Einmal war der Raw von Brisk, Rabbi Josef Dow Soloweitschik, auf Reisen und machte an einer jüdischen Herberge in Benowitz Halt. Da er inkognito zu reisen pflegte und wie ein einfacher Bauer gekleidet war, erhielt er keine Sonderbehandlung.
Es war kalt, und als Rabbi Josef Dow die Lichter der Herberge sah, freute er sich auf ein warmes Feuer und ein Bett, in dem er seinen müden Körper ausstrecken konnte. Erwartungsvoll klopfte er an die Holztür; doch zu seiner Überraschung öffnete ihm ein schroffer Wirt, der erklärte: „Ich erwarte eine Gruppe von Reisenden und habe keinen Platz für dich.“ Obwohl es bitter kalt war, wollte er dem durchgefrorenen Juden die Tür vor der Nase zuwerfen.
Raw Josef bat ihn: „Bitte, lass mich eintreten. Ich brauche kein Bett. Eine warme Ecke auf dem Fußboden genügt mir. Schick mich nicht in diese schreckliche Nacht zurück. Bei dieser Kälte könnte ich sogar erfrieren.“
Der Wirt ließ sich erweichen. Er führte den unbekannten Juden durch den hell erleuchteten zentralen Raum mit dem prasselnden Feuer und schob ihn in eine kalte, dunkle Ecke im Flur. Dort durfte der arme Jude sich auf dem Boden niederlassen und ausruhen.
Raw Josef Dow holte eine Kerze aus der Tasche und begann in der Tora zu lesen. Einen Augenblick später kam der Wirt wütend in den Flur und schrie: „Du darfst hier keine Kerze anzünden! Du weckst die anderen Gäste auf! Lösche sie sofort!“
Wortlos gehorchte Josef Dow. Dann rezitierte er die Tora auswendig. Bald war er in Gedanken versunken, und die Kälte und der harte Boden störten ihn nicht mehr.
Stunden vergingen, und tief in der Nacht waren Pferdegetrappel und Kutschen zu hören. Der Wirt eilte hinaus, um seine Gäste zu begrüßen. Einige Chassidim in Begleitung ihres Rebbe, Aharon von Koidenow, traten ein. Sie zogen ihre Mäntel aus, setzten sich ans Feuer, rieben sich die Hände und wärmten sich. Aharon bereitete sich auf das Abendgebet vor.
Als er den Raum durchquerte, um sich die Hände zu waschen, bemerkte er eine zusammengekauerte Gestalt im Flur. Er betrachtete sie eine Weile, dann rief er: „Josef Ber, bist du das? Warum liegt der Raw von Brisk auf dem Fußboden?“
Als der Wirt Aharons entsetzte Worte hörte, begann er zu zittern. Seine Knie wurden schwach, und ihm wurde schwarz vor den Augen. Voller Scham und Reue dachte er daran, wie er diesen großen Mann behandelt hatte. Als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, näherte er sich dem Raw langsam und mit gesenktem Kopf und sagte leise: „Rebbe, bitte verzeiht mir. Ich habe Euch nicht erkannt, sonst hätte ich Euch niemals so unhöflich behandelt.“
Josef Dow erwiderte lächelnd: „Natürlich verzeihe ich dir. Mach dir deswegen keine Sorgen. Aber ich habe eine Bedingung.“
Der Wirt nickte heftig. „Alles, was Ihr wollt, Rebbe.“ Er war zu jeder Buße bereit, zu jeder Spende, damit der berühmte Raw ihm verzieh.
„Ich verzeihe dir, wenn du nach Brisk reist und zwei Wochen Gast in meinem Hause bist.“ Der Wirt war sofort einverstanden.
Einige Wochen später kam er in Brisk an, wurde freundlich empfangen und ins Zimmer des Raw geführt. Zwei Wochen lang beobachtete er jede Bewegung des Raw. Er sah, wie fürsorglich der Raw jeden Juden behandelte, der ihn mit kleinen und großen Fragen und Sorgen besuchte. Er sah, wir sanft der Raw mit den Armen und Verzweifelten umging, und lernte viel über Gastfreundschaft.
Zwei Wochen später kehrte der Wirt nach Benowitz zurück. Er hatte seine Lektion gelernt. Bald hatte seine Herberge einen wohlverdienten guten Ruf. Sie war weit und breit bekannt als ein Ort, an dem jeder Gast gütig und freundlich aufgenommen wurde. Der Wirt vergaß die zwei Wochen beim Brisker Raw nie.
ב"ה
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