„Er sät Zedakot1 aus, lässt Jeschuot2 sprießen.“3 Die Verwendung des Begriffs „säen“ im Zusammenhang mit dem Gebot der Mildtätigkeit, wie auch im Vers: „Sät für euch Zedaka etc.“4 kann verstanden werden in Anbetracht des Ausspruchs unserer Meister sel. A.5: „R. El’asar gab einem Bedürftigen eine Münze und betete daraufhin, denn es steht geschrieben6: ‚Durch Zedek schaue ich Dein Antlitz.‘“ Dies bedeutet, die Manifestation Seiner gesegneten G‑ttlichkeit, die im Gedanken des Menschen und in seiner Kawana während seines Gebets offenbart wird, findet statt in jedermann gemäß seinem individuellen Maß, durch die Mildtätigkeit [Zedaka] und „die Chessed des Ew‑gen von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten etc.“7 Das heißt, das Licht G‑ttes, des gesegneten Ejn Sof, leuchtet in den oberen Welten droben mit einer solch mächtigen Ausstrahlung in solch großer und intensiver Offenbarung, dass sie wahrhaftig in ihrem Bestand aufgelöst sind, vor Ihm als wirklich Nichts betrachtet werden und im Licht des Gesegneten aufgehen. Diese sind die Hejchalot mit den darin enthaltenen Engeln und Seelen, die im heiligen Sohar ihrem Namen und ihrem Ort nach in der von den Männern der Großen Versammlung festgelegten Liturgie erklärt werden. Von dort scheint das „Licht, das gut ist“ auf diese niedrige Welt, auf die, „die den Ew‑gen fürchten und Seinen Namen achten“8, die Ihm mit dem „Dienst des Herzens, dies ist das Gebet“9 zu dienen begehren. Wie geschrieben steht: „Der Ew‑ge erhellt mein Dunkel.“10 Nun wird der Abstieg dieser Ausstrahlung nach unten auf diese Welt „Güte G‑ttes“ genannt – als „Wasser“ bezeichnet11, das von einem hochgelegenen Ort zu einem tiefgelegenen Ort absinkt etc.
Nun ist es bekannt, dass droben auch die Attribute von Gevuraund Zimzum existieren, um das Licht des Gesegneten zu beschränken und zu verbergen, sodass es den unteren [Welten] nicht offenbart werde12. Alles hängt jedoch von einem Erwecken hienieden ab. Denn wenn sich der Mensch in Güte übt, indem er Leben und Chessed etc. ergehen lässt, erweckt er dasselbe droben. Denn, wie unsere Meister sel. A. sagten: „Das Maß, mit dem der Mensch misst, damit wird er selbst gemessen.“13 Dies scheint indes nicht vom selben Maß zu sein: [Der Mensch verdient] bloß, dass ihm – entsprechend seinem Verleihen von Leben in dieser Welt – das Leben der künftigen Welt verliehen wird, nicht aber, dass das Leben der Ausstrahlung des tatsächlichen Lichtes G‑ttes an ihn ergeht14, um sein Dunkel im „Dienst des Herzens, dies ist das Gebet“ zu erleuchten und zu erhellen. Denn [Gebet] ist der Aspekt und die Stufe der „hohen Umkehr“ [Teschuva Ilaa], wie bekannt ist15, insofern sie das gesamte Leben der künftigen Welt bei weitem überragt. Wie unsere Meister sel. A. sagten: „Besser eine Stunde der Umkehr und Wohltaten etc.“16 Denn wie andernorts ausführlich erklärt wird, ist die künftige Welt ein bloßer Abglanz und Abschein etc. pp.17
Das Konzept entspricht dem Beispiel vom Säen von Samen oder dem Pflanzen von Kernen – die vom Samen sprießenden Ähren, und der Baum mit seinen Früchten vom Kern sind keineswegs das Wesen und die Essenz des Samens oder Kerns, denn ihr Wesen und ihre Essenz sind zu Ende gegangen, und in der Erde verrottet. Die Wachstumskraft in der Erde selbst ist es18, die die Ähre, den Baum und die Früchte hervorbringt und wachsen lässt; bloß offenbart [die Wachstumskraft] ihre Fähigkeit nicht nach außen hin vom Potential zur Anwendung, außer durch den Samen oder den Kern, die in der Erde verrotten und deren gesamte Kraft in der Wachstumskraft der Erde aufging – und sie vereinten sich und wurden eins. Auf diese Weise bringt die Wachstumsfähigkeit ihr Potential zur Anwendung und verleiht Lebenskraft, um eine dem Samen ähnliche Ähre wachsen zu lassen. [Dieses Wachsen] ist jedoch mit einer enormen Steigerung in jeder einzelnen Ähre verbunden, und gleichfalls sind zahlreiche Früchte auf einem einzelnen Baum. Darüber hinaus überragen das Wesen und die Essenz der Früchte mit einem mächtigen und immensen Vorzug das Wesen und die Essenz des gesäten Kornes. Dasselbe gilt für den Ertrag der Erde, der von Samen wächst, die Kernen ähneln, wie etwa Gurken und Ähnliches. All dies rührt daher, dass der Kern und die Wurzel der Lebenskraft der Früchte von der Wachstumskraft der Erde ergehen, die die Lebenskraft aller Früchte enthält; die in der Erde gesäten Kerne dagegen entsprechen bloß einem „Erwecken von hienieden“, das in den Schriften unseres Meisters R. Jizchak Lurja sel. A. als „Erhebung von Majin Nukvin“ bezeichnet wird19.
Genauso steigt metaphorisch gesprochen jede mildtätige Handlung, die von Juden ausgeführt wird, wie eine „Erhebung von Majin Nukvin“ zur Wurzel ihrer Seelen droben empor. [Die Wurzel ihrer Seelen] wird in der Terminologie des Sohar als Kenesset Jisrael [„Gemeinschaft Israels“] und Ima Tataa [„niedere Stufe der Mutter“] bezeichnet20, und in der Terminologie des Talmuds als Schechina21. [Die Schechina] enthält alle Attribute des H.g.s.E. und ist vollkommen vereint mit ihnen, deren Beginn das Attribut Chessed ist. Nun wird durch diese Erhebung wahrlich „Chessed G‑ttes“ erweckt, d.h. eine Offenbarung Seines gesegneten Lichtes, zu den Seelen Israels herabzusinken und sie in einem mächtigen und intensiven Zustand der Manifestation wenigstens während des Gebets zu erleuchten. Denn wiewohl „Seine Größe unergründlich ist“22 in solchem Ausmaß, dass „alle vor Ihm wie nichts betrachtet werden“23, gilt dessen ungeachtet „wo Seine Größe zu finden ist, dort ist Seine Bescheidenheit zu finden“24, wie Wasser, das absinkt etc.
Dies ist die Bedeutung des Verses: „Auch im Dunkel scheint den Geraden ein Licht: Er, der gütig, barmherzig und zaddik [„gerecht“] ist.“25 Denn indem der Mensch gütig, barmherzig und „zaddik – Zedakot liebend“26 ist, bringt er das Licht G‑ttes dazu, auf seine Seele zu scheinen, die in seinen Körper gekleidet ist – der im Dunkeln steht, da er die „Schlangenhaut“ ist. Diesen Zustand, wenn Dunkelheit zu Licht gewandelt wird, nennt man „Heil“ [Jeschua].
Dies also ist die Bedeutung von „lässt Jeschuot sprießen“. Denn dieses Heil sprießt aus dem Säen der Mildtätigkeit, die man im „Oberen Land“, „dem Land der Lust“, sät. Dies ist die Schechina und Kenesset Jisrael; so genannt, weil sie sich in die unteren Welten kleidet, um sie zu beleben, wie geschrieben steht: „Dein Königtum ist ein Königtum aller Welten.“27 Sät man im Heiligen Land hienieden, das ihm [dem „Oberen Land“] wahrlich entspricht, trifft dies am stärksten zu. Denn die Saat wird im Oberen Land umgehend, ohne die geringste Hinderung und Behinderung jeglicher Art, aufgenommen, denn absolut nichts trennt und teilt zwischen den „Ländern des Lebens“; ist doch „dies das Tor des Himmels“28. Außerhalb des Heiligen Landes ist dies nicht der Fall. Dies genüge dem Verständigen.