibid.)

„Da die Juden in der Zukunft vom Baum des Lebens kosten werden, d.h. dem Sohar, werden sie mit Barmherzigkeit aus dem Exil erlöst werden.“ (Sohar, Raja Mehemna 111:124b)

Selbst das oberflächliche Lesen der Fünf Bücher Moses wird den Leser voraussichtlich ziemlich verdutzt hinterlassen. Die Schlüsselfiguren verhalten sich oft auf fragwürdige Weise. Dazu kommt noch, dass G-ttes Führung sehr rätselhaft scheint: Er verspricht etwas, das aber vorerst genau als Gegenteil erscheint, weil sich das Versprechen erst mehrere Generationen später in die Tat umsetzt. Wir haben oft Mühe zu verstehen, warum ausgerechnet so verwickelte Umwege nötig waren. Wir haben oft Mühe zu verstehen, warum ausgerechnet so verwickelte Umwege nötig waren

Die mündliche Tradition, die Moses ebenfalls am Berge Sinai erhalten hat, helfen uns dabei, den Text zu erläutern. Die klassischen biblischen Kommentare beschäftigen sich damit, die Botschaften, die uns die Schrift übermitteln will, zu enträtseln und zahlreiche Erklärungen zu finden. Doch manchmal scheinen diese vom Text abzuschweifen, sich zu widersprechen, oder ihre Lösung beinhaltet andere, noch viel schwierigere Rätsel. Wir bleiben nach wie vor verwirrt, wie sich diese Einzelheiten ins Gesamtbild eingliedern sollen. Unsere Fragen richten sich sogar an die Geschichten selbst: Wenn alles von vorn herein geplant war, warum verlief die Handlung nicht auf eine direktere Art und Weise?

Zeitlich begrenzte menschliche Wesen sind offensichtlich außer Stande, die Wege des Unendlichen zu ergründen. Trotzdem wurde uns die Tora gegeben, damit wir sie studieren und uns bemühen, sie zu verstehen. Es wird von uns erwartet, dass wir von ihr etwas für unser Verhalten lernen, beginnend beim kleinsten Detail unseres alltäglichen Lebens. Doch wie sollen wir das tun, wenn ihre Botschaft so viele Fragen offen lässt?

Die Frage spitzt sich noch weiter zu, weil im Gegensatz zu früheren Generationen jetzt immer weniger Leute mit dem Inhalt der Bibel vertraut sind und ihre Wahrhaftigkeit akzeptieren. In unserer Zeit kennen viele nicht einmal mehr ihre grundsätzlichsten Ideen und bezweifeln die Autorität ihrer Quelle. Ihre Fragen beziehen sich nicht so sehr auf das Verständnis der Tora-Ideen, sondern dienen viel eher als Ausreden. Statt einer Antwort kommt die Rechtfertigung für den Fragenden, dass er sich nicht mit seiner religiösen sowie historischen Tradition zu befassen braucht.

Trotzdem sehen wir ein gewisses Dürsten nach dem Sinn des Lebens, der von Generation zu Generation unklarer scheint. Dieser Durst wird durch das vermehrte Interesse an der Lehre der Kabbala, den biblischen Kodex’ und allem, was zur verborgenen Dimension der Tora gehört, offenbar. [Zur Beachtung: Ginzej Josef, Genesis 12:10 (zitiert in Jalkut Moschiach und Geula, Lech Lecha, S. 70-73) sagt, dass der zehnte "Hunger", der Hunger nach G-ttes Wort, sich auf das Verlangen nach Kabbala bezieht. Er erklärt auch, wie dieser Hinweis ein Bestandteil der Geschichte von Abraham und Sara ist, als sie nach Ägypten gingen.]

Die Tora drückt ihre Botschaft gleichzeitig auf vier Ebenen aus, die im hebräischen Acronym "PaRDeS" zum Ausdruck kommen: Die schlichte Ebene (Peschat), die Anspielung (Remes), die Auslegung oder die homiletische Ebene (Drusch) und das Geheimnis (Sod). Die Kabbala bezieht sich vor allem auf die vierten Ebene (Sod), befasst sich jedoch auch mit der Drusch-Ebene.

Die "innere Dimension" oder die "Seele" der Tora, die in der Kabbala und in der Chassidut besprochen wird, übernimmt die Perspektive einer zugrundeliegenden spirituellen Wirklichkeit von der alles im Universum abgeleitet ist. Das Verstehen dieser Kräfte und deren Auswirkungen hilft uns, die wesentliche Einheit der Schöpfung zu erkennen, was uns in jedem Bereich des Lebens leiten soll. (Sohar I:145b, III: 152b, siehe Jahel Or, Zemach Zedek über Psalm 119:18, Maamarim Melukat 5:273)

Die grundlegenden Wahrheiten werden uns durch die Tora vermittelt. Durch das Studieren ihrer inneren Dimension vertiefen wir das Verständnis ihrer Lehren. Die traditionellen Erklärungen erlangen neue Bedeutung und werden zum integralen Teil des Weges, der uns zu einer tiefgründigeren Wahrheit führt. Die Offenbarung dieser inneren Dimension der Tora weist auf die Bereitschaft des Universums hin, seinen Höhepunkt zu erreichen und das Messianische Zeitalter zu beginnen (siehe Anfang "Keter Schem Tov"). Sie ist auch das Mittel, die Welt in einen Platz der Harmonie, der Erfüllung und der Vollkommenheit zu verwandeln.

