Lange Zeit hatte die sowjetische Regierung Rabbi Levi Jizchak Schneerson, den Oberrabbiner der Stadt Jekaterinaslaw (und Vater des Lubawitscher Rebbe) genau beobachtet. Viele Spione hatten seine Synagoge infiltriert und überwachten alle seine Schritte. Es gab bereits eine dicke Akte über seine „Verbrechen“.

In der Tat war es nicht sehr schwierig, Beweise für die Verfehlungen des Rabbiners zu sammeln. Trotzdem war es Rabbi Levi Jizchak dank seines Mutes und seines Geschicks bisher gelungen, den Fallen des Regimes auszuweichen.

Einmal ordnete die Regierung eine Volksbefragung an, in der jeder Bürger gefragt wurde, ob er an G-tt glaube. Weil es gefährlich war, die Wahrheit zu sagen, wollten viele Juden, sogar die frommen, mit nein antworten. Aber davon wollte Rabbi Levi Jizchak nichts hören. Er lief von einer Synagoge zur nächsten und bat die Leute, den G-tt ihrer Väter nicht zu verleugnen. Deswegen wurde er von der Polizei vorgeladen.

„Was ist daran falsch?“, fragte er unschuldig. „Als ich hörte, dass einige Juden lügen wollten, habe ich nur meine Pflicht als Sowjetbürger erfüllt und sie gedrängt, die Wahrheit zu sagen.“

Eines Tages musste er vor Gericht erscheinen. Man warf ihm jüdische Aktivitäten zu Hause vor, was streng verboten war. Hätte man ihn schuldig gesprochen, wäre die Strafe hart gewesen. Seine Besorgnis nahm zu, als er die zwei Hauptzeugen der Anklage sah.

Der erste war der Verwalter des Wohnhauses, in dem er lebte, ein junger Jude und überzeugter Kommunist, den die Behörden beauftragt hatten, die Bewohner zu überwachen. Rabbi Levi Jizchak wusste, dass der Mann vor allem auf ihn angesetzt war.

Die andere Zeugin war seine Nachbarin, eine Frau, deren Mann, der Vorsitzende der örtlichen Parteizelle, für das Transportwesen zuständig war. Von diesen Zeugen hatte er einiges zu befürchten, und die jüngsten Vorkommnisse vergrößerten seine Sorgen noch.

Vor Kurzem war ein junges jüdisches Paar, beide hochrangige Beamte, mitten in der Nacht bei ihm aufgetaucht und hatte gebeten, sie „nach dem Gesetz von Mosche und Israel“ zu verheiraten. Das war sehr gefährlich, denn er kannte die beiden nicht, und zudem brauchte er auch noch zehn Juden für eine Zeremonie unter einer Chuppa. Bald versammelten sich neun Juden hastig im Haus von Rabbi Levi Jizchak. Aber wo sollte man den Zehnten finden? Da er keine andere Wahl hatte, bat der Rabbi den Hausverwalter mitzumachen.

„Ich?“ Der Mann sprang auf, als hätte ihn eine Schlange gebissen.

„Ja, Sie“, antwortete der Rabbi ernst. Zu seiner Überraschung hatte der Verwalter zugestimmt, und die heimliche Hochzeit wurde abgehalten. Aber jetzt würde man diesen Vorfall womöglich gegen ihn verwenden!

Auch die zweite Zeugin war vor Kurzem an einer Aktivität beteiligt gewesen, die ihn betraf. Eines Tages war ein heimlicher Bote zu ihm gekommen und hatte ihm mitgeteilt, der hochrangige Kommunist werde von morgens bis abends geschäftlich unterwegs sein. Und während seiner Abwesenheit sollte der Rabbi eine Brit Mila bei seinem neugeborenen Sohn vollziehen. Rabbi Levi Jizchak wusste nicht, ob das eine Falle war. Aber am nächsten Tag wurde das Kind in den Bund Awrahams aufgenommen. Am Abend kehrte der Vater des Kindes zurück und regte sich sehr über die „schreckliche Tat“ auf, die ohne sein Wissen begangen worden war. Es war also schwer vorauszusagen, was die Frau vor Gericht aussagen würde.

Die Spannung war groß, als die Verhandlung begann. Der Hausverwalter sagte als Erster aus: „Wie Sie alle wissen, weiß ich genau, wer bei Rabbi Schneerson ein und aus geht. Aber die einzigen ungewöhnlichen Besucher, der mir aufgefallen sind, waren zwei alte Verwandte, die ab und zu vorbeikamen.“

Jetzt war die Zeugin an der Reihe: „Als Nachbarin von Rabbi Schneerson hatte ich eigentlich erwartet, dass er als Geistlicher versuchen würde, Kontakt mit Mitgliedern seines Glaubens aufzunehmen. Darum bin ich davon überrascht, dass ich nie verbotene Aktivitäten bei ihm bemerkt habe, seit ich seine Nachbarin bin.“

Rabbi Levi Jizchak wurde also freigesprochen. Aber die „Beweise“ gegen ihn häuften sich, und schließlich wurde er 1940 zum „Volksfeind“ erklärt und nach Zentralasien verbannt. Nach langem Leiden kehrte seine heilige Seele am 20. Aw 5704 (1944) zu ihrem Schöpfer zurück. Möge sein seliges Angedenken uns alle schützen.