Reb Wolf Kitzes, einer der tatkräftigsten und treusten Anhänger des Baal Schem Tow, hegte den brennenden Wunsch, das Heilige Land zu besuchen. Er versuchte, dieses Verlangen zu unterdrücken, weil er seinen heiligmäßigen Rebbe nicht verlassen wollte. Aber die Sehnsucht ließ ihm keine Ruhe. Darum schüttete er dem Rebbe sein Herz aus. Der Baal Schem Tow hörte ihm zu und sagte dann: „Geh noch nicht.“ Das genügte Reb Wolf. Er sagte kein weiteres Wort.
Aber nach einiger Zeit plagte der unstillbare Durst nach dem Heiligen Land ihn erneut. Wieder ging er zum Rebbe und fragte, ob er gehen solle. Doch der Baal Schem Tow erteilte ihm die Erlaubnis immer noch nicht. Also blieb Reb Wolf zu Hause. Er ließ einige Zeit verstreichen, bevor er wieder zum Rebbe ging. Endlich erlaubt ihm der Baal Schem Tow, die lange, schwierige Reise zu unternehmen. Vor seiner Abreise sagte der Rebbe zu Reb Wolf: „Wenn dir jemand unterwegs eine Frage stellt, denk gut nach, ehe du antwortest.“
Reb Wolf bestieg das erste Schiff, das ins Heilige Land segelte. Eines Tages ankerte das Schiff an einer kleinen Insel. Alle Passagiere stiegen aus, auch Reb Wolf. Als es Zeit für das Nachmittagsgebet war, suchte er ein ruhiges Fleckchen auf und begann zu beten. Er vertiefte sich so in sein Gebet, dass er das Horn überhörte, das die Passagiere zum Schiff zurückrief. Als er aufschaute, sah er entsetzt, wie das Schiff in der Ferne verschwand und ihn zurückließ. Die Insulaner, die zum Schiff geeilt waren, waren ebenfalls weg, und er war ganz allein auf der öden Insel.
„Verlier nicht den Mut“, sagte er zu sich selbst. „Glaub an den Allm-chtigen. Er verlässt dich nicht. Alles wird gut.“ Ermutigt begann er, nach einem Juden auf der unbekannten Insel zu suchen. Aber er fand keinen Menschen. Als er sich einem Wald näherte, bemerkte er plötzlich Rauch, der zum Himmel stieg. Es schien keinen Weg zu geben; aber er kämpfte sich durch das Gestrüpp, bis er an eine kleine Hütte kam.
Er klopfte an die Tür, und zu seiner Freude öffnete ihm ein würdevoller alte Jude, der ihn mit einem herzlichen Schalom begrüßte. Reb Wolf atmete erleichtert auf. G-tt sei Dank, jetzt war er außer Gefahr. Er erzählte dem Mann, was geschehen war, und sein Gastgeber versicherte ihm, er brauche sich nicht zu fürchten.
Die Insel sei durchaus nicht unbewohnt, obwohl nur wenige Menschen darauf lebten. Er sei der einzige Jude und werde nicht lange bleiben. „Hier halten regelmäßig Schiffe“, sagte der Alte. „Die Insel gehört zur Türkei, und ein türkischer Offizier und seine Soldaten sorgen dafür, dass es hier keine Räuber und Piraten gibt. Keine Sorge, Reb Wolf – bald wird ein Schiff kommen, das ins Heilige Land fährt; dann kannst du deine Reise fortsetzen. Aber nun naht der Schabbat, und du bist als mein Gast willkommen.“
Reb Wolf freute sich über sein Glück. Er wunderte sich zwar darüber, dass sein Gastgeber, der offensichtlich ein gelehrter und frommer Jude war, hier ohne Familie lebte und sogar seinen, Reb Wolfs, Namen kannte. Aber er traute sich nicht zu fragen.
Der Schabbat verlief sehr angenehm, und am nächsten Tag legte ein Schiff an. Reb Wolf dankte seinem freundlichen Gastgeber für seine Güte. Kurz vor seiner Abreise sagte der Alte zu ihm: „Du bist doch durch Russland und Polen gereist. Wie leben die Juden dort im Exil?“
„G-tt sei Dank kümmert sich der Allm-chtige um sie“, erwiderte Reb Wolf. Er war schon auf dem Schiff, als ihm einfiel, was der Baal Schem Tow gesagt hatte: „Wenn dir jemand unterwegs eine Frage stellt, denk gut nach, ehe du antwortest.“ Er war entsetzt darüber, dass er den Rat des Rebbe vergessen hatte, und kehrte sofort um.
Demütig fragte er den Rebbe, wie er seinen Fehler gutmachen könne. Der Baal Schem Tow antwortete: „Du hast für deinen Fehler bereits bezahlt, weil du umgekehrt bist, ohne das Heilige Land gesehen zu haben. Jetzt kann ich dir den Rest der Geschichte erzählen.
Unser Patriarch Awraham klagte vor dem Allm-chtigen wegen seiner Kinder und fragte, warum sie so lange im Exil bleiben und so viel leiden müssten. Der Allm-chtige sagte: ‚So schlimm ist es nicht. Sie leiden nicht sehr im Exil. Wenn du einen Beweis willst, frage einen Juden, der nie lügt, und höre, was er sagt. Dieser Jude ist Reb Wolf Kitzes. Er sagt immer die Wahrheit.‘ Also wurde beschlossen, dass Awraham deinen Gastgeber spielte. Den Rest kennst du. Wärst du so umsichtig gewesen, ein paar Worte hinzuzufügen – wie sehr die Juden sich nach dem Moschiach sehnen und wie innig sie jeden Tag beten: ‚Mögen unsere Augen deine Rückkehr nach Zion in Gnade sehen‘ –, wäre der Moschiach vielleicht schon da.“
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