Der Sohar selbst wurde in Form eines Bibelkommentars geschrieben. Die Geschichten der Bibel sind nicht nur Geschichten, in denen die Geheimnisse der Welt verborgen sind. Wenn wir uns mit dem Verständnis ihrer inneren Dimension befassen, dringen wir in das unendliche, von G-tt speziell für uns reservierte Wissen ein. Ihre Lehren sind sehr schwer verständlich und offenbaren sich ausschließlich demjenigen, der tief genug gräbt, um zu ihrem Licht zu gelangen.

Eines der zentralen Themen im Zusammenhang verschiedener Begebenheiten ist das Lügen oder "Austricksen": Abraham und Jizchak sagen, dass ihre Frauen ihre Schwestern seien; Riwka und Jakow tricksen Jizchak aus, damit er seinen Segen an Jakow und nicht an Esaw weitergibt; die Brüder Josefs entführen und verkaufen ihn, behaupten aber über zwanzig Jahre gegenüber Jakow, dass Josef getötet wurde; Lea bringt Jakow dazu, sie an Rachels Stelle zu heiraten; Tamar trickst Jehuda aus, indem sie ihn unbemerkt zum Vater ihrer Kinder werden lässt. Warum ist alles so verworren?

Das Thema "Austricksen" stammt vom ersten und womöglich berühmtesten aller Fälle: Die Ur-Schlange, die schon Adam und Eva hereinlegte. Hätten sie nicht gesündigt, hätten Adam und Eva die Welt zur Vollkommenheit gebracht und das Messianische Zeitalter hätte sofort begonnen. Die Kabbala besagt, als sie vom Baum der Erkenntnis aßen, ereignete sich eine katastrophale Veränderung, durch die sich die Funken des Guten und die Funken des Übels in allen Bereichen des Universums untereinander vermischten. Um diese Tat zu begradigen, müssen ihre Auswirkungen rückgängig gemacht werden. Die Rückgewinnung und die Erhebung dieser Funken ist die vereinigende Aufgabe, mit der sich die Welt seither beschäftigt. (Siehe Schaar HaPesukim 4a, Ez Chajim 36:2, 39:1 und Tanja, Igeret HaKodesch 26 (144a).

Teil des Geheimnisses dieser Berichtigung ist die Abstimmung der zu vollziehenden Art auf die Art der Zerstreuung jener Funken. Vielleicht vergleichen wir es mit einem Schraubdeckel: Um ein verschlossenes Gefäß zu öffnen, müssen wir den Deckel einfach in die umgekehrte Richtung drehen. So erklärt auch der Talmud (Sanhedrin 39b), dass der Grund für die Auswahl des Propheten Ovadia, über den Niedergang des Reiches der Edomiten zu prophezeien, seine Zugehörigkeit zum Stamm der Edomiten und sein späterer Übertritt zum Judentum war. Und "das die Bäume fällende Griffstück der Axt wird dem Wald selbst entnommen."

Wir finden eine ähnliche Idee als Moses Pharao zeigen wollte, dass G-tt ihn geschickt hatte, indem er seinen Stock in eine Schlange verwandelte (Ex. 7:10-11). Die führenden Hexer erwiderten nur: "Bringst du Stroh nach Ephraim?" Da Ephraim als eine für ihre reiche Weizenernte berühmte Stadt war, bedeutete es "bringst du Hexerei in einen Ort, der bereits mit Hexerei überfüllt ist?" (Menachot 85a, Schmot Rabba 9:5) Und Moses antwortete: "Ihr bringt euer Gemüse an einen Ort, wo alle ihr Gemüse hinbringen." Auf den ersten Blick ist es schwierig zu verstehen, was genau Moses' Antwort bedeutet, denn er scheint nur Frage und Antwort zu wiederhohlen. Doch seine Antwort geht auf einen großen Unterschied ein, obwohl er und die ägyptischen Hexer oberflächlich gesehen dasselbe zu tun scheinen. Nur ein scharfsichtiger Geist kann die beiden auseinanderhalten, wie z.B. die an einem Ort geschieht, "wo alle ihr Gemüse hinbringen", und nur das geübte Auge zwischen erstklassigem Gemüse und minderer Qualität unterscheiden kann. (Ijun Jakow, Menachot ibid. Siehe auch Maharscha, Ez Josef, ibid, Jifat Toar zu Schmot Rabba, ibid.) "Ephraim" bezieht sich auf die Ur-Schlange, nachdem die Erde (hebr.: Afar) sein Brot ist" (Isaia 65:25). Afar enthält dieselbe Wurzel wie Ephraim, und ihre reichlichen landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind eine Anspielung auf den Baum der Erkenntnis. Nur an genau jenem Ort der Missetat, und auf genau jene dort begangene Art, kann ihre Dunkelheit zu Licht werden.

