„Wie reich ist Deine Güte, die Du verborgen hast denen, die Dich fürchten … …“1
Unter den „Dienern G‑ttes“ gibt es zwei getrennte Arten und Stufen – von der Wurzel ihrer Seelen droben abhängig – in den Aspekten „Rechts“ und „Links“. „Links“ ist also vom Attribut der Beschränkung [Zimzum] und des Verbergens im Dienst G‑ttes gekennzeichnet, wie geschrieben steht: „[…] und demütig [mit deinem G‑tt] zu wandeln etc.“2; „[meine Seele] weint im Geheimen etc.“3; „wer auch immer sich mit der Tora im Geheimen befasst etc.“4 Von diesem Attribut stammt auch der Aspekt der Beschränkung und Begrenzung im Dienst G‑ttes; bei Mildtätigkeit etwa – dem Vermögen nach zu urteilen5, „und wer verschwenderisch spendet, verschwende nicht mehr als ein Fünftel“6. Beim Torastudium und den übrigen Geboten begnügt sich eine solche Person ebenfalls damit, seine eindeutig festgelegte Pflicht, die ihm die Tora ausdrücklich auferlegt, zu erfüllen, Zeiten [für das tägliche Torastudium] festzulegen7 etc. Davon stammt auch der Ausspruch unserer Meister sel. A.: „Wirf Ehrfurcht auf die Schüler etc.“8 Der Aspekt „Rechts“ wird hingegen vom Attribut der Güte und Ausbreitung im Dienst G‑ttes gekennzeichnet, voller Weite, ohne jegliches Beschränken oder Verbergen, wie geschrieben steht: „Ich werde in der Weite wandeln etc.“9, ohne jegliche Beschränkung oder Begrenzung. Es gibt keine Zurückhaltung für den Geist seiner Großzügigkeit, sei es in Bezug auf Mildtätigkeit, das Torastudium oder andere Gebote. Er begnügt sich nicht mit der bloßen Erfüllung seiner Pflicht, sondern [fährt fort] bis zu einem Maß von „nie genug“10 etc.
Nun hat jeder Jude beide dieser Aspekte zu enthalten, denn „es gibt keine Sache, die nicht ihren Ort hat“11. Wir finden daher mehrere Dinge, die zu den nachsichtigen Entscheidungen Bet Schammais und den erschwerenden Entscheidungen Bet Hillels zählen12. Dies lehrt uns, dass sogar Bet Schammai, deren Seelen im Aspekt der „Oberen Linken“ wurzelten13, aus welchem Grund sie bezüglich aller Verbote der Tora stets erschwerend entschieden, wohingegen Bet Hillel, die vom Aspekt der „Oberen Rechten“ stammten, wohlgesinnte Argumente einsetzten, um zu erleichtern und die von Bet Schammai verbotenen Sachen zu erlauben, sodass diese von ihrem Verbot befreit würden und emporsteigen können14 – nichtsdestotrotz Bet Schammai in mehreren Angelegenheiten erleichterten. Dies geht auf die Einschließlichkeit der Wurzel ihrer Seelen, die auch „Rechts“ enthält, zurück. Gleichfalls enthält die Wurzel von Bet Hillels Seele auch „Links“. Wie von der Art und den Attributen der Oberen Heiligkeit bekannt ist, „wo dort weder Spaltung noch Teilung herrschen“15, G‑tt behüte, sondern alle Attribute sich gegenseitig einschließen. Sie sind daher miteinander vereint, wie den Kennern der esoterischen Weisheit16 bekannt ist17. So steht bei Avraham, der das Attribut Chessed und Liebe verkörpert, geschrieben: „Denn nun weiß Ich, dass du g‑ttesfurchtig bist“18 – hatte er sich doch in das Attribut Gevura gekleidet, „und er band seinen Sohn Jizchak“19, „und nahm das Messer etc.“20. Dass sie die Tora als „Avraham, der mich geliebt“21 und „Jizchak, der mich gefürchtet“22 beschreibt – diese Unterscheidung und dieser Unterschied bestehen [lediglich] hinsichtlich der Aspekte von Manifestation und Verborgenheit. In Jizchaks Attribut ist die Angst manifest, während die Liebe verborgen, in einem Zustand des Verhehlens und Verdeckens, ist. Beim Attribut unseres Vaters Avraham, Friede mit ihm, trifft das Gegenteil zu.
Und dies ist die Bedeutung dessen, was König David, Friede mit ihm, sagte: „Wie reich ist Deine Güte …“ Das heißt, das Attribut von Güte und Chessed, befindet sich bei denen, deren Seele im „linken“ Aspekt wurzelt, und die als „die Dich Fürchtenden“ bezeichnet werden, im Verhohlenen und Verdeckten. Dies ähnelt dem Attribut Bet Schammais, und obschon es sich um verborgenes und verhohlenes Gutes handelt, ist es dennoch so wahrhaft reichlich und enorm wie das Attribut von Gedula und Chessed, das von „Rechts“ stammt. Darüber hinaus sind beide [Stufen der Chessed] ohne Begrenzung, Maß und Größe manifest.
Und dies ist die Bedeutung des Verses: „Wie reich ist Deine Güte“, d.h. ohne Begrenzung und Maß; sei es das Gute, „das Du verborgen hast denen, die Dich fürchten“, oder sei es [das Gute], „das du für jene tätigst, die in Dich ihre Zuversicht setzen“23 – die Vertrauenden, die vom „rechten Aspekt“ stammen, und deren Güte und Gutheit sich in einem Zustand der Manifestation und Ausbreitung „vor den Menschen“, und keineswegs in einem Zustand von Beschränkung und Verborgenheit befinden. (Dass „für die Dich Fürchtenden“, und nicht „in die Dich Fürchtenden“ geschrieben steht, rührt daher, dass alles, was sich innerhalb einer jeglichen Seele in verborgenem Zustand befindet, nicht in den Körper gekleidet wird – in sein Gehirn und sein Herz. Es umgibt [den Menschen] vielmehr von oben, und von dort erleuchtet es sein Gehirn und sein Herz zu jenen Zeiten, da das Erwecken dieses Aspekts erforderlich ist, sodass er erweckt wird und Gehirn und Herz des Menschen erleuchtet, um in konkreter Tat zum Ausdruck zu kommen.)
Er sagte daher: Da „die Reichlichkeit der Güte des Hauses Israel“24, sowohl die verborgene als auch die offenbarte, keine Begrenzung und kein Maß kennt in Relation zur Kategorie ihrer in den Körper gekleideten Seele, daher „Behandle auch Du, G‑tt, sie mit dem Attribut Deiner unbegrenzten und unendlich großen Chessed, die ,Rav Chessed‘ genannt wird.“ Denn „es gibt verschiedene Arten der Chessed“25 – es gibt Chessed Olam, deren entsprechendes Gegenstück das Attribut von Din, G‑tt behüte, ist, Seine Chessed und Gutheit verringernd und beschränkend. Der Chessed Eljon26 hingegen, „Rav Chessed“ genannt, steht das Attribut des Din nicht gegenüber, um die Fülle Seiner Güte zu verringern und ihr unbegrenztes und unendliches Ausbreiten zu beschränken. Denn sie stammt von den Aspekten Sovev Kol Almin27 und Temira DeKol Temirin28, der Keter Eljon29 genannt wird. Dies also ist die Bedeutung von: „Du birgst sie in der Verborgenheit Deines Angesichts … … verbirgst sie in einer Hütte … …“30