Am Beginn des Pessach-Seders brechen wir die mittlere Mazza entzwei. Dieses wichtige Symbol, „Jachaz“ genannt, geht dem Erzählen der Haggada voran. Die Hälfte dieser Mazza wird für den Afikoman versteckt, den man am Ende des Seders isst. Alle anderen wichtigen Teile des Seders und die Brachot werden über einer gebrochenen Mazza gesagt.

Warum aber nehmen wir eine gute, ganze Mazza und brechen sie absichtlich entzwei? Ist das angemessen, eine beschädigte und gebrochene Mazza als zentrales Stück des Seders zu verwenden?

Dieses eigenartige Brechen von Brot symbolisiert das Leid und die Armut unserer Vorfahren unter ägyptischer Unterdrückung. Sie assen Krümel, und mussten ihre Nahrung sorgsam rationieren. Unsere Vorfahren waren so arm, dass sie ihre Mahlzeiten aufteilen und sozusagen auseinanderbrechen mussten, - ein wenig gleich essen, den Rest für später aufbewahren. Die gebrochene Mazza erinnert uns an die Armut und den Hunger in jenen schwierigen Zeiten.

Doch das war damals in Ägypten unter den Pharaonen.

Wie steht es um die jüdischen Armen heute? Ich meine nicht die buchstäblich armen und mittellosen, sondern die reiche und einflussreiche jüdische Gemeinde in der westlichen Welt.

G-tt sein dank müssen wir heute nicht Bruchteilchen essen oder unser Mahl rationieren. Tatsächlich sind wir soweit verdorben, dass wir alles wollen, und erwarten, alles zu bekommen. Doch inmitten all dieses Wohlstandes leiden wir auch unter einer herzergreifenden Not und Armut.

Wie unsere gebrochene Mazza sind wir geteilt, unvollständig und nur die Hälfte von dem, was wir sein sollten. Lasst uns die Mazza als Teil einer graphischen Darstellung sehen, die den Zusammenbruch der modernen jüdischen Familie illustriert. Die Demographie zeigt, dass Juden, die sich als zur Gemeinde gehörend betrachten, nur etwa die Hälfte der Gesamtheit ausmachen.

Der andere Teil der Gemeinschaft scheint sich zu verstecken, ist weder bei einem Seder, noch in irgendeiner anderen jüdischen Rolle zu sehen.

Assimilation nimmt einen beachtlichen Teil von uns weg. Auch wenn wir bequem beim Seder sitzen, von Familie und Tradition umgeben, müssen wir daran denken, wie die andere Hälfte lebt. Wir sollten uns daran erinnern, dass statistisch betrachtet fünfzig Prozent unseres Volkes ausserhalb leben, unmotiviert und ohne Verbindung.

Auch die in eine Gemeinde eingebundenen Juden teilen sich weiter auf zwischen - halb-sein und halb-nicht-sein. Da sind die, die nur an sich denken, eigennützig nach innen blicken, nur um ihr „Selbst“ zu schützen. Dann sind da diejenigen Hälften von uns, die für all unsere Geschwister Liebe und Sorge empfinden, seien sie in die Gemeinde integriert oder nicht. Die Torah lehrt, dass wir alle Teile des Ganzen und füreinander verantwortlich sind.

Es schmerzt, über unsere Armut zu sprechen, doch, das Problem zu kennen, ist bereits die Hälfte der Lösung. Wir sind spirituell arm. Assimilation wird ausgelöst durch mangelhafte jüdische Bildung, mangelhafte jüdische Erziehung, und mangelhafte gemeinschaftliche Planung.

Es ist nur gut ein halbes Jahrhundert her, da wurde jüdische Identität noch für gegeben gehalten. Ein allgemeines Gefühl von Familie und „Mischpoche“ hielt die Gemeinschaft auch mit einem Minimum an Ritus und Verpflichtung zusammen. Doch das ist nicht mehr so.

Heute bemerken wir, dass es viel mehr braucht als Lokschen und Kigel oder Synagogenbesuche, um jüdisch zu bleiben. Anatevka-Nostalgie hält die Tradition nicht aufrecht. Halbherziges Interesse ist unzureichend, um dem äusseren Druck einer offenen Gesellschaft zu widerstehen. Nur persönliches involviert-werden, eine umfassende Tora-Bildung, und ein dynamisches Beachten der Gebote werden die Zukunft tragen.

Andererseits sollen wir nicht verzweifeln. Optimistisch betrachtet ist die Mazza halbvoll, nicht halbleer – denn jede einzelne Person ist laut Talmud eine ganze Welt. Wir müssen unser Bestes tun, um gesamtheitliche jüdische Erziehung und Involviertheit zu stärken – die Mazza davor bewahren, noch weiter abzubröckeln.

Unsere Gemeinschaft wurde segmentiert und fragmentiert, doch wir müssen hart arbeiten, die Teile aufzuklauben. Wir sollten uns nach draussen wenden und in Kontakt bleiben. Unsere wissenden Geschwister müssen wir willkommen heissen, die Schönheit und Erfüllung unseres gemeinsamen Erbes zu geniessen. Suchen und an allen Ecken und Enden Ausschau halten müssen wir, bis wir die fehlenden Teile gefunden haben, den versteckten Afikoman, der den ganzen Seder zusammenbringt!