Der Erfolg der Schlange wurde durch Täuschung errungen (Gen.3:1). Der Sohar sagt "all ihre Worte waren falsch" – und ihre wahren Absichten blieben versteckt. Ihren Erfolg verdankte sie der Tatsache, dass sie eine gewisse G-ttliche Energie und einen gewissen G-ttlichen Einfluss besaß und daher "weiser war, als alle anderen Geschöpfe". Wäre die Schlange ignoriert oder besiegt worden, hätte sie eine mächtige Kraft der Heiligkeit werden können. Doch nachdem Adam und Eva die Prüfung nicht bestanden haben, liegt es an den kommenden Generationen, die Richtigstellung jener Tat zu erreichen.

Es gibt eine Ebene der Täuschung, die wir "verborgene Chochma (Weisheit)" nennen (Vajomer lo Elo-kim Wajischlach 5694, Likute Sichot 1:55-56, siehe auch Sohar III:144a). Sie wird "Täuschung" genannt, weil die Welt ihre wahre Beschaffenheit nicht zu bestimmen vermag. Doch ist damit letztendlich jene Fertigkeit gemeint, um den von der Schlange angerichteten Schaden wieder rückgängig zu machen.

Da der epische Kampf gegen die Dunkelheit oft mit Hilfe dieser verborgenen Chochma ausgeführt wird, passiert das oft auf eine uns völlig fremd erscheinende Art. Eine oberflächliche Betrachtung wird uns nicht erkennen lassen, wo der Zusammenhang zwischen der Berichtigung und dem dadurch zu korrigierenden Verderbnis liegt. Wir müssen die Regeln der Kabbala studieren, um zu erkennen, dass ein Fehler genau auf dieselbe Weise, wie er begangen wurde, verbessert worden ist.

Auch in unserem alltäglichen Leben macht uns die Kabbala darauf aufmerksam, dass unsere gesamte Existenz in dieser Welt in Wirklichkeit einer Täuschungsform gleicht. Die Seele kommt aus einem Reich, in dem das Ewige Licht allen offenbar ist. Sie steigt hinunter in einen physischen Körper, um ein physisches Leben, in dem die Gegenwart G-ttes und der Sinn des Lebens versteckt sind, zu führen. Wegen dieser Verschleierung wird das physische Universum in der mystischen Literatur "die Welt der Lügen" ("Alma d'Schikra") genannt. Um den Zweck unserer Schöpfung zu erfüllen, müssen wir die Welt "zurücktäuschen", indem wir ihre physische Beschaffenheit für spirituelle Ziele verwenden. Die Tora verlangt von uns Ehrlichkeit, im Gegensatz zur materiellen Welt, die uns eher "die Ecken abrunden" lassen will. Indem wir die Gesetze der Tora gegen die Natur der materiellen Welt anwenden, täuschen wir ihre materielle Beschaffenheit und verwandeln sie in ein Instrument der Spiritualität. Somit bringen wir es fertig, inmitten einer physischen Welt ein spirituelles Leben zu führen.

Unsere Vorväter hatten die Aufgabe, die Welt und das jüdische Volk für diesen historischen Kampf vorzubereiten. Ihr Leben bestimmte nicht nur die Zukunft ihrer Nachkommen (Ramban Gen. 12:6), sondern ihre Taten schmiedeten den Weg, der ihren Nachkommen ihnen zu folgen ermöglichte (ibid.). Sie werden als "Wagen" (Sohar III:28b, 217a) - als reines Fahrzeug für die erhabensten himmlischen Offenbarungen - betrachtet. Ihre Taten spiegelten die tiefgründigen Wahrheiten wieder, durch von Oben her die Geschehnisse geleitet wurden. Abraham musste durch das Land Israel laufen, um es seinen Nachkommen später zu ermöglichen, das Land einzunehmen. Abraham wurde gebeten, seinen Sohn Jizchak zu opfern! Bis heute sind praktisch alle Juden notfalls dazu bereit, ihr eigenes Leben herzugeben, um G-ttes Willen nicht zu übertreten, wie er in den Grundsätzen der Tora steht. Jakow lebte mit Lawan, der ihn die ganze Zeit austrickste. Doch trotz dieser problematischen Gesellschaft blieb Jakow den Grundsätzen der Tora und sämtlichen 613 Geboten treu. So leben bis heute viele Juden in problematischen Gegenden und bringen es trotzdem fertig, sich völlig vom Einfluss der Umgebung abzuschirmen und ihr Leben nach den Geboten der Tora auszurichten.