Einleitung des Kompilators1
Diese [Einleitung] ist ein Brief, der an die Gesamtheit unserer Gemeinschaft der Chassidim geschickt wird,
möge [G‑tt,] unser Fels sie segnen und beschützen2.
Euch, Männern, rufe ich zu! Hört auf mich, die Ihr der Gerechtigkeit nachjagt und den Ewigen sucht, so wird G‑tt Euch erhören, von Groß bis Klein, alle Chassidim unseres Landes und der benachbarten Lande, möge jeder an seinem Ort zu Frieden und Leben bis in Ewigkeit gelangen. Amen, möge dies Sein Wille sein.
Eine bekannte und unter allen Chassidim übliche Redensart besagt, dass das Hören von Worten ethischer Weisung nicht mit dem Sehen und Lesen in heiligen Büchern zu vergleichen ist. Der Leser liest auf seine Weise, gemäß seinem Wissen und gemäß dem Begreifen und Erfassen seines Intellektes in der jeweiligen Verfassung. Sind sein Intellekt und sein Wissen aber verworren und wandeln den G‑ttesdienst betreffend in der Finsternis, kann er schwer das gute Licht wahrnehmen , das in den heiligen Büchern verborgen ist, obwohl dieses Licht süß für die Augen und heilsam für die Seele ist.
Darüber hinaus sind die heiligen Ethikbücher auf Grundlage menschlichen Intellektes gewiss nicht für jede Seele gleichermaßen gültig. Nicht alle Intellekte und Ansichten gleichen sich, und auf den Intellekt des einen wirkt nicht das begeisternd und anregend, was auf den Intellekt des anderen begeisternd und anregend wirkt. [Siehe dazu] die Aussage unserer Meister sel. A.3 im Zusammenhang mit dem Segensspruch „Weiser der Geheimnisse“ beim Anblick von 600.000 Juden, deren Ansichten einander nicht ähneln etc. pp.4 Auf diese Weise erklärt auch Nachmanides sel. A. in Milchamot, ebenda, [den Grund für diesen Segensspruch] im Zusammenhang mit dem Kommentar des Sifri bezüglich Jehoschua, über den gesagt wurde: „Ein Mann, der den Geist in sich hat“5 – „der dem Geist jedes Einzelnen entgegenkommen konnte“6 etc. pp.
Doch sogar bei heiligen Ethikbüchern, deren Fundament in den Gipfeln der Heiligkeit liegt, in den Midraschim unserer Weisen sel. A., aus denen der Geist G‑ttes spricht und auf deren Zungen Sein Wort liegt [liegen Einschränkungen vor]. Zwar sind „die Tora und der H.g.s.E. völlig eins“7, und alle 600.000 Seelen der Gesamtheit Israels und ihre individuellen [Ableger] bis hin zum „Funken“ des Leichtfertigen unter den Leichtfertigen und der unwürdigsten [Teile] unseres Volkes, der Kinder Israels, verbinden sich alle mit der Tora. Und die Tora ist es, die sie mit dem H.g.s.E. verbindet, wie aus dem heiligen Sohar bekannt ist8. Dies gilt jedoch [bloß] auf allgemeine Weise für die Gesamtheit Israels. Es ist wahr, dass die Tora sowohl im Allgemeinen als auch im Detail, und sogar im kleinsten Detail für jede individuelle Seele Israels, die in der Tora wurzelt, ausgelegt werden kann. Doch nicht jedem ist es gewährt, seinen individuellen Platz in der Tora zu erkennen.
Sogar in den Gesetzen über Verbot oder Zulässigkeit, die uns und unseren Söhnen offenbart sind, finden und sehen wir wahrlich krasse Meinungsverschiedenheiten unter den Tannaiten und Amoräern. Und doch sind „sowohl diese als auch jene ‚Worte des Lebendigen G‑ttes‘ [Elokim Chajim]“9. [Elokim erscheint] in der Mehrzahl, in Bezugnahme auf die Quelle des Lebens für die Seelen Israels. Diese werden grundsätzlich in drei Linien geteilt – Rechts, Links und Mitte, d.h. Güte [Chessed], Strenge [Gevura] etc. pp.10 Die Seelen, deren Wurzeln im Attribut der Güte liegen, tendieren bekanntlich auch in halachischen Fragen zu nachsichtigen Entscheidungen aufgrund ihrer Neigung zu Güte etc. Erst recht und umso mehr gilt dies beim „Verborgenen, das des Ewigen, unseres G‑ttes ist“11. Dies sind Ehrfurcht und Liebe in Gehirn und Herz jedes einzelnen Menschen gemäß seinem individuellen Maß [Schiur], gemäß dem Ermessen [Meschaer] seines Herzens, wie im heiligen Sohar12 steht über den Vers: „Bekannt ist ihr Mann in den Toren [Schearim] …“13