Über diese niedere Furcht, die für die Erfüllung der Gebote des Gesegneten in den Bereichen „Kehr ab vom Bösen und tu Gutes“ erforderlich ist, wurde gesagt: „Ohne Furcht gibt es keine Weisheit.“1 Sie enthält einen „kleinen“ Aspekt und einen „großen“ Aspekt; und zwar [entsteht der „große“ Aspekt], indem der Aspekt dieser Furcht vom Nachsinnen über die Größe G‑ttes gewonnen wird – dass Er alle Welten füllt, und „die Entfernung zwischen der Erde und dem Himmel einer Distanz von 500 Jahren entspricht etc. pp., und die Distanz zwischen einem Himmel und dem nächsten etc. pp., und die Füße der Chajot alles aufwiegen etc. pp.“2 –, und ebenso über die Kettenfolge aller Welten, die höher und höher bis zu den höchsten Stufen reichen. Nichtsdestotrotz wird diese Furcht eine äußerliche und niedere Furcht genannt, weil sie von den Welten stammt, die die Gewänder des Königs sind, des H.g.s.E., der sich darin verbirgt und versteckt und kleidet, um sie zu beleben und zu erhalten, damit sie als Sein aus dem Nichts bestehen können etc. pp., doch ist sie das Tor und die Pforte zur Erfüllung der Tora und der Gebote.
Über die hohe Furcht jedoch, die eine schamvolle Furcht und eine innere Furcht ist, die aus der inneren G‑ttlichkeit innerhalb der Welten stammt, über sie wurde gesagt: „Ohne Weisheit [Chochma] gibt es keine Furcht“3, denn Chochma ist [buchstabengleich] Koach Ma4, und „Die Weisheit erscheint aus dem Nichts“5 und „Wer ist ein Weiser? Der die Folgen daraus sieht.“6 Dies bedeutet, er sieht bei jeder Sache, wie sie durch das Wort G‑ttes und den Hauch Seines gesegneten Mundes als Sein aus dem Nichts geboren und hervorgebracht wird, wie geschrieben steht: „Und durch den Hauch Seines Mundes ihr ganzes Heer.“7 Aus diesem Grund sind die Himmel und die Erde und ihr ganzes Heer wirklich völlig aufgelöst im Wort G‑ttes und dem Hauch Seines Mundes, werden wirklich wie Nichts angesehen und sind wirklich null und nichtig, so wie die Auflösung des Lichtes und des Glanzes der Sonne im Körper der Sonne selbst. Und kein Mensch betrachte sich als Ausnahme von dieser Regel: Auch sein Körper und seine Nefesch, Ruach und Neschama sind völlig im Wort G‑ttes aufgelöst, und das Wort des Gesegneten ist mit Seinem Gedanken vereint etc., wie oben (Kap. 20 und 21) ausführlich erklärt wurde, anhand des Beispiels der menschlichen Seele – eine einzige Äußerung ihrer Sprache und ihres Denkens ist wirklich wie nichts etc. Dies ist die Bedeutung des Verses: „Siehe, Furcht des Ew‑gen, das ist Weisheit.“8
Indes, diese Furcht und Weisheit zu erlangen ist nur möglich durch Erfüllung der Tora und der Gebote mittels der niederen, äußeren Furcht. Und dies ist die Bedeutung des Verses: „Ohne Furcht gibt es keine Weisheit.“
Nun, bei der Liebe gibt es ebenfalls zwei Stufen – Ahava Rabba9 und Ahavat Olam10. Ahava Rabba ist die „Liebe in Genüssen“, sie ist eine Flamme, die von selbst aufsteigt. Sie kommt von droben als „Geschenk“ für denjenigen, der in seiner Furcht vollkommen ist, wie aus der Aussage unserer Rabbiner sel. A. bekannt ist: „Es ist üblich, dass der Mann nach einer Frau sucht.“11 Denn die Liebe wird „Mann“ und „männlich“ [sachar] genannt, wie es steht: „Er hat seiner Liebe gedacht [sachar]“12; die Frau hingegen symbolisiert G‑ttesfurcht13, wie bekannt ist. Ohne die Voraussetzung der Furcht ist es unmöglich, diese Ahava Rabba zu erlangen, denn diese Liebe entstammt dem Aspekt Azilut, wo keine Spaltung und Trennung herrscht, G‑tt behüte.
Ahavat Olam hingegen stammt von der Einsicht und vom Wissen über die Größe G‑ttes, des gesegneten Ejn Sof, der alle Welten füllt und alle Welten umgibt, und vor dem alles wirklich wie Nichts erscheint, wie die Auflösung einer einzigen Äußerung in der intellektualisierenden Seele, während sie sich noch in ihren Gedanken oder dem Begehren des Herzens befindet, wie oben erklärt wurde14. Denn durch dieses Nachsinnen wird das Attribut Liebe in der Seele automatisch ihre Kleider ablegen, d.h. sich in keinerlei genussvolle und vergnügliche Sache kleiden, sei sie materieller oder geistiger Natur, um sie zu lieben, und wird keine Sache auf dieser Welt außer G‑tt allein wollen15 – die Quelle der Lebenskraft aller Genüsse, denn sie alle sind völlig aufgelöst und erscheinen Ihm gegenüber wirklich wie Nichts; zwischen ihnen besteht keinerlei Ähnlichkeit und Vergleich, G‑tt behüte, so wie ausdrückliche Nichtexistenz und Nichts keine Ähnlichkeit mit ewigem Leben aufweist. Wie geschrieben steht: „Wen habe ich noch im Himmel, und neben Dir begehre ich nichts auf Erden. Mein Fleisch, mein Herz vergeht, doch meines Herzens Fels … …“16 Und wie im Folgenden erklärt wird.17
Auch er, dessen Attribut der Liebe in seiner Seele in keinerlei materiellen oder geistigen Genuss gekleidet ist, kann seine Seele durch das oben erwähnte Nachsinnen mit einer Liebe entflammen, die Feuergluten, einem heftigen Feuer und einer zum Himmel emporsteigenden Flamme gleicht, wie im Folgenden erklärt wird